Warum wir fasten

Seit 22. Mai 2025 fasten Menschen auf der ganzen Welt in Solidarität mit den hungernden Menschen in Gaza. Ein gewaltfreier Weg, seine Stimme zu erheben, wenn niemand mehr zuhören will.


Es ist weit nach Ostern und ich habe Hunger. Meine Ernährung umfasst seit einigen Tagen nur noch 250 Kilokalorien – so viel, wie laut einer aktuellen Forschung von OXFAM den etwa 300 000 Palästinensern und Palästinenserinnen im Norden des Gazastreifens derzeit täglich zur Verfügung stehen. Das sind zwei Scheiben Knäckebrot, eine Banane und ein Ei pro Tag. Oder eine Dose Bohnen. Seit Israel den Gazastreifen und somit die Einfuhr internationaler Hilfsgüter blockiert hat, leidet vor allem der Norden dieses winzigen, dicht besiedelten Landes unter einer Hungersnot.

Die Veterans For Peace (VFP), eine US-amerikanische, gemeinnützige Organisation, die sich für Alternativen zu Krieg starkmacht und sich vor allem gegen die Militärpolitik der USA und ihrer Verbündeten wendet, haben die Fastenkampagne ins Leben gerufen. Diese soll auf die katastrophalen humanitären Auswirkungen der israelischen Blockadepolitik auf die Menschen in Gaza aufmerksam machen und beinhaltet zwei konkrete Forderungen: die Wiederaufnahme humanitärer Hilfe für den Gazastreifen unter Aufsicht der UN sowie das sofortige Ende der Waffenlieferungen an Israel durch die Vereinigten Staaten. Unterstützt werden die Veterans For Peace dabei von FOSNA (Friends of Sabeel North America), einer überkonfessionellen, christlichen palästinensischen Organisation sowie von Nonviolence International, einer NGO, die sich für aktive Gewaltfreiheit einsetzt und weltweit kreative, konstruktive gewaltfreie Kampagnen unterstützt.

Der Aufruf zum solidarischen Fasten überzeugt mich: Wenn Worte versagen und niemand mehr zuhört, müssen unsere Körper sprechen. Die Geschichte kennt zahlreiche Hungerstreiks. Sie sind eine der bekanntesten gewaltfreien Aktionen, um den Blick auf Ungesehenes zu lenken. Gandhi setzte 1932 als einer der Ersten den freiwilligen Nahrungsverzicht als politisches Druckmittel ein, um für die Einhaltung der Menschenrechte in Indien zu kämpfen. Und er wurde gehört – indem er gesehen wurde. Er war nicht allein.

In Gemeinschaft hat jede Aktion mehr Gewicht. Mehr Menschen, mehr Sichtbarkeit, mehr Reichweite, mehr Strahlung. Jede und jeder Einzelne zählt. Das wissen auch die Initiatoren und Initiatorinnen der aktuellen Kampagne. Neben einer Gruppe von Menschen, die zusammen und für die Öffentlichkeit sichtbar in New York fasten, haben sie Menschen weltweit dazu aufgerufen, solidarisch mitzufasten. Zahlreiche Einzelpersonen haben sich der Aktion angeschlossen. Sie werden ermutigt, Gruppen zu bilden, gemeinsam zu fasten oder auch Ketten von Fastenden zu bilden, die sich abwechseln. Vierzig Tage sind lang. Es geht darum, wieder in Kontakt miteinander zu kommen und darüber zu sprechen, was gerade passiert. Es geht darum, sich gegenseitig zu unterstützen, das Thema und seine Dringlichkeit zu verkörpern, sichtbar und fühlbar zu machen. Damit Worte wieder landen und berühren können. Mir ist sofort klar: Das kann ich tun: mit Menschen darüber reden, warum ich faste. Mich zeigen, mit meinem Schmerz und der Verzweiflung, die in mir wohnt, seit ich vor gut 25 Jahren das erste Mal in Tel Aviv aus dem Flugzeug gestiegen bin, um Palästina zu besuchen. Nicht mehr und nicht weniger.

Der Hunger nagt an mir. Er macht müde und benommen, zermürbt und durchlöchert die innere Stabilität. Hunger weicht auf und macht gleichzeitig tief drin etwas ganz fest, fast hart. Schwindel, Desorientierung, Erschöpfung, Kopfschmerzen, Traurigkeit und immer wieder Angst begleiten mich durch die Tage. Ich friere die ganze Zeit. Ich möchte schlafen, aber der Hunger hält mich wach. Es gibt eine große innere Unruhe, den Drang, mich zu bewegen, etwas zu tun. Vielleicht, um den Hunger nicht zu spüren.

Kreislauf der Gewalt durchbrechen

Die Kampagne heißt ‹40 Tage Fasten und Eskalation› und zeigt an, dass die Initiierenden wissen, dass dieser solidarischen Aktion kein Erfolg beschert sein muss. Sie kündigen deshalb gleich zu Beginn weitere gewaltfreie Aktionen an, wenn ihre Forderungen bis zum 30. Juni nicht vollständig erfüllt worden sind. Das Fasten ist ein Anfang, so als gäbe es keine andere Wahl. Und so fühlt es sich an, obwohl wir bekanntermaßen immer eine Wahl haben. Schon zu lange schaue ich dem Geschehen in Nahost fassungslos zu. Und manchmal auch weg, weil alle Hoffnung auf Frieden unter Trümmerschichten, meterhohen Mauern und undurchschaubaren internationalen machtpolitischen Interessen begraben liegt. Wie können wir den Kreislauf der Gewalt durchbrechen? Wo fangen wir an? Wenn wir Geschichte nicht aufarbeiten, holt sie uns ein und wiederholt sich. Wie in Israel/Palästina und an vielen anderen Orten der Welt. Wir müssen miteinander sprechen und heilen.

Das Unfassbare, das Nichtwegatembare, das Nichtbegreiflichwerdende dringt in alle Zellen des Körpers, während dieser gleichzeitig versucht, mich in einen Schutzpanzer zu hüllen. Manchmal fühlt sich mein Körper selbst an wie das Schlachtfeld, gegen das ich demonstriere. Ich fühle immer wieder genau hin und erfahre: Es ist nicht mein persönlicher Konflikt, und ich muss ihn nicht allein tragen. Aber ich habe die Macht, etwas zu ändern, indem ich für meine Wahrheit einstehe.

Am 40. Tag nach Ostern steigt Jesus in den Himmel auf. Er verlässt seinen irdischen Körper. Zehn Tage später kehrt sein Geist zurück und beseelt seine versammelten Jünger. Sie verstehen, sie fühlen, sie werden seine Botschaft. Mit einem Mal beherrschen sie alle Sprachen der Welt – und das Wunder geschieht. Welche Sprache verstehen wir heute auf der ganzen Welt? Unsere Körper sind das Sichtbarste, das Beredteste, das Verletzlichste, was wir haben. Ich spreche in diesen Tagen mit vielen Menschen. Sie sprechen mir Mut und Dank zu und ich spüre: Ich habe sie erreicht. Sie haben verstanden, worum es geht. Sie haben es gefühlt, mit mir. Reicht das? Ich weiß es nicht. Ich werde es vielleicht nie erfahren. Aber es ist das, was ich gerade tun kann.


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