«Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen», so steht es geschrieben in Michael Endes ‹Momo›. Ein Kind weiß nichts von den alltäglichen Erledigungsnöten der Erwachsenen, es hört einfach zu und schafft so für seine kleinen und großen Freunde Lebenszeit. Und ein Kind ist es, das die Zeitdiebe bemerkt, die wir auch als Tyrannen einer Wissenschaft lesen könnten, die uns weismachen will, die alleinige Wahrheit zu kennen. Aber Wissenschaft ist von Menschen gemacht. Sie geht jeden von uns an und hat keine Gültigkeit außerhalb von uns. Sie spiegelt unser Verhältnis zur Welt und zum Leben wider, und unser Bewusstsein davon. Sie zeigt also auch zugleich, was wir in der Lage sind, zu sehen. Hinter jeder wissenschaftlichen These müsste eigentlich der immer gleiche Nebensatz stehen: «… aber wir wissen es nicht ganz genau, denn wir sind in der Zeit und suchen nicht in den Sphären jenseits der Materie, weil wir dafür keine Erkenntnisorgane haben.» Und ja, jede seriöse Wissenschaft ist sich dessen sehr wohl bewusst und handhabt ihre Forschung auch so. Jeder Astrophysiker und jede Biologin weiß, dass es einen Zauber gibt in den Dingen. Um den in ein kleines Sichtfeld zu bekommen, sind sie wahrscheinlich für ihren Beruf angetreten.
Wo aber ist ‹jenseits der Materie›? Vielleicht dort, wo ich mich der vollständigen Bestimmbarkeit durch die Materie entziehe, wo ich mich weigere, ausschließlich ein Messbares, Zählbares, Wägbares zu sein, und in Zeiteinheiten mein Leben zu strukturieren. Das ist wie den Zeitdieben nicht zu glauben, sondern mich selbst an den ‹Ort des Einsehens› zu begeben – naiv wie ein Kind, offen wie ein Kind, mit dem Herzen eines Kindes und der Liebe zur Wahrheit.
Illustration Christina Moratschke, Projektive Geometrie. Mehr dazu: Aurora-Impuls








