Neue Fragen an Steiner

Eine kleine Sammlung von Fragen an Rudolf Steiner ist bei uns eingegangen, Bezug nehmend auf den Text von Gilda Bartel ‹Rudolf Steiner als Fragender – Gemeint bin immer ich›, in ‹Goetheanum› 10/2025. Diese möchte die Redaktion hier teilen.


Johannes Kühl

Was würde Steiner raten, wie wir heute am ‹heilsamsten› mit der Hochschule umgehen können?

Aus meiner beruflichen Perspektive hätte ich verschiedene Fragen: Wie können wir heute sinnvoll an verschiedenen Bemerkungen zur Naturwissenschaft arbeiten, zum Beispiel, was mit der sogenannten ‹dritten Kraft› (1.10.1911, GA 130) gemeint ist? Wie kann man sinnvoll am ‹Biegen des Spektrums durch Magnetismus› arbeiten? Wie verhalten sich die Absorptionsversuche nach Eugen Dreher, die im Wärmekurs vorkommen (1. und 11.3.1920, GA 321), zu den Ätherarten? – Um nur einige zu nennen.


Elisabeth Cumming

Wer bin ich, wenn niemand meinen Namen spricht? Wie lerne ich das Wesen der Stille kennen?


Michael Gesthüsen

Wer ist eigentlich Christus?

Groß geworden am Niederrhein, tief katholisch, Ministrant und Lektor in der Kirche mit Fragen und spirituellen Erlebnissen in der Kirche. Von den Priestern ging keine wirkliche Weisheit aus. Im Nachbarort gab/gibt es eine kleine buddhistische Gemeinde mit eigenem Gohonzon. Das war mir fremd. Gibt es keine europäische Spiritualität? Also doch das Christentum. Auf nach Israel, vor Ort, da muss es doch was zu erfahren geben. Zum Ende des Zivildienstes fragte die Oberschwester, was ich nach 21 Monaten im Krankenhaus auf der chirurgischen Kinderstation machen wolle. Krankenpflege würde ich gerne, aber nicht hier im Uni-Klinikum, das ist eine Fabrik. «Dann geh doch zu den Anthroposophen, die machen alles anders.» Wie heißen die? Also auf nach Herdecke. Nun das Zeugnis, zu schlecht und zu spät, aber hier was von den Heilpädagogen. Nach einem Urlaub und einer Sitzung in einer Hängematte musste was kommen mit 27 Jahren. Zuerst Bingenheim – ich erschrak, hielt aber drei Tage durch –, dann Eckwälden – nur von außen und Gelände –, Bayerisch Gmain schenkte ich mir. Nach einer Pause zu Hause vom alten Opel-Kadett-Coupé mit Rührschaltung und den Erlebnissen noch nach Hamburg, genauer Schenefeld bei Hamburg, zum Kinder- und Jugendheim. Da es bei diesen Leuten überhaupt nicht ungewöhnlich war, zu fragen: «Wer ist eigentlich der Christus?» (das war meine Frage), wagte ich den Schritt in die Heilpädagogik in Schenefeld, da war als Fluchtmöglichkeit die Stadt in der Nähe. Als ich wieder am Niederrhein ankam, setzte ich mich am nächsten Tag bei meinem Vater an den Schreibtisch und schrieb meine Bewerbung an das Kinder- und Jugendheim Friedrichshulde nach Schenefeld. Dabei stand mit einem Male eine Gestalt in einem dunklen Anzug hinter mir und sprach: «Das ist jetzt richtig, was du tust.» Ich wusste sogleich, das ist Rudolf Steiner. Gelesen hatte ich von ihm noch nichts. – Nun, keine Frage, aber fast eine Antwort.


Christian Mehr

Vielen Dank für das wunderbare Bild. Ich wüsste sofort, welche Frage ich stellen würde: ‹Was in und an mir hält mich in meiner Entwicklung zurück, dass ich nicht tiefer eingeweiht werde? Was an und in mir muss ich verändern und weiterentwickeln oder weglassen?› Gleichzeitig weiß ich aus meiner Erfahrung, dass wenn ich eine Frage ein Weilchen ernsthaft in meinem Herzen herumtrage, ich die Antwort sehr bald bekomme. Und da habe ich die Frage trotzdem nicht gestellt. Ich gebe mir noch Zeit, ich bin in meinem Leben und mit mir maximal gefordert, das gefällt und genügt mir. So bleibe ich beim Konjunktiv und genieße dieses Bild mit Herrn Doktoribus hinter dem Schreibtisch, der freundlich zurücklacht über meinen Konjunktiv.


