Temperatur der Begegnung

Unsere Reisegruppe hatte im ägyptischen Luxor einen Vortragssaal im Hotel gebucht. Pünktlich waren wir zur Stelle, doch vor der verschlossenen Tür stand ein Angestellter und deutete an, dass der Saal noch besetzt sei.


Freundlich sagte ich nach etwas Warten, unser Terminplan lasse keine längere Verzögerung zu. Der Uniformierte schien es nicht zu hören. Erst als ich nach einiger Zeit mit der Stimme lauter wurde, begann er sich zu regen. Hier scheint es zwei soziale Temperaturkurven zu geben. In Europa, Mitteleuropa, ist man freundlich und setzt darauf, dass der oder die andere bereit ist, die Interessen von einem selbst wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Dämmert im Gespräch, dass das nicht der Fall ist, wird man deutlicher und energischer. In orientalischen Kulturen scheint es umgekehrt zu sein, jedenfalls hat sich diese Richtschnur bewährt: Wo ich etwas will, gehe ich in schnellem Schritt und klarer Sprache ins Gespräch, zum Beispiel wenn ich in den gebuchten Raum möchte. Und im Gespräch werde ich dann verbindlicher und empathischer. Nicht selten habe ich erlebt, dass man am Ende freundschaftlich auseinandergeht. Was geschieht da? Zur Ouvertüre der Begegnung scheint zu gehören, dass man die eigene Kraft sogleich ins Spiel bringt und sie in der Begegnung dann zurücknimmt. Ja, wir können voneinander lernen, am meisten von anderen Kulturen.


Bild: Khalid Ibn El Walid Strasse, Luxor, Ägypten. Foto: Marc Ryckaert, 2018.

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare