Dieses Buch übt eine phänomenologische und deshalb radikale Kritik an der herrschenden Methode der wissenschaftlichen Forschung sowie am entsprechenden Begriff der Wissenschaftlichkeit.
Zurecht wird die Annahme kritisiert, dass die äußere, sinnlich wahrnehmbare Welt oder die Innenwelt durch Zeichen wie abstrakte Schemata, Symbole, Algorithmen bzw. durch logisch-mathematische Strukturen in die Abstraktion überführt werden können (§ 5). In dieser Perspektive werden Bewusstseinsphänomene nämlich auf lediglich rechnerische Dynamiken reduziert, sodass jegliche wirklich aktive Dimension des Ich in der Begegnung mit der Welt ausgeschlossen wird. So kann die Sprache, der Logos der Seele, mit dem Logos der Natur nicht mehr vereint werden. Es wird somit eine rein äußerliche und objektive Welt vorausgesetzt, aus deren bestimmender Wirkung die Tätigkeit des bewussten Ich gleichsam hervorgebracht wird. So wird diese Tätigkeit nur als Ergebnis von Vergangenheit und nie als wirklich Gegenwart und Zukunft stiftende Tätigkeit betrachtet. Dabei haben die neueren Entwicklungen der Quantenphysik und der Molekularbiologie diese Situation verschärft: Die Quantenphysik hat die Schwelle der Sichtbarkeit überschritten, jedoch die rein logisch-mathematische Beobachtung der Phänomene nur gesteigert. Eine Welt ohne Subjekt und Objekt hat sich letztendlich daraus entwickelt. Auf der Quantenphysik – und mithin auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung – fußend, reduziert die herrschende Molekularbiologie wiederum alle Phänomene des Lebens auf physikalische Eigenschaften bzw. Organismen zu Mechanismen (§§ 27–49). Damit wird die Realität eine Funktion der jenseits der Wahrnehmungssphäre gewonnenen, rein materialistischen Beschreibungen. Daraus entsteht eine Metaphysik: eine Wissenschaft, die Dinge wortwörtlich jenseits (meta) des Physischen, der Natur (physis) betrifft. Es bleibt jedoch zu fragen, ob dieses Jenseits doch ein Diesseits bedeutet. Denn die gemeinten subatomaren Dinge befinden sich in der Tat nicht jenseits, sondern diesseits des physisch Wahrnehmbaren! Die hier implizierte Wissenschaft führt demzufolge zu einer Entphänomenalisierung der Wirklichkeit (§ 42). Durch die durchdringende Integrierung der künstlichen Intelligenz kulminiert eine solche Dynamik in die neueren Entwicklungen der synthetischen Biologie, welche die Zellen – und letztendlich doch den ganzen Menschen? – so programmieren möchte, als wären sie Computer (§ 44).
Diese Dynamik möchte das Ich aus- bzw. gleichschalten und die lebendige Natur so verstehen, wie wenn ein Kunstwerk nur ausgehend von den physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten verstehbar wäre, sodass die Natur zu einem stets gleichsam räumlich verortbaren, überwachbaren Produkt von algorithmisch verarbeitetem Vergangenem herabgewürdigt wird. Demgegenüber plädiert das Buch für einen Ansatz, der in Kontinuität mit Husserl jede Wahrnehmung als ein ursprüngliches, nicht reproduzierbares und deshalb nicht berechenbares Jetzt betrachten will (§§ 8 und 51). In diesem Jetzt, das die Schwelle einer fruchtbaren Erfahrung der Zeit bildet, erschafft das Ich keine Synthese von Sinnesatomen, sondern einen Sinn, das heißt stets eine Ganzheit, die nicht zerstückelt werden kann (§ 18). So wird Zeit nicht zu etwas, was zwischen einem Vorher und einem Nachher stattfindet, sondern sie fließt zwischen dem Ganzen und den Teilen, zwischen Idee und Phänomen, und befreit die Wahrnehmung vom Räumlich-Statischen (§ 54). Vor diesem Horizont wird Erkenntnis, in Zusammenklang mit Steiners Werk, nur Gegenwart, jetzt sein könnendes Ereignis, in dem das wahrnehmende und denkende Ich, jenseits von Objektivität und Subjektivität, in Bezug auf die Welt Erscheinung und Wesen zu einer stimmigen Ganzheit vereinen kann (§ 74).
