Beuys und der Nationalsozialismus

Das Symposium am 24. Mai zur Ausstellung ‹Joseph Beuys und der Nationalsozialismus› in Schloss Moyland wurde kurzfristig abgesagt und vorerst in den November verschoben. Was lag vor?


Auf der Rednerliste standen prominente Namen von Beuys-Forscherinnen und Forschern unterschiedlichster Couleur wie Hans Peter Riegel, Barbara Lange, Petra Richter, Ron Manheim, Antje von Graevenitz und Johannes Stüttgen. Die beiden Letztgenannten haben auch am Beuys-Symposium am Goetheanum 2022 mitgewirkt. So war auch ein breites Spektrum von Auffassungen zu dieser Thematik zu erwarten.

Zehn Tage vorher wurde der Termin vom Museum «aus organisatorischen Gründen» abgesagt und auf voraussichtlich 1./2. November 2025 verschoben. Inzwischen hat sich nun der Beuys-Biograf und -Kritiker Hans Peter Riegel dazu in einem Interview in der Zeitung ‹Welt› (‹WELTplus› vom 21.5.2025) geäußert. Auf die Frage, warum er seine Teilnahme abgesagt habe, antwortet er: «Ein kritischer Diskurs auf akademischem Niveau ist mit dem beabsichtigten Teilnehmerkreis aus meiner Sicht nicht möglich. Man hat das wohl eingesehen und hat das Symposium erst einmal in den Herbst verschoben. Es sollte sich ja mit der Aufarbeitung des Verhältnisses von Beuys zum Nationalsozialismus befassen. Wenn man sich jedoch die Teilnehmerliste ansieht, wäre dort kaum ein kritischer Ton zu erwarten gewesen. Beuys-Apologeten wie Johannes Stüttgen oder Petra Richter einzuladen, ist vollkommen unsinnig. Was soll man von Menschen erwarten, deren gesellschaftliches und ökonomisches Dasein auf das Engste an Beuys gekoppelt ist? Das Symposium wäre eine weitere Alibi-Veranstaltung geworden, mit der wir bei der Beuys-Forschung nicht wirklich weiterkommen.»

Darauf folgen in dem Interview Ausführungen Riegels zur «Hardcore-Esoterik» der Anthroposophie, der Beuys verfallen gewesen sei. Dort heißt es unter anderem: «Anthroposophen sind die treibende Kraft hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen. Diese Bewegung wurde von Götz Werner, dem Gründer der Drogeriekette dm, unterstützt, aber auch von anthroposophischen Stiftungen. Im ersten Moment klingt es wie eine interessante, egalitäre Idee. Aber tatsächlich ist es der Versuch, die anthroposophische Hierarchie zu zementieren. Diese sieht den nicht ‹eingeweihten› Menschen auf der untersten Entwicklungsstufe, den man mit dem Grundeinkommen ‹befreien› will. Natürlich mit dem Hintergedanken, ihn mit der anthroposophischen Lehre zu beglücken oder zumindest ruhigzustellen.» Das gemeinte akademische Niveau wird damit deutlich.

Hans Peter Riegel war 2021 aus Anlass des 100. Geburtstages von Beuys in den Feuilletons führender Zeitungen ein viel gefragter ‹Experte›. In seinem Reden und Schreiben unterstellt er, Beuys habe sich nie wirklich vom Nationalsozialismus distanziert, sondern durch sein «verborgenes Reden»1 über Anthroposophie weiterhin völkisches Gedankengut gepflegt. In der akademischen Beuys-Forschung spielt Riegel jedoch eher eine Außenseiterrolle. Sein auf vier Bände angewachsenes Werk ‹Beuys – Die Biographie› (Zürich 2021) wird zwar verschiedentlich zitiert, oftmals jedoch in dem Sinne, dass man seinen Schlussfolgerungen und Interpretationen nicht folgen kann.2 Selbst der Beuys-Kritiker Ron Manheim, ehemaliger Vizedirektor des Museums Schloss Moyland, grenzt sich in seinem Buch ‹Beim Wort genommen. Joseph Beuys und der Nationalsozialismus› (Berlin 2021) von Riegel und seinen generellen Unterstellungen ab, teilt allerdings seine Ansichten bezüglich eines völkischen Einflusses von Rudolf Steiner auf Beuys.

