Marginalien zu Rudolf Steiners Leben und Werk – 34: In seinen frühen Berliner Jahren war Rudolf Steiner mit der Arbeiterbewegung verbunden. Er hielt viele Vorträge und sprach auch über Frauen, von deren unverbrauchter Geisteskraft in Zukunft noch einiges zu erwarten sei.
Rudolf Steiner beschreibt in ‹Mein Lebensgang› ausführlich, wie er, als die Aufforderung an ihn herankam, an der sozialdemokratischen Arbeiterbildungsschule in Berlin zu unterrichten, ganz eintauchen musste in das proletarische Wesen: «Ich musste in Ausdrucksformen sprechen, die mir bis dahin ganz ungewohnt waren. In die Begriffs- und Urteilsformen dieser Leute musste ich mich hineinfinden, um einigermaßen verstanden zu werden.»1
Zunächst unterrichtete er Geschichte und Redeübungen, ab 1902 kam auch ‹Naturerkenntnis› dazu. Das hatte zur Folge, dass er immer mehr in Arbeitervereine zu Vorträgen eingeladen wurde: «Nun dehnte sich aber gerade durch die Naturwissenschaft meine Unterrichtstätigkeit innerhalb der Arbeiterschaft aus. Ich wurde von zahlreichen Gewerkschaften aufgefordert, naturwissenschaftliche Vorträge zu halten. Insbesondere wünschte man Belehrung über das damals Aufsehen machende Buch Haeckels: ‹Welträtsel›. […] Als das Gutenberg-Jubiläum gefeiert wurde, übertrug man mir die Festrede vor 7000 Setzern und Druckern in einem Berliner Zirkus. Meine Art, zu den Arbeitern zu sprechen, wurde also sympathisch empfunden.»2
Wie sympathisch den Arbeitern Rudolf Steiners Art zu sprechen war, wird deutlich, wenn man sich genauer anschaut, wie oft und über wie viele verschiedene Themen Rudolf Steiner vor ihnen gesprochen hat! So war er von September 1899 bis Anfang 1905, aber vor allem in den Jahren 1900 bis 1902 zu folgenden Berufsgruppen als Vortragsredner geladen: Holzarbeiter, Buchbinder, Tapezierer, Metallarbeiter, Lithografen und Steindrucker, Modell- und Fabriktischler, Möbelpolierer, Graveure und Ziseleure, Holz-, Stein- und Gipsbildhauer und Modelliere, Sattler der Geschirr- und Galanteriebranche, Metallschraubenfabrikarbeiter, Maurer und Putzer, Gas-, Wasser und Heizungsrohrverleger, Schneider und Schneiderinnen, Buchbinder, Stock- und Zelluloidarbeiter, Brauer und Berufsgenossen, Zimmerer, Bauanschläger.3
Außerdem sprach er oft vor sozialdemokratischen Vereinen und Wahlvereinen quer durch Berlin, in Weißensee, Steglitz, Lichtenberg, Adlershof, Rummelsburg, Wilmersdorf, Möhring. Und auch die Frauen- und Mädchenvereine der Arbeiterklasse hatten ihn als Redner entdeckt. Zudem wurde er vom Arbeiter-Abstinentenbund sowie vom Berliner Konsum-Verein eingeladen – und war bei den geselligen Zusammenkünften der Arbeiterbildungsschule fast immer der Festredner.
Welche Themen bewegten die Arbeiterschaft?
Am meisten interessierten die Arbeiter offenbar, wie auch Rudolf Steiner in ‹Mein Lebensgang› erwähnt, naturwissenschaftliche Themen. Über das damals aufsehenerregende, populär geschriebene Buch ‹Die Welträtsel› von Ernst Haeckel, in dem dieser sein monistisches Weltbild als Bindeglied zwischen Religion und Naturwissenschaft anbietet und in diesem die Lösung aller Welträtsel sieht, sprach Rudolf Steiner besonders häufig: «Ich sah in dem positiv biologischen Drittel dieses Buches eine präzis-kurze Zusammenfassung der Verwandtschaft der Lebewesen. Was im Allgemeinen meine Überzeugung war, dass die Menschheit von dieser Seite zur Geistigkeit geführt werden könne, das hielt ich auch für die Arbeiterschaft richtig. Ich knüpfte meine Betrachtungen an dieses Drittel des Buches an und sagte oft genug, dass man die zwei andern Drittel für wertlos halten muss und eigentlich von dem Buche wegschneiden und vernichten solle.»4
Andere gefragte naturwissenschaftliche oder naturwissenschaftlich-geschichtliche Themen waren (gelegentlich mit kleinen Titelvariationen): ‹Die wichtigsten naturwissenschaftlichen Fortschritte des 19. Jahrhunderts›, ‹Die astronomischen Entdeckungen seit Kopernikus›, ‹Der Ursprung des Menschen›, ‹Das Innere der Erde› und – nach gewaltigen Vulkanausbrüchen auf Martinique und in Guatemala 1902 – ‹Erdbeben und Vulkanausbrüche›. Manchmal zeigt sich ein deutlicher Bezug zur Berufsgruppe im gewählten Thema: So interessierte die Metallarbeiter das Thema ‹Die Menschheit vor der Entdeckung des Eisens›, während die Lithografen und Graveure sich Vorträge über ‹Der Mensch vor der Erfindung der Schrift› bzw. ‹Die Entwicklung des Menschen vor Erfindung der Schrift› wünschten.
Interesse bestand auch an historischen oder historisch-sozialen Themen wie ‹Die französische Revolution›, ‹Revolutionäre Strömungen der 1840er-Jahre›, ‹Die Entwicklung der sozialen Bewegung in den 40er-Jahren›, ‹Die Entstehung der modernen Arbeiterbewegung›, ‹Sklaventum und freie Arbeit, einst und jetzt› und ‹Die Kulturerrungenschaften des letzten Jahrhunderts›. Beim Deutschen Metallarbeiterverband in Rixdorf sprach Rudolf Steiner sogar einmal am 5. Dezember 1901 über ‹Soziale Kunst›!
Literarische Themen waren eher selten gefragt. Immerhin trug Rudolf Steiner beim Holzarbeiter-Verband Süd-Süd-Ost über ‹Die deutsche Litteratur in den letzten zehn Jahren› und ‹Kunst und Literatur im Verhältnis zur Naturwissenschaft› vor. Der Buchbinder-Verband interessierte sich für ‹Goethe und die Gegenwart›, aber besonders stachen in dieser Hinsicht die Tapezierer heraus: Für diese Berufsgruppe trug Rudolf Steiner über ‹Goethe und seine Weltanschauung›, ‹Gerhart Hauptmann und das Geistesleben der Gegenwart› und über ‹Das Drama und seine Bedeutung› vor. – Singulär steht ein Vortrag vor den Sozialdemokraten Steglitz über das interessante Thema: ‹Die Bedeutung des Tags›.
Eine weitere Kategorie waren die Einzelvorträge in der Arbeiterbildungsschule, die sich Themen wie ‹Alte und neue Schwarmgeister und Wissenschaftler›, ‹Wie ist wissenschaftlicher Sozialismus möglich?›, ‹Émile Zola› oder ‹Kants weltgeschichtliche Stellung› widmeten. Einmal wurde Rudolf Steiner sogar die Ehre zuteil, am 24. Januar 1903 zum Stiftungsjubiläum der Arbeiterbildungsschule einen Festvortrag über Wilhelm Liebknecht, den Gründer der Arbeiterschule, zu halten. Über diesen Vortrag, dem sich eine Rezitation anschloss, wurde berichtet: «Herr Dr. Steiner wies auf Liebknecht als den Begründer der Schule hin, dessen überlebensgroßes Bild den Saal schmückte. In unsres großen Toten Sinne sei der Kampf nicht um seiner selbst willen zu führen, sondern als Mittel zu dem hohen Ziel der Vervollkommnung der Menschheit. Und in diesem Streben komme das Werk der Arbeiter-Bildungsschule auch in Betracht; in ihrem Unterricht falle eine Saat auf fruchtbaren Boden, die noch späteren Geschlechtern zum Segen gereiche. Die Mitarbeit an den Idealen der Menschheit, das Wirken nach dem von Goethe hinterlassenen Vermächtnis, auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehen: das sei die Aufgabe, deren sich auch hinfort die Arbeiter-Bildungsschule würdig zeigen werde. – Einem Arbeiterfest fehlt offenbar etwas, wenn nicht die Polizeizensur ein bisschen in dem Programm herumverbietet. Sonntagabend wurde aus unersichtlichem Grunde die Rezitation einiger Verse aus der Satire ‹Willis Werdegang› untersagt.»5
Vorträge zu Festveranstaltungen
Oft wurde Rudolf Steiner auch als einleitender Redner zu Festabenden geladen, die bestimmten Dichtern galten, aus deren Werken rezitiert und/oder gesungen wurde – so J. G. Herder, Gerhart Hauptmann und andere –, woran sich gelegentlich noch ein kleiner Ball schloss. Gelegentlich gab es kleine Berichte zu diesen Veranstaltungen. So heißt es über einen Ferdinand-Freiligrath-Abend am 17. Februar 1901: «Herr Dr. Rudolf Steiner verstand es in seinem Festvortrag, in den in großen Zügen entworfenen Abriss des Lebenganges des Dichters mit scharfen Strichen das dichterische Portrait desselben hineinzuzeichnen. Freiligrath, ursprünglich der poetische Schilderer exotischer Stoffe, in der Glut der Farbengebung mit Böcklin vergleichbar, musste erst im Laufe seiner Entwicklung seine große Mission entdecken, der flammende Freiheitssänger der sozial Geknechteten zu werden. Die drei größten deutschen Lyriker des 19. Jahrhunderts könnte man kurz dadurch charakterisieren, dass man Lenau als den Dichter der Wehmut, Heine als den Dichter des Übermuts, Freiligrath als den Dichter des Heldenmuts bezeichne. Und wenn Freiligrath am Ende seines Lebens einmal geäußert habe, dass seine revolutionären Gedichte keine agitatorische Bedeutung mehr besäßen, so habe er sich damit in einem großen Irrtum befunden: seine wuchtigen, lodernden Kampfgesänge begeisterten auch heute noch die Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit. Selbst dann, wenn dem ringenden Proletariat der heißersehnte Tag der Befreiung endlich heraufgestiegen sei, werde der Name Freiligraths unter den Freiheitsdichtern noch in goldenen Lettern strahlen. Die Hörer zollten den begeisternden Worten des Redners begeisterten Beifall.»6
Über einen Abend zu Detlef von Liliencron und Gustav Falke heißt es, dass Dr. Rudolf Steiner «in gewandtem, übersichtlich gruppiertem Vortrage die Entwicklung der deutschen Lyrik seit Goethes Tagen» skizziert und «die Marzipanpoesie der Geibel und Baumbach» geschildert habe – «und darauf die neue, aus den Leiden und kärglichen Freuden des Volkes geborene Dichtung, deren Töne wir seit der Mitte der achtziger Jahre vernehmen».7
Über den Vortrag ‹Soziale Dichter› am 16. März 1902 wurde berichtet: «In einem von Begeisterung eingegebenen Festvortrage wies der tätige Förderer der Schule, Herr Dr. Rudolf Steiner, nach, wie mit dem Emporblühen des Industrialismus die soziale Frage in allen Kulturländern Gegenstand der Dichtung geworden ist. Die hervorragendsten Schriftsteller, welche sich mit der Schilderung des sozialen Elends befassen, wurden treffend skizziert, und nach einer Betrachtung über die neuere deutsche Dichtung und die in ihr eingetretene Reaktion gab Herr Steiner der Fassung Ausdruck, dass aus dem Proletariat selber die Männer entstehen würden, die zu singen und zu sagen wussten nicht allein von den Leiden des arbeitenden Volkes, sondern auch von seinen Hoffnungen, seinem Lieben, seinen Freuden.»8
Und schließlich wird über einen ‹Hamerling- und Lenau-Abend› am 1. November 1903 berichtet: «Herr Dr. Rudolf Steiner veranschaulichte in einem vorzüglichen Vortrag die politischen Zustände, unter denen Lenau und Hamerling in ihrem engeren Vaterlande Österreich reiften. Während Lenau in der Umklammerung der Zensur sein Freiheitslied ‹Die Albigenser› schuf, entwarf der später geborene Hamerling Bilder des gesellschaftlichen Verwesungsprozesses und der neuen Entwicklungskeime, die in dieser Fäulnis zur Reife kamen. Das Epos ‹Ahasver in Rom›, das die Sittenverderbnis unter den Cäsaren mit Makartscher Farbenglut schildert, kann wohl als das gelungenste Werk Hamerlings bezeichnet werden.»9
Man kann nur voller Bewunderung sein! Zum einen für Rudolf Steiner, der sich in so viele Themen einarbeiten und sich auf das jeweils spezielle Publikum einstellen konnte. Das alles neben seinen anderen Tätigkeiten wie der Redaktion des ‹Magazins für Litteratur›, dem regulären Unterricht an der Arbeiterbildungsschule, später dem Aufbau der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, neben seinen Vorträgen im Brockdorff-Kreis und zunehmend auch in anderen Städten. Aber zum anderen kann man nur Hochachtung vor der Arbeiterschaft haben, die einen solch unbändigen Bildungshunger hatte, dass sie sich abends noch Vorträge anhörte oder gar Kurse in der Arbeiterbildungschule belegte, die meist von 21 bis 22.30 Uhr gingen. Und das bei einer damals üblichen Wochenarbeitszeit von 61 Stunden und dazu oft langen Anfahrten mit dem öffentlichen Verkehr durch die Großstadt Berlin.
