Srijan Gupta ist Arzt in Indien. Seine eigene Erfahrung mit Burn-out hat ihn zu einer spirituellen Reise veranlasst und zur Anthroposophischen Medizin geführt. Charles Cross sprach mit ihm darüber.
Erzähle uns doch bitte etwas über dich!
Srijan Gupta Ich bin Arzt. Ich habe in Indien Schulmedizin studiert und brauchte nach dem Studium erst mal eine Auszeit, weil ich mich völlig ausgebrannt fühlte. Ich habe das Studium als extrem stressig empfunden und brauchte Zeit für mich. Gleichzeitig brannte in mir eine spirituelle Frage, eine Gewissensfrage. Auf der Suche nach Antworten begegnete ich der Lakshmi Prasanna, die meine Mentorin wurde. Sie ist anthroposophische Ärztin und schon lange intensiv in der Waldorfpädagogik in Indien tätig. Sie bildet auch weiterhin Lehrkräfte in Indien, Australien und den USA aus. Unsere Begegnung war für mich lebensverändernd: Sie führte mich aus meiner normalen Realität heraus, in der ich das Wort ‹Anthroposophie› nicht einmal kannte, obwohl ich hier und da schon vage von biodynamischer Landwirtschaft und Waldorf gehört hatte.
Als ich ihr und dieser Welt der Anthroposophie begegnete, war es, als hätte meine Suche nach Wahrheit, nach dem Geistigen in der Medizin endlich zum Ziel geführt. Man muss einen Menschen nicht wie einen Mechanismus anschauen. Man braucht ihn nicht nur als Funktion von Neurotransmittern und Hormonen, Nