Franziskus: Der Papst vom anderen Ende der Welt

Man kann versucht sein, über den Papst etwas zu sagen, weil er der Papst ist. Und man kann versucht sein, über den Papst nichts zu sagen, weil er der Papst ist. Ich gehöre zur zweiten Sorte und werde versuchen, doch etwas zu sagen.


Ich führte einen inneren Dialog mit Franziskus aufgrund der Lektüre von ‹Laudato si’›, seiner Umweltenzyklika, und ‹Fratelli tutti›, seiner Sozialenzyklika. Zuvor eine Vorbemerkung, um der Problematik von Papst und katholischer Kirche ihren Tribut zu zollen. Franziskus, Jorge Mario Bergoglio, nannte sich «Papst vom anderen Ende der Welt». Vielleicht meinte er damit, dass er von weit her kommt, aus Argentinien. Aber dann hätte er sagen können: «ich komme vom Ende der Welt» – von Rom aus gesehen. Aber er sagte «vom anderen Ende» der Welt. Das heißt, Rom ist auch ein Ende der Welt. Und alles, wofür Rom steht, die Machtpräsenz der Kirche, ist auch ein Ende der Welt. Den Aufgaben, die an diesem Ende anstehen – Integration der Frauen, die Frage des Zölibats, die Aufarbeitung sexueller und anderer Missbräuche in den kirchlichen Institutionen –, ist der Papst in den zwölf Jahren seines Pontifikats nicht gerecht geworden.

Er hatte einen anderen Blick, denjenigen vom anderen Ende der Welt. Von dem Ende, wo es nicht um die vatikanische Machtkaskade geht, sondern um die Liebe zum Nächsten, zur Nächsten, weil er und sie ein Geschöpf Gottes ist. Wo es um die frische Quelle des Glaubens geht, die in jedem sich öffnen kann und wo es daraus abgeleitet um die Entwicklungsmöglichkeit für jede und jeden geht, um die Achtung kultureller Vielfalt (sogar der religiösen) und um einen fairen Zugang zu den irdischen Ressourcen unter Achtung ihrer Fragilität und Endlichkeit als Schöpfung Gottes. Er war der Papst der vielen Armen und nicht der wenigen Mächtigen, der Papst des Gebetes und weniger der Messe, mehr einfacher Bruder wie sein Namenspatron und weniger Regent auf dem Stuhl Petri. Die Problematik des Heiligen Stuhls und der Institution der katholischen Kirche soll nicht bagatellisiert werden – aber Franziskus hat versucht, in Rom einen Samen vom anderen Ende der Welt keimen zu lassen.

Laudato si’

‹Laudato si’› erschien 2015. Diese Schrift, die Umweltenzyklika von Franziskus, atmet die Aufbruchstimmung der ersten Jahre des Papstes vom anderen Ende an diesem Ende der Welt. Die Aussagen sind größtenteils klar und mutig, wissenschaftlich fundiert, ringen um eine Menschheitsethik, die im Einzelnen ihre Quelle hat. Sie nennt Gott als Schöpfer und benennt die Verantwortung des Menschen für die Schöpfung.

Mein innerer Dialog mit dem Papst und seiner Schrift gründet im Dilemma, das alle ökologisch orientierten Anthroposophinnen und Anthroposophen kennen: Wie können wir einerseits eine sachlich wirksame Ökologie einrichten und leben, ohne in die Mechanik der Unter- oder Überbilanzierung der Ressourcen abgezogen zu werden? Und wie können wir andererseits eine spirituelle Ökologie kultivieren, ohne der Illusion zu verfallen, dass es nur um innere Gestimmtheit geht? Der Papst und mit ihm alle Mitautoren und -autorinnen versuchen, die mittlere Aufrichtigkeit aufzuzeigen, die aus der handlungsorientierten Verbindung von Fachwissen (mit spiritueller Dimension) und ethischer Verantwortung entsteht. Was steht dem Menschen zu im Sinne dieser ethischen Verantwortung? Die Enzyklika ist hier klar: «Eine Rückkehr zur Natur darf nicht auf Kosten der Freiheit und der Verantwortung des Menschen geschehen.» Gott schuf eine unfertige Welt, die der Entwicklung bedarf, und er regt uns Menschen zur Zusammenarbeit an. «Er ist im Innersten aller Dinge zugegen, ohne die Autonomie seines Geschöpfes zu beeinträchtigen, und das gibt auch Anlass zu der legitimen Autonomie der irdischen Wirklichkeiten. Diese göttliche Gegenwart, die das Fortbestehen und die Entwicklung allen Seins sicherstellt, ‹ist die Fortsetzung des Schöpfungsaktes›.» Dieses letzte Zitat im Zitat ist von Thomas von Aquin – da treffen sich die Geschwisterlichkeit des Heiligen Franziskus mit der Gottespräsenz von Thomas.

Fratelli tutti

Die Enzyklika ‹Fratelli tutti› erschien 2020, in der Corona-Zeit. Aber sie ist nicht die Corona-Enzyklika des Papstes, wie oft gesagt wurde, sondern sie hat einen anderen Ursprung. In dem Vorwort von Jürgen Erbacher heißt es: «800 Jahre, nachdem Franz von Assisi bei einem Besuch in Ägypten Muslime traf und einen Dialog mit Sultan Malik-al-Kamil führte, der den Bettelmönch zutiefst beeindruckte, reiste Papst Franziskus im Februar 2019 ins Herz der arabischen Welt. In Abu Dhabi unterzeichnete er mit dem Großimam Ahmad al-Tayyeb, einem der führenden Geistlichen des sunnitischen Islams, das ‹Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt›. Die Begegnungen mit dem Leiter der Al-Azhar-Universität und das gemeinsame Dokument waren für den Papst Anstoß für die neue Enzyklika.»

Ich finde diesen Ausgangspunkt bemerkenswert. Die zwei Kulturrepräsentanten begegnen, respektieren sich, werden durch den anderen befruchtet und inspiriert. In dieser Schrift geht der Papst in seiner Ansprache über die Gläubigen seiner Kirche hinaus und hat alle Menschen im Blick. «So schrieb ich diese Enzyklika auf der Grundlage meiner christlichen Überzeugungen, die mich beseelen und nähren, und habe mich zugleich bemüht, die Überlegungen für den Dialog mit allen Menschen guten Willens offen zu halten.» Mit dieser Sozialenzyklika ist der Herzenspapst in seinem Element. Umso eindrücklicher ist die Gedankenführung durch die Kapitel. Er diskutiert den Eigentumsbegriff. «Die Erde ist für alle da, denn wir Menschen kommen alle mit der gleichen Würde auf die Welt. […] Folglich sind wir als Gemeinschaft verpflichtet, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch in Würde leben kann und angemessene Möglichkeiten für seine ganzheitliche Entwicklung hat […] Wenn wir den Armen etwas geben, geben wir nicht etwas von uns, sondern wir geben ihnen zurück, was ihnen gehört.» Im Verlauf wird deutlich, dass er es nicht sozialistisch meint (gerne aber antikapitalistisch) und dass er viel weiß über die Diversität unter den Menschen, den Völkern und eine gesunde Verortung zwischen lokal und universal. «Um ein gesundes Verhältnis zwischen der Liebe zum eigenen Land und der inneren Verbundenheit mit der gesamten Menschheit zu fördern, ist es vielleicht hilfreich, sich daran zu erinnern, dass die ‹Weltgesellschaft› nicht einfach aus der Summe der verschiedenen Länder besteht, sondern dass sie vielmehr die Gemeinschaft selbst ist, die zwischen diesen besteht; sie ist ein Teil des Geflechts universaler Gemeinschaft und findet dort zu ihrer je eigenen Schönheit. Daher weiß jeder Mensch, der in ein bestimmtes Gefüge hineingeboren wurde, dass er oder sie zu einer größeren Familie gehört, ohne die es nicht möglich ist, sich selbst wirklich zu verstehen.»

Aufkeimender Samen

Ich schreibe hier am 1. Mai, dem Tag der Arbeit. Franziskus war fröhlicher und bewusster Arbeiter. Als es vor Jahren bei uns am Familientisch einmal um den Papst ging, meinte eines der Kinder: «Aha, ich habe verstanden, der Papst ist einer, der bei der Kirche arbeitet.» Ich denke, das trifft es. Er selber: «Das große Thema ist die Arbeit. Das bedeutet volksnah – weil es das Wohl des Volkes fördert – wenn allen die Möglichkeit garantiert wird, die Samen aufkeimen zu lassen, die Gott in jeden hineingelegt hat, seine Fähigkeiten, seine Initiative, seine Kräfte.»


Bild Papst Franziskus. Quelle: quirinale.it

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