Der Aberglaube vom Gehirn der Frau
Zuletzt sei noch auf die Themen der Vorträge geschaut, die Rudolf Steiner bei den Mädchen- und Frauenverbänden der Arbeiter hielt. Da gab es zum Beispiel Vorträge über ‹Goethe und die Frauen›, ‹Die Entwicklung des Menschen vor Erfindung der Schrift›, ‹Sklaventum und freie Arbeit einst und jetzt›. Aber er sprach auch zur damals hochaktuellen ‹Frauenfrage›. Ein Vortrag war betitelt ‹Was hat die Naturwissenschaft zur Frauenfrage zu sagen?›, ein zweiter, vom 2. September 1901, trug den interessanten Titel ‹Der Aberglaube vom Gehirn der Frau›. Auf diesen bereitete sich Rudolf Steiner mehrere Tage vor, wie seine tagebuchähnlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit zeigen.10
Von diesem Vortrag ist nun ein etwas ausführlicherer Bericht erhalten, der umso interessanter ist, als uns sonst von diesen Vorträgen vor den Arbeitern – außer den oben zitierten kurzen Erwähnungen – keine Mit- oder Nachschriften erhalten sind. Und so möge dieser Bericht hier als Beispiel für einen solchen Vortrag vor den sozialdemokratischen Arbeiter(innen) stehen: «Dr. Steiner sprach über den Aberglauben vom Gehirn der Frau. Im öffentlichen Leben dürfe der Unterschied der Geschlechter keine Rolle spielen; die Leistung selbst biete den einzigen Maßstab der Wertschätzung. Die Minderwertigkeit der Frau ist eine alt überlieferte Sage, die in ferneren Zeiten oft zu drastischem Ausdruck kam. 1377 wurde den Frauen der Besuch der alten italienischen Universität Bologna verboten, weil: ‹das Weib das Haupt der Sünde ist und die Ursache der Vertreibung aus dem Paradiese›. Jede Unterhaltung mit ihm sei streng zu meiden, die Übertretung des Verbots schwer zu strafen. Als Milderungsgrund für die strengen Herren sei angeführt, dass sie sämtlich katholische Geistliche waren, also zur Ehelosigkeit verurteilte Unglückliche. Und ebenso die Teilnehmer an jenem Konzil, welchem die Frage vorgelegt wurde, ob dem Weibe eine unsterbliche Seele zukomme. Einen Nachklang jener Zeiten meint man zu vernehmen, wenn Professor Bischoff in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts erklärt, so wenig als Kaffer oder Hottentot würde er ein Weib in seinem Hörsaal dulden. Der berühmte Chemiker Liebig ließ seine Zuhörerin hinter einem Ofenschirm sitzen, damit die Studenten sie weder belästigten noch von ihr gestört würden. In praktischer Arbeit haben die Frauen ihre Befähigung zu gelehrten Berufen erwiesen, als noch die Theorie aus der Verschiedenheit der körperlichen Bildung eine wesentliche Verschiedenheit des Geistes von Mann und Weib verkündete. In der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Individuums von seinem ersten Entstehen an fand der Redner den Beweis für die Wesensgleichheit der Seele, wenn auch spätere Einflüsse den Geist nach verschiedenen Richtungen entwickeln. Auch die Vererbung geistiger Eigenschaften von beiden Eltern auf Söhne und Töchter ohne Unterschied spricht laut gegen eine Trennung der Geisteskräfte nach dem Geschlecht. Von den noch unverbrauchten Geistesgaben der Frau verspricht sich der Redner Besserung auf manchem Gebiete des geistigen Lebens, der Erziehung, der Gesetzgebung, der Ausgestaltung des sozialen Lebens zu glücklicheren Daseinsformen. Der anregende Vortrag fand reichen Beifall und frohe Zustimmung.»11
Fußnoten
- Rudolf Steiner, Mein Lebensgang. GA 28, 10., vollständig überarb. Aufl., Dornach 2025, S. 406 f.
- Ebenda, S. 409.
- Vermutlich hielt Rudolf Steiner noch viel mehr Vorträge. So erwähnt er in seinen tagebuchartigen Notizen von 1901 (siehe Anm. 10, S. 33–37) Vorträge, von denen keine Inserate oder sonstigen Unterlagen vorliegen.
- Ebenda, S. 409.
- Beilage zum Vorwärts, 27. Januar 1903.
- Vorwärts, 18. Februar 1901.
- Vorwärts, 29. Oktober 1901.
- Vorwärts, 23. März 1902.
- Vorwärts, 3. November 1903.
- In Notizbuch 34, siehe ‹Archivmagazin› Nr. 10, Basel 2020, S. 28–31.
- Vorwärts, 7. September 1901.
Liebes Goetheanum! Danke für diesen lehrreichen Artikel. Rudolf Steiner hatte ein Herz für die Arbeiterschaft. Privatschulen, Privathochschulen und Privatärzte bringt man dagegen heute mit ihm in Verbindung. So ändern sich die Zeiten. Den Sound der alten Zeit fing Detlev Freiherr von Liliencron 1889 mit dem Gedicht „Dichterzunft“ ein. Dieses Gedicht ist über ein Jahrzehnt vor Steiners Wirken für die Genossinnen und Genossen entstanden, ich zitiere:
„Fort mit der Limonadenbowle
Er macht uns krank, der süße Trank“
Das bedeutet: Man kann nicht immer nur Limondade schlecken, auch wenn das ein angenehmer Effekt der Industrialisierung ist. Es gibt Limonade, Shampoo und Impfstoff für wenig Geld. Dennoch sind Menschen unzufrieden und wissen nichts mit sich anzufangen, wollen lieber „Künstler“ sein und so weiter.
Das Gedicht habe ich in Wuppertal gefunden:
https://www.lyriktheorie.uni-wuppertal.de/texte/1889_liliencron.html
Dort gibt es auch noch andere Gedichte und Texte. Gottsched („Von Oden oder Liedern“), Klopstock („Der Lehrling der Griechen“), Stolberg („Über die Fülle des Herzens“), Schiller („Die Götter Griechenlandes“) und so weiter. Auch fremdländische Dichter sind dabei, Walt Whitman und Charles Baudelaire zum Beispiel, die hat Rudolf Steiner aus Zeitgründen nicht zur Kenntnis nehmen können, so wie Detlev Freiherr von Liliencron, der sich auch eher (nur) mit Goethe und Schiller, oder bestimmten Teilen ihres Werkes, beschäftigt hat.
Er [Lukian] sagte sich daher, warum soll ich Phidias nachfolgen, warum dem Homer? Da bleibe ich ja ein armer Kerl. Er folgte der zweiten Frauengestalt und wurde Wanderredner, ein Redner ganz eigentümlicher Art, ein Redner ohne Bildungsgrundlage. Bildung hieß dazumal: ohne etwas zu wissen, ohne ernstlich studiert zu haben, zu den Leuten zu reden so wie man heute in der Zeitung schreibt.
Abdruck 1983 in „Über Philosophie, Geschichte und Literatur“, Bibl.-Nr. 51.
Nachschrift Berlin, 19. Juli 1904. „Dieser Vortrag ist der einzige des vorliegenden Bandes, der mitstenographiert wurde […]“.
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So lernt man dazu. Nicht über den wilden Tanzabend nach dem lehrreichen Steinervortrag nachdenken. Buch aus dem Regal ziehen und nachschlagen!
Ich gedenke auch nicht, Phidias und Homer zu folgen. Ich möchte lieber selbstgebastelte Stoffblumen in Wirtshausstuben verkaufen.
Danke, liebe Frau Dr. Sam, für den neuen Aufsatz. Ich freue mich schon riesig auf den dritten Band von „Rudolf Steiner“!!