Generative Mitte
Dementsprechend wird wirkliche Wissenschaftlichkeit nur dann erreicht werden, wenn Wissenschaft das erkennende Ich als unerschöpflich generative Mitte ernst nehmen wird: Sie wird «zunächst den einzigen Punkt erkennen, an dem Wahrnehmung und Begriff zusammenfallen, und an dem wir die Wirklichkeit unmittelbar in ihrer Vollständigkeit erfassen können. Dieser Punkt besteht in der Wahrnehmung des Ich im reinen Denken, wobei die Wahrnehmung selbst aus dem Denken der logischen Tätigkeit des Denkens selbst besteht. In dieser Erfahrung ist die Dichotomie zwischen Denken und Wahrnehmung, das heißt zwischen Subjekt und Objekt, überwunden.» (§ 85) Es sei hier konstruktiv hervorgehoben, dass die Überwindung der angesprochenen Dichotomie, und somit das wirksam in diesem Buch formulierte Ideal, immer mehr Gegenwart werden wird, wenn wir endlich auch die von Steiner angeregte Vertiefung des Sinnesorganismus als Ich-Organismus konsequent ernst nehmen werden. Diese Vertiefung, die den Ich-Sinn, nicht den Tast-Sinn als Grundlage voraussetzt, bildet nämlich die Grundlage für ein wirkliches Verstehen des Menschen als freies, imaginatives Wesen, bis in seine gesunde Sinneserfahrung, ohne die doch keine Erfahrung des reinen Denkens möglich ist. Die gemeinte Vertiefung würde also immer mehr verständlich machen, warum dieses Buch in der Betonung der ‹ultralogischen› Imagination als geeignete Bewusstseinsmodalität für eine echt wissenschaftliche Erkenntnis des Lebens gipfelt (§ 120). Durch diese Vertiefung würde das unerschöpflich Zukunftsträchtige, auf das dieses Buch wirksam hindeutet, immer mehr zur Gegenwart verwandelt werden können.
Buch Laura Borghi, Daniele Nani: Aurora und Zentaur – Wirklichkeit und Beschreibung in der Ära der Technik. Verlag am Goetheanum, Dornach 2024.
Dementsprechend wird wirkliche Wissenschaftlichkeit [diese nimmt ihre Methode ernst und ist deshalb echte Phänomenologie, sie stellt durch Beobachtung fest, was ist] nur dann erreicht werden, wenn Wissenschaft das erkennende Ich als unerschöpflich generative Mitte ernst nehmen wird [das bloße Ich gilt es lediglich als eine nicht-denkerische Tatsache anzuerkennen]: Sie wird «zunächst den einzigen Punkt erkennen [durch Reduktion aller Erkenntnis kann man diesen Punkt nur gewahren], an dem Wahrnehmung und Begriff zusammenfallen [und zwar in sich selbst zu jeweils Null] und an dem wir die Wirklichkeit [des Nichts] unmittelbar in ihrer Vollständigkeit [vollständige Inhaltleere] erfassen können [dies ist das Wesen der Punktform]. Dieser Punkt besteht in der Wahrnehmung des Ich [dem Zustand ohne Denken und gerade nicht] im reinen Denken, wobei die Wahrnehmung selbst aus dem Denken der logischen Tätigkeit des Denkens selbst besteht [falsch, der Wahrnehmungszustand des Ich entsteht durch die allerkonsequenteste Selbstzurückhaltung von jeglicher Tätigkeit des Denkens, auch der wahrnehmenden]. In dieser Erfahrung ist die Dichotomie zwischen Denken und Wahrnehmung [nein, zwischen Denken und Nichtdenken], das heißt zwischen Subjekt und Objekt [völlig falsch, denn Subjekt und Objekt werden durch das Denken erst gebildet, nachdem das Ich eine Schöpfung aus dem Nichts geleistet hat], überwunden.» (§ 85) Es sei hier konstruktiv hervorgehoben, dass die Überwindung der angesprochenen Dichotomie, und somit das wirksam in diesem Buch formulierte Ideal, immer mehr Gegenwart werden wird, wenn wir endlich auch die von Steiner angeregte Vertiefung des Sinnesorganismus als Ich-Organismus konsequent ernst nehmen werden [ganz bestimmt nicht dadurch – wie wäre es (statt ernster Miene) einmal mit dem Studium der Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung unter Hinzuziehung der Strukturphänomenologie als Studienhilfe?]. Diese Vertiefung, die den Ich-Sinn, nicht den Tast-Sinn als Grundlage voraussetzt, bildet nämlich die Grundlage für ein wirkliches Verstehen des Menschen als freies, imaginatives Wesen [wer den Menschen derart verstehen will, der müsste schon die Philosophie der Freiheit studieren und die dort mitgeteilten Beobachtungsresultate der seelischen Beobachtung durch eigene Ausübung derselben nachvollziehen und dadurch verifizieren], bis in seine gesunde Sinneserfahrung, ohne die doch keine Erfahrung des reinen Denkens möglich ist. [Wer keine Erfahrungen hat, weder mit dem Nichtdenkerischen noch mit dem Reindenkerischen, der sollte andere doch nicht darüber belehren, welche Erfahrungen nicht möglich seien.]
Hier kann man sich einen echten Kentaur anschauen:
http://doi.org/10.7890/ethz-a-000536996
Keine Angst, es handelt sich nur um eine um 1828 angefertigte Zeichnung nach einem Wandbild in Herculaneum. Das Original ist etwas ungewöhnlich, das möchten wir unseren jüngeren Mitlesern noch nicht zumuten. Was das wohl für ein Junge war, der unter diesem Bilde schlief?
Menschen, die sich für die Kultur des Altertums interessieren, also junge Archäologen, müssen lernen, die Kunstwerke abzuzeichnen, auch heute noch.
Auf dem Umschlagentwurf Rudolf Steiners für Guenther Wachsmuths Übersetzung „Vril oder Eine Menschheit der Zukunft“, das wohl älteste und bedeutsamste Werk, das der Verlag am Goetheanum heute noch im Angebot hat, ist auch ein Kentaur zu sehen. Kinder lieben dieses Buch. Denn in diesem Werk findet sich eine (recht ungewöhnliche) Antwort auf die wichtigste aller Fragen: „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“