Die Sterne

Zürne nicht! Ball nicht die Hand zur Faust!

Tu sie auf, weit auf! Sieh, wenn du mich hörst,

Springen die hellen Sterne hinein.

Alle kenn ich und nenne sie dir.

Ruhm ist der rote östliche Stern,

Der fallend kreist und kreisend wächst,

Bis er die Erde beschattet

Und dennoch Raum hat in deiner Hand,

Der Riese!

Das zackige scharfe Gestirn heißt Macht,

Das hart herabsticht mit bläulichem Strahl,

Ehre hängt klar in der lautlosen Luft,

Ein großer, goldener Tropfen.

Sternenbrüder sind Sieg und Sang.

Welches ist deiner jetzt – meiner?

Folg mir! Erkennst du

unter dem Mond

Das scheue, schimmernd schwimmende Licht,

Rein wie ein Seelchen, leicht wie sein Hauch,

Stets überfunkelt von Ruhm und Macht,

Gottes kleinstes, sein liebstes Kind,

Das silberne Sternlein – Liebe?

Gertrud Kolmar, aus: Gedichte. München 2020, S. 77.


Wie erleben wir die Sterne und ihr Licht? Sehen wir auch die kleinsten, zerbrechlichsten unter ihnen? Johanna Lamprecht


Zeichnung von Philipp Tok

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