Es ist schon erstaunlich, dass das Museum Riegels Absage zum Anlass nimmt, das Symposium zu verschieben, vermutlich auf den 1. und 2. November. Bis dahin wurden nun auch die Ausstellungen verlängert, in denen Beuys’ intensive Auseinandersetzung mit dem Holocaust durch die Entwürfe zu einem Mahnmal für Auschwitz-Birkenau auf sehr anschauliche Weise deutlich wird. Mit diesen hatte er sich 1957/58 an einem Wettbewerb des internationalen Auschwitz-Komitees beteiligt. Diese Entwürfe – Zeichnungen und Modelle – sind weder auf Anklage noch auf sentimentales Gedenken ausgelegt, sondern zeigen auf künstlerische Weise einen Heilungsweg auf, der in die Zukunft führt: Die von Ost nach West führende Bahnstrecke vom Torgebäude bis zur Rampe wollte er mit einem sehr großen und einem kleineren torförmigen ‹Wahrzeichen› aus Eisenbeton begleiten. Das eigentliche Denkmal sollte zwischen den Krematorien platziert werden: Die kristallförmige Plastik «ist Leuchter, Kristall, Blume, Monstranz. Die Morgensonne soll sich darin vielfältig brechen und durch den Glanz des polierten Silbers weit ausstrahlen.»3

Philip Ursprung, Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich, bemerkt zu diesem Projekt: «Ergiebiger als die Frage, wann sich Beuys’ Einstellung zum Krieg änderte […] und ab wann die kritische Reflexion des Nationalsozialismus einsetzte, finde ich die Frage, wie seine Teilnahme am Wettbewerb und die dadurch motivierte Auseinandersetzung mit dem Holocaust seine Kunst verändert hat.» Seine These ist, dass sich gerade durch diese Auseinandersetzung «die Struktur seiner Skulpturen, seine Verwendung von Sprache, sein Verständnis von Raum und Geschichte und seine Auffassung der Rolle der Kunst in der Gesellschaft» verändert hat. Sie stand «am Beginn jenes Zieles, das seine Praxis ab den mittleren 1960er-Jahren motivieren sollte, nämlich mittels Kunst zu heilen, zu versöhnen, zu verbinden.»4

In dem Laborraum ‹Joseph Beuys und der Nationalsozialismus› im Museum sind zahlreiche Video-Interviews mit Beuys-Forschenden und -Kuratoren (unter ihnen auch Philip Ursprung, Johannes Stüttgen und Wolfgang Zumdick ebenso wie Hans Peter Riegel und Ron Manheim) zu hören. Sie geben ein breites Spektrum der Auffassungen zu diesem Thema wieder. Ich habe mir eine ganze Reihe davon angehört. In ihnen wird meist sehr gewissenhaft abgewogen, und oft ist spürbar, wie diese Thematik auch persönlich bewegt. Einzig Hans Peter Riegel besteht auf seinen Behauptungen und äußert sich (indirekt) abfällig über seine Kolleginnen und Kollegen. Durch die aufgrund der Absage von Riegel vorgenommene Verschiebung des Symposiums drängt sich mir nun der Eindruck auf, die Leitung des Museums und des dort ansässigen Beuys-Archivs mit der großen Sammlung der Brüder van der Grinten habe Angst, ohne diesen Referenten nicht politisch korrekt auftreten zu können. Gleichzeitig hat es Riegel vielleicht mit der Angst gekriegt, in einem solchen Kreis würden seine Thesen auseinandergenommen werden. Einen inhaltlichen oder gar wissenschaftlichen Grund für diese Verschiebung kann ich nicht erkennen. Vonseiten des Museums war keine Stellungnahme zu erhalten. Auf die neue Rednerliste darf man gespannt sein.


Bild Joseph Beuys signiert in der Ausstellung «Polentransport», Kunstmuseum Lodz, 1981, Foto: Jolanta Sadowska/Kunstmuseum Lodz

Fußnoten

  1. So der Untertitel des vierten Bandes von ‹Beuys – Die Biographie›, Zürich 2021.
  2. Siehe z. B. Philip Ursprung, Joseph Beuys. Kunst – Kapital – Revolution. München 2021.
  3. Zitate aus Joseph Beuys’ Erläuterung zu seinen eingereichten Wettbewerbsentwürfen (1958). Sie liegt im Museum zum Mitnehmen aus.
  4. Philip Ursprung, a. a. O., S. 55. Ähnliche Gedanken äußert Ursprung auch in dem in der Ausstellung zu sehenden Interview-Video.

Letzte Kommentare