Raum für Fantasie

2025 ist das 100. Todesjahr von Rudolf Steiner. Wie lebt er in einzelnen Menschen weiter? Mayumi Matsumiya, Doktorandin der Vergleichenden Künste in Brasilien, gibt ihre Antworten.


Wo hat Anthroposophie dein Leben verändert?

Überraschenderweise war es die Anthroposophie, die mich dem akademischen Leben nähergebracht hat. Als Doktorandin hatte ich Schwierigkeiten, ein Forschungsthema zu finden, das mich wirklich anspricht. Nach einigen gescheiterten Versuchen, vermeintlichen akademischen Erwartungen zu entsprechen, skizzierte ich schließlich ein Projekt über den argentinischen Maler Xul Solar und sein Interesse an Rudolf Steiners Ideen. Mich fasziniert Steiners wissenschaftliche Seite. Ihre akademische Stringenz lässt Raum für Fantasie und Kreativität – im Gegenteil, sie fördert diese sogar. Obwohl meine Forschung dem künstlerischen Bereich zuzuordnen ist, muss sie dennoch wissenschaftlichen Methoden und einer gewissen Präzision folgen. Man kann sich nicht auf seine reine Intuition verlassen; Hypothesen müssen fundiert sein und in bestehenden Werken Anklang finden. Dies spiegelt wider, was ich in einigen von Steiners Schriften entdeckt habe: Obwohl manche seiner Gedanken unkonventionell erscheinen, erklärt er ihre Wurzeln sorgfältig und methodisch. Im Rahmen meiner Promotion sehe ich die Spannungen, denen Steiners Werk in der Wissenschaft ausgesetzt ist, inzwischen nicht mehr als Hindernis, sondern als Einladung – als Chance, Anthroposophie durch Stringenz, kritisches Denken und bewusste Sprache in die akademische Diskussion einzubringen. Es war diese Verbindung wissenschaftlicher Standards mit einem spirituelleren, fantasievolleren Ansatz, die mich zum Goetheanum führte und neue Kooperationen ermöglichte, darunter die Möglichkeit, Xul Solar auf der ‹Alma Humana!›-Konferenz im Juli zu präsentieren und unter anderem sein wenig bekanntes Porträt Rudolf Steiners – hundert Jahre nach dessen Tod – einem neuen Publikum zugänglich zu machen.


Kontakt mayumimatsumiya@gmail.com
Foto Nicole Asis

Letzte Kommentare