Ralph Andreas Meyen

Wenn sich Wut und Ressentiments einmal in einem kleinen Kind gebildet haben, dann ist es ein lebenslanges Auto-Reaktions-Syndrom auf bestimmte Arten von Reizen, das sich durch das gesamte Spektrum der menschlichen Persönlichkeit und ihres emotionalen Gefühlslebens zieht. Meine Frage an Rudolf Steiner wäre:

Warum hat das menschliche Wesen eine solche ‹Neigung› zum Ärger?


Manfred Kannenberg-Rentschler

Wo lebt die Dreigliederung nach Steiners Tod?

«Die Dreigliederungsidee ist nicht tot, sie ist nur zunächst nicht verstanden worden.» Dies antwortet Rudolf Steiner bei seinem letzten Besuch der ersten von ihm und Emil Molt 1919 inaugurierten staatsfreien Schule in Stuttgart am 3. September 1924 im Gespräch mit Schülern der 12. Klasse. – Da waren seine auf dieser Idee sich gründenden außen- und innenpolitischen und allgemein kulturellen Vorstöße zur Befriedung und Konföderation Mitteleuropas bereits Geschichte: Die ‹Memoranden› zur Neuordnung Mitteleuropas, die er auf Bitten von Graf Lerchenfeld und Polzer-Hoditz für die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk 1917 schrieb, die Unterrichtung des letzten Reichskanzlers Prinz Max von Baden 1918, der ‹Aufruf an das Deutsche Volk und an die Kulturwelt› (Februar 1919), den 95 namhafte Kulturschaffende, Wirtschafter und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterschrieben, seine Schrift ‹Die Kernpunkte der Sozialen Frage› war erschienen, die Gründung des Unternehmensverbundes ‹Der Kommende Tag› zur Schaffung geistiger und wirtschaftlicher Werte, Hunderte seiner öffentlichen Vorträge vor den Belegschaften und Arbeiter-Wirtschafts- und Kulturräten von Daimler-Benz, Waldorf-Astoria, Del Monte u. v. m. zur neuen Betriebsverfassung und zu Wirtschaftsassoziationen sowie die Fachkurse für Nationalökonomen, Sozialpädagogen zu den Urgesetzen des Sozialen Organismus (1922/23). 

All das drang nicht durch ins öffentliche Bewusstsein oder gar Handeln. «Nur wenn die Menschen w o l l e n, schreitet die Welt vorwärts. Dass sie aber wollen, dazu ist bei jedem die innere Seelenarbeit notwendig», schrieb Steiner bereits 1905/06 in drei Aufsätzen zu ‹Geisteswissenschaft und Soziale Frage›, in denen erstmals das ‹Soziale Hauptgesetz› des strukturellen Altruismus der arbeitsteiligen Weltwirtschaft beschrieben wird. Das war lange vor dem besagten Besuch auf der Uhlandshöhe in Stuttgart. Steiners damalige Antwort geht noch weiter: «[…]und ich hoffe, dass gerade aus den Kreisen der Waldorfschüler Verständnis für die Dreigliederung erwachsen wird». Steiner konnte seine Hoffnung wohl darauf bauen, dass hier Menschen heranwuchsen, die das Lebendige denken können, sich nicht vom Einheitsstaat hypnotisieren lassen und befähigt werden, friedensfähig statt kriegstüchtig zu sein! – Die Dreigliederungsidee ist zunächst nicht verstanden worden. Sind die von Steiner erforschten und öffentlich gemachten sozialen Bildegesetze der Neuzeit deswegen tot? Wie kann ein Verständnis von uns Jetzigen erwachsen? Und ist dies Geistesgut nicht vielmehr Saatgut, das unserer Pflege, hellen Bewusstwerdung und Tatkraft anheimgestellt ist? 

Der Aktionskünstler Joseph Beuys wies elf Tage vor seinem Erdentod in seiner Rede am 12. Januar 1986 ‹Dank an Wilhelm Lehmbruck›, einem der Unterzeichner des o. g. Aufrufs, auf dessen und seine Inspiration einer Sozialen Plastik hin und endete: «Schütze die Flamme, denn schützt man die Flamme nicht, ach eh’ man’s erachtet, löscht leicht der Wind das Licht, das er entfachte. Brich dann Du ganz erbärmlich Herz, stumm vor Schmerz.» (Gryphius) 

Anmerkung Erstveröffentlichung in ‹Gegenwart› Nr. 2/25

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