Weibliche Nudelbrücken

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«Baue Nudelbrücken!», empfahl mir ein befreundeter Physiklehrer. Ich hatte vertretungshalber eine dreiwöchige Epoche Physik, Mechanik, in einer 10. Klasse vor mir. Also saßen die Schülerinnen und Schüler in sechs Teams mit 500 Gramm Makkaroni-Nudeln und einer Heißleimpistole jeweils um einen Tisch und sollten nun aus den dünnen Weizenröhren eine tragfähige Brücke mit einem Meter Spannweite verkleben. Anschließend wollten wir Tragkraft und Ästhetik der Konstruktionen prüfen. Typisch für das Alter waren die Geschlechter unter sich: drei weibliche und drei männliche Teams. Meine ironische Ansage zu Beginn: «Liebe Jungs, es tut mir leid, aber es werden sicher die Mädchen sein, die die tragfähigeren Brücken bauen.» Protest und Gelächter, und doch lief es, wie zu erwarten: An den ‹Jungstischen› ging jeder für sich ans Werk und klebte nach seinen Vorstellungen. Anders die Mädchen: Sie tauschten sich erst aus: Was macht eine Brücke stabil? So kamen sie zu gemeinsamen Lösungen, die Zug- und Druckkräfte mit einem Nudelfachwerk aufzufangen. Dann das Spektakel: Die Hartweizenkonstrukte wurden zwischen zwei Tische gelegt, ein 20-Liter-Eimer in die Mitte gehängt und dann Wasser eingelassen, bis die Brücke dem Gewicht nachgab. Schreie, gezückte Handys zum Filmen. Die weiblichen Spannwerke trugen über 15 Kilo, die männlichen knickten bei 10 Kilo ein! Wieso? Eine Brücke bricht an ihrer schwachen Stelle. Die ‹Jungsbrücken› bestanden aus einer Summe von Einzelleistungen – das führt zu Schwachstellen. Die Mädchen haben sich erst selbst verbunden, bevor sie sich an den äußeren Verbund machten. So ging dann das Gespräch in der Klasse: Willst du verbinden, überbrücken, brauchst du sozialen Verbund, und den gewinnst du mit deinen weiblichen Eigenschaften.


Bild Sibylle Reichel, ‹Diffusion› (Ausschnitt), aus der Serie ‹Atmosphären/Idiolektische Gespräche›, 2012

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