Seit Monaten verbreiten sich die Studierendenproteste gegen den Gazakrieg, erst in den USA, dann in zahlreichen weiteren Ländern. Der Welle des jugendlichen Aufstands wurde mit Härte begegnet, doch was liegt hinter der Spaltung?
In den vergangenen Monaten haben sich Proteste gegen den Gazakrieg an den Universitäten ausgebreitet, vor allem in den USA, aber auch in Europa. Bilder aus der Vergangenheit tauchen auf, die an die Studierendenproteste gegen den Vietnamkrieg und gegen die Apartheid in Südafrika erinnern. Das unbeschreibliche Leid der letzten acht Monate, das mit der Attacke auf Israel am 7. Oktober begann, bricht in einer der am meisten umkämpften und angespanntesten Regionen der Welt auf. Diese Spannungen, die sich jetzt im grauenhaften Sterben durch Gewalt, Hunger und Krankheit niederschlagen, haben eine lange geistige, gedankliche und rhetorische Vorgeschichte. Junge Protestierende, viele von ihnen selbst jüdisch, haben von ihren Universitätsleitungen verlangt, sich vom Staat Israel abzuwenden, und wurden des Antisemitismus beschuldigt. Ältere haben sie als ignorant und naiv bezeichnet oder als Radikale, die von engstirnigen Ideologien eingenommen sind. Ihre Kritiker und Kritikerinnen haben in einigen Punkten recht, auch wenn ihre Kritik eine ohnmächtige ist. Für viele junge Protestierende geht es lediglich darum, die Stimme ihres Gewissens zu erheben, während sie bezeugen, wie Hightech-Waffen zum Tod von mehr als 10 000 Kindern führen, die in einem Kriegsgebiet ohne Essen, Wasser oder Schutzräume eingeschlossen sind.
Bilder ohne Wirklichkeit
Wir sprechen von der Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, die sich durch das Tempo und die Einflüsse, die zu dieser Zeit gehören, bewegt. Sie hat einen tiefgreifenden Umbruch von textbasierten hin zu bildbasierten Medien erlebt. Die Geschwindigkeit, mit der ein Urteil in einem Bild kommuniziert werden kann, übertrifft die des geschriebenen Wortes. Bilder verbinden sich eher mit unserem Gefühl und sind leichter zu erinnern, begleitet von Schlagwörtern über Antisemitismus oder Terror. Es gibt eine Unmittelbarkeit in der Vermittlung. Auf der anderen Seite, so vertraut, wie sie mit den sozialen Medien und dem Internet ist, besitzt die junge Generation auch ein neues Unterscheidungsvermögen. Junge Menschen wissen: was sie online erfahren und erleben ist unzuverlässig. ‹Realistische› Bilder werden willkürlich herbeigezaubert. Die Jüngeren haben Distanz dazu, obwohl das schwierig ist, da die digitale Welt größtenteils nicht dafür gemacht ist, um zu erkennen oder zu befreien, sondern eher um zu besitzen. Der psychologische und technische Einfallsreichtum, der geschaffen wurde, um sich in der Aufmerksamkeitsökonomie durchzusetzen, und der gewaltige finanzielle Erfolg, der damit verbunden ist, verdecken leicht die skrupellose Realität, in der fast die Hälfte der britischen Jugendlichen aktuell angibt, sich von den sozialen Medien abhängig zu fühlen. In der Jugend ist Idealismus ein Ritual. Es ist unnötig zu erwähnen, dass er mit Naivität gekoppelt ist. Aber es gibt auch Stärken wie das neuere, instinktive Gespür für die Manipulierbarkeit der Bildmedien. Aus dieser Perspektive gibt es mehr Raum für Offenheit anstelle von Polarisierung. Die abgestumpfte Sturheit in der älteren Generation mag mit einer Naivität gegenüber der digitalen Welt zusammenhängen, einer Besessenheit von der Rhetorik und Logik von Konflikten. Die natürliche Tendenz zum Konservativen, die das Altern mit sich bringt (nicht zum Idealismus), sieht sich allzu leicht bestätigt.
Aber Distanz ist nicht genug
In den 1960er-Jahren waren die studentischen Bewegungen vor allem kulturell ausgerichtet. Theodore Roszak beobachtete: «Was die jugendliche Entfremdung unserer Zeit zu einem kulturellen Phänomen macht und nicht nur zu einer politischen Bewegung, ist die Tatsache, dass sie weiter als die Ideologie bis zur Ebene des Bewusstseins strebt, bis hin zu einer Transformation unseres tiefsten Gefühls für uns selbst, für den anderen, für die Umwelt.» (1968) Die Rufe nach freier Rede, Protesten und Einheit waren nicht einfach politisch. 1970 versuchte M. C. Richards eine gerechtfertigte Interpretation der studentischen Forderungen nach ‹Selbstverwirklichung› für ihre Professoren und Professorinnen aufzubereiten: «Lassen Sie uns mit dem Selbst und seiner Verwirklichung beginnen. Das Selbst verweist auf eine umfassende Dimension des Seins. Es ist das Gebiet der Psyche: wach, schlafend und träumend. Das wache Bewusstsein ist die Kunst vom größeren Bewusstsein. Das größere Bewusstsein wird das Unbewusste oder Überbewusste, die Seele oder die geistige Welt genannt. […] Es gibt Nachweise dafür, dass das Gebiet der Seele objektiv erforscht werden kann, dass die frühere Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt überprüft werden muss, dass alle Erfahrung innerlich ist: dass in alle Rechnungen der Rechnende, in alle Messungen die Messende, in alle wissenschaftlichen Beobachtungen die Beobachtenden einbezogen werden müssen.» Die Jugend in den 1960er-Jahren erlebte ein Feld von lebendigen Bildern, das mit Gewissen und Werten auf sie eindrang, und sie versuchte es in ihr Leben zu integrieren. Dieses Gewahrsein für die Realität des menschlichen Geistes war einzigartig. Die Gefahr darin war, auf der Erde die Orientierung zu verlieren. Den menschlichen Geist mit dem Geist der Welt zu verbinden, ist in weiten Teilen nicht erreicht worden. Heute erlebt die Jugend ein Feld von technisch übertragenen bewegten und interaktiven Bildern, die von außen kommen. Die Bilder können das Denken und die ‹Selbstverwirklichung› – mit ihrer tieferen moralischen Kraft und ihrer Möglichkeiten zur Erneuerung – verbinden, aber auch trüben.
Während die schrecklichen Glocken des Gewissens läuten, über dem Nahen Osten wie in der Ukraine, im Sudan, in Haiti, ist die Jugend herausgefordert, sich zu orientieren, wenn sie die neuen Medien nutzen. Frieden benötigt das. Sie brauchen auch geistige Ressourcen, die die mächtigen Kräfte der Zerstörung, die wir in uns zu erleben beginnen, ausgleichen. Möge ihnen die Nüchternheit, die sie als Digital Natives gelernt haben, dabei helfen. Die Zukunft der Erde ist verbunden mit der Treue zu dem Horizont, der sich zwischen den bewegten geistigen Bildern und denen der neuen Technologien spannt.
Bild All Eyes on Rafah. Das Ki-produzierte Bild wurde auf Instagram mehr als 40 Millionen mal geteilt. Quelle: Wikimedia
Dürfen wir – einfach der Wahrheit wegen – diesen Artikel vielleicht doch durch zumindest eine Frage ergänzen? Das Leid, „das mit der Attacke auf Israel am 7. Oktober begann“. Bitte? Gab es zu dieser grauenvollen Hölle nicht eine Vorgeschichte, die mit dem Weltkrieg und der Balfour-Erklärung 1917 begann und mit der Nakba-Vertreibung hunderttausender Menschen 1948 bis heute nicht endete? Läß sich dazu wirklich nicht mehr sagen? Nur Schweigen, Verschweigen?
Korrektur:
DANKE, Herr Lüders! Für Rudolf Steiner war das Anliegen der Zionisten, Israel zu gründen, EIN FEHLER!!! Zum Glück schweigen nicht alle „Goetheanisten“, sondern nur die Vasallen des offiziellen Goetheanums, die „Hügelbrüder“.