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Der Wert der Freundlichkeit

Ein Freund erzählte mir, der Chef der IT-Firma, in der er arbeitet, habe händeringend einen Computerspezialisten gesucht. Auf normalem Wege, über Mundpropaganda und Anzeigen, habe sich niemand finden lassen. So bekam ein hochdotierter Headhunter den Auftrag, jemand Passenden zu finden. Die Suche war erfolgreich, kostete die Firma allerdings 15 000 Euro.


Die neu gewonnene Arbeitskraft, eine Frau, wurde in einem Büro zusammen mit einem altgedienten Kollegen platziert, der allgemein als schweigsam und mürrisch und nur an seinem Bildschirm interessiert bekannt war. Auch sonst hatte niemand in dem Büro so recht Zeit, die neue Kollegin einzuarbeiten, einzuführen, ein paar nette Worte mit ihr zu wechseln. Nach einem Monat kündigte die so lange Gesuchte wieder. Also: 15 000 Euro – einfach so in den Sand gesetzt.

Diese lapidare Geschichte beeindruckte mich, weil selten der Wert von Freundlichkeit und Menscheninteresse so greifbar erscheint, sozusagen pekuniär greifbar. Was alles gelingt nur deshalb, weil irgendjemand in irgendeinem Moment ein nettes Wort zu einem anderen Menschen sagt! Welche Arbeit wird auch deshalb über lange Jahre zuverlässig ausgeführt, weil ein Mitarbeiter sich über einen freundlichen, zuverlässigen Guten-Morgen-Gruß freut? Wie viele schwerwiegende Fehlentscheidungen wurden schon verhindert, weil jemand zur rechten Zeit anrief und nach dem Anruf dann doch plötzlich etwas als möglich erschien, was sich vorher aussichtslos anfühlte?

Doris Lessing beschreibt in einem ihrer Romane, wie sich jeden Nachmittag in London eine ganze Masse freundlicher älterer Frauen in Bussen und U-Bahnen in Bewegung setzt, um Babysitting, Marmelade, selbstgebackenes Brot etc. in einen anderen Stadtteil zu transportieren. Diese Bewegung, so sagt sie, halte die Welt in Schwung.


Notiz: Man lese dazu auch Rudolf Steiner, Geschichtliche Symptomatologie, 4. Vortrag.

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