Der Duft der Liebe

Ziemlich ungeplant, wie das Leben öfter daherkommt, lande ich kurz vor Ostern im ‹Bienenhaus› bei einer langjährigen Freundin und ihrer Imkerei Goldmund. Nach drei Tagen vor Ort begreife ich, dass ich gratis in eine ‹Bienenkur› hineingeraten bin. Etwas in mir erwacht wie der Frühling zu neuem Leben, aber einem regenerativen Leben, an dem ich beständig Anteil habe, ohne dessen gewahr zu sein. Mein Träumen verändert sich, wenn ich ein, zwei Stunden täglich mit bei den Bienen bin und diesen Wesen zuschaue. Mein Nervensystem beruhigt sich. Wenn ich am Rand der Pferdekoppel, zwischen Kranichrufen und Kirschblüten, an den Beuten entlanggehe, eingehüllt in ihr Summen und ihren Duft, bin ich erfüllt von großer Dankbarkeit, die mich sogar zu Tränen rührt. Mit Sentimentalität hat das nichts zu tun. Dieses Empfinden kommt von unterhalb der ‹Hollywoodgrenze›, also all dessen, was ich mir als Vorstellung vom Leben bilden kann. Es erweist sich mir als wahr gerade dadurch, dass meine Eindrücke, Gefühle und Gedanken von der natürlichen Sphäre angeregt sind. Nach drei Wochen fühle ich, ohne irgendetwas zu wissen: Ich habe bisher keinen passenderen sinnlichen Ausdruck in der Welt gefunden, für das, was Liebe ist, als den Duft der Bienen.

Menschlicher Honig

Rainer Maria Rilke schrieb im November 1925 an seinen polnischen Übersetzer Witold von Hulewizc einen Brief zu den ‹Duineser Elegien›. Darin heißt es: «So gilt es, alles Hiesige nicht nur nicht schlechtzumachen und herabzusetzen, sondern gerade, um seiner Vorläufigkeit willen, die es mit uns teilt, sollen diese Erscheinungen und Dinge von uns in einem innigsten Verstande begriffen und verwandelt werden. Verwandelt? Ja, denn unsere Aufgabe ist es, diese vorläufige, hinfällige Erde uns so tief, so leidend und leidenschaftlich einzuprägen, dass ihr Wesen in uns ‹unsichtbar› wieder aufersteht. Wir sind die Bienen des Unsichtbaren.» Welch ein schöner Gedanke und wie gut, dass Diesseits und Jenseits so ineinanderklingen in ihren Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten.

Inwiefern tun wir also etwas Ähnliches wie die Bienen? Sie sammeln die feinste erste Substanz, die sich in der Welt manifestiert, den Blütenstaub, und stellen daraus Nahrung für ihren Organismus her. Lebensgold. Vollziehen wir Menschen auch einen Verdauungsprozess? Verdauen wir Geist in die Welt hinein? Wenn ich Geist durch meine Individualität wirken lasse in meinem Leben, in meinem Handeln, ist das auch wie Honig? Schaffen wir durch unsere Taten unsichtbare Substanz in der Welt, die für den ganzen ‹Organismus Mensch und Erde› Nahrung ist? Ernähre ich mit dem gelebten So-Sein meines hiesigen Lebens meine Mitwesen und sie mich? Manchmal mehr schlecht als recht. Die Bienen machen mich ruhig und mild, liebevoller, weicher, dankbarer, und sie schenken uns einfach dieses Wunder Honig. Hat alles, was ich in dieser Haltung aus mir selbst hervorbringe (an menschlichem Honig), für die Welt eine ähnliche Wirkung? Ist das Verdauungsprodukt Honig aus der ursprünglich gleichen ‹Substanz›, nur eben ins Physische hineingebaut, wie das, was wir Menschen durch unser Menschsein an Geist hier verwirklichen? Macht der Geist durch uns und unsere Bewusstseinsprozesse eine Erfahrung? Rilkes Aussage wäre noch einmal umgewendet. Und die Trennung von Diesseits und Jenseits fast aufgehoben. Den Epitaph von Paul Klee «Diesseitig bin ich gar nicht fassbar / Denn ich wohne grad so gut bei den Toten / Wie bei den Ungeborenen […]» möchte ich ergänzen durch: «aber nur aus dem Jenseits auch nicht». Die Realpräsenz des Geistigen im Diesseits ist wohl etwas Unsichtbares, aber erfahren und formen kann ich damit eben nur als Hiesige.

Hell fühlen

Unser Leben birgt Geheimnisse, so unerklärlich wie das Bienensummen. Manchmal klingt zart etwas hindurch. Diese Offenbarungen finden in einem ahnenden Lächeln ihren Ausdruck. Und ich habe die Gewissheit, dass es mir immer möglich sein wird, auch wenn ich 80 Jahre bin, nach solchen Offenbarungen Ausschau zu halten. Eine andere Art von Schauen ist es, immer ein wenig an der Direktheit vorbei. Meine Imkerin arbeitet mit ihren Bienen genau in diesem Zustand, wenn ich nicht gerade störe und Fragen stelle. Entscheidungen trifft sie eher intuitiv, sagt sie, und kann es nicht logisch begründen. Tagträumend handeln – gibt es so etwas? Irgendwas haben die Bienen damit zu tun. Ihre ‹Magiesubstanz› scheint diese Wirkung zu verstärken. Aber ich gelange schnell an eine Sprachgrenze. Etwas ist offener, als stünden wir an einer Schwelle, von der aus wahrnehmbar ist, dass es beständig von hier nach da und umgekehrt quillt. Die Lebenssprache selbst?

Meine Imkerin erzählt auch, dass sie nicht eine Hofindividualität empfindet, wie man sie auf einem Demeterhof wahrnehmen kann. Sie hat nur ihre Bienen, etwa 50 Völker, die sie ziemlich gut unterscheiden kann. Sie würde eher sagen, sie hat mit einer Landschaftsindividualität zu tun. Ihre ‹Tiere› atmen sich in diese Landschaft des Oderbruchs aus. Sie durchweben in ihren Flügen diese spezifische Gegend und tragen zusammen, was sich als Natur und Kultur gestaltet hat. Sie durchwirken die Luft in ihren Flügen, tragen in ihre dunklen Bienenstöcke hinein, was sie von außen mitbringen. Gerade erst materialisiertes Licht wird in der Unsichtbarkeit des Innern gemeinsam zu einer heilenden und nährenden Substanz umgebaut. Eine beständige Bewegung, ein beständiges Wogen zwischen Innen und Außen. Die Bienen fliegen auch in meiner inneren Landschaft umher. Oder bin ich es, die mit ihnen fliegt? So lassen wir uns in unseren inneren Landschaften leben. Und danke, dass ich in deiner Landschaft leben darf.

Wenn wir begreifen, was die Bienen tun, steigert das ihre Wirksamkeit? Beziehungsweise steigert sich durch unser Verstehen der Bienen unsere eigene menschliche Wirksamkeit? Was begreife ich über mein eigenes Wesen in der Welt durch die Bienen? Der Wille zur Liebe ist immer sanft. Das Sein der Natur ist so unendlich bedingungslos. Als hätten Bäume je Misstrauen gegen den Menschen gehegt. Ich möchte in Freundschaft mit der Welt leben und um das Werken der Bienen wissen. Das bleibt, als ich nach drei Wochen das ‹Bienenhaus› verlasse. ‹In der Liebe sein› wirkt. Denn Liebe ist niemals abstrakt. Sie hat einen Duft.


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Fotos Gilda Bartel

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