Das Schicksal des Menschen begreifen

Die Wege des individuellen und menschheitlichen Schicksals sind so rätselhaft mit Licht und Schatten durchsetzt. Wo wir uns darin und in unserer Verbindung zur Welt und zu Gott finden können, bespricht Michaela Glöckler in ihrem neuen Buch.


Das Buch ‹Christus und das Schicksal des Menschen auf der Erde› ist aus den Ausarbeitungen zweier Vorträge von Michaela Glöckler entstanden. Im ersten Teil werden Fragen des Schicksals mit Erkenntnissen aus der Bibel verbunden. Welchen Sinn Krankheiten und schwere Schicksale im Leben erfüllen, wird im zweiten Teil ausgearbeitet. Michaela Glöckler schaut auf die großen Lebensfragen des entwicklungsbedürftigen Menschen. Dabei gehen ihre Blicke zunächst in die Evangelien, ferner zu Goethe, Steiner, Morgenstern, Novalis und Rilke. Außerdem beschenkt die Autorin die Lesenden mit Sequenzen aus ihrer langjährigen Erfahrung als Ärztin. Das Büchlein ist inspirierend und quicklebendig. Neben Momenten des tiefen Nachdenkens bietet es auch immer wieder Anlass zu Freude.

Das Leben steckt voller Freude und Leid. Beides hat Glöckler im Blick. Ein Menschenleben bietet ein immenses Entwicklungspotenzial. Das Schicksal ‹schicklich› zu gestalten, auch schwere Erfahrungen, die ‹geschickt werden›, ins Positive zu wenden, auf dass das Leben fließe wie ein Rinnsal, ist die große Herausforderung. Die Kunst bestehe darin, so Glöckler, schwierige biografische Ereignisse positiv zu integrieren und den damit verbundenen Lernprozess als Bereicherung zu begreifen. Denn alle Erfahrungen, so schwer sie auch sein mögen, können uns innerlich reich machen. In diesem Sinne dürfen wir Steiner verstehen, wenn er sagt, das Schicksal sei niemals lebensfeindlich – immer lebensfreundlich.

Das Zentrum von Michaela Glöcklers Überlegungen ist ihr inniger, appellativer Idealismus. «Ein Ideal ist erst dann ein Ideal, wenn ich täglich daran bin, an seiner Verwirklichung zu arbeiten», heißt es da. Autonomie, Liebe, Wahrheit – das Büchlein regt an, die eigenen Ideale neu zu befragen. Das Gute braucht die Entscheidung, jeden Tag dafür eintreten zu wollen. Schlechte Eigenschaften dagegen kommen von selbst.

Wie man auf dem menschlichen Entwicklungsweg in die Arbeit der Vergeistigung des eigenen Leibes kommt und sich so mit dem Christus-Prinzip verbindet, erfahren Lesende in den Ausführungen zum Leib des Auferstandenen. Mit dem Tod auf Golgatha verbindet sich Christus mit der Erde und ihrem Schicksal. In den Elementen der Erde steckt auch die Keimkraft für die Entwicklung aller, nämlich wenige Atome des Leibes Jesu Christi, der sich in der Erde auflöste und seither über die Erde mit den Menschen verbunden ist.

Warum geschieht dennoch so viel Unheil in der Welt? Katastrophen, Krankheiten, Gewalt? Es ist die zunächst so schwer begreifliche Frage, der sich die Autorin hier widmet, warum der allmächtige Gott zugleich ein ohnmächtiger Gott ist. Ein Gott, der seinen eigenen Sohn am Kreuz sterben lässt? Michaela Glöcklers Antworten geben innere Orientierung. Es ist ein Gott, der die Menschen handeln lässt. Er lässt sie scheitern und wieder aufstehen und gibt ihnen so die Möglichkeit, am Bösen für das Gute aufzuwachen. Der Weg des Menschen führt dahin, das Böse zu erkennen und zu überwinden. Denn Leid geschieht häufig ohne jede Mutwilligkeit, bedingt durch das Unvermögen des Menschen, seine Handlungen vollumfänglich überblicken zu können. «Denn sie wissen nicht, was sie tun», heißt es in der Bibel. Indem Gott nicht in die Taten der Menschen eingreift, gewährt er Lernprozesse. Der Mensch kann an den Konsequenzen seines Tuns aufwachen. An dem Irrtum eines Menschenlebens zeigt sich: Der Mensch ist entwicklungsbedürftig. Das Menschliche will immer wieder praktiziert sein, damit sich das Unmenschliche nicht den Weg bahnen kann.

Auch Krankheiten, die sich im Leben immer wieder auf ganz unterschiedliche Arten einstellen, bringen Botschaften mit sich. Michaela Glöckler erinnert, dass Krankheit, als etwas, das man zunächst nicht haben möchte, dennoch zum Freund werden kann, mit dem ein Gespräch möglich ist, den es zu verstehen gilt. Und wenn Klarheit darüber entsteht, was die individuelle, mit der Krankheit verbundene Aufgabe für den Menschen ist, hat vielleicht schon der Engel ein Wörtchen mitgeredet. Wie man lernt, mit ihnen zu kommunizieren, beschreibt die Autorin eindrücklich.

Michaela Glöcklers unverbrüchlicher Optimismus macht Freude beim Lesen. Ihre anspruchsvollen Darstellungen, die die Themen von christlicher Mythologie, Schicksalsführung und geistiger Freiheit umkreisen, sind gut verständlich ausgearbeitet. Zugleich zeugen Beispiele aus ihrer persönlichen Erfahrung von großer Herzlichkeit und von Feinsinn für die leisen Stimmen und Botschaften, hinter denen sich oft Erkenntnisse zu den großen Lebensfragen finden. Die Lektüre dieses Büchleins schenkt inneren Halt und Vertrauen ins Leben.


Buch Michaela Glöckler: Christus und das Schicksal des Menschen auf der Erde. Gesundheitspflege initiativ, Esslingen 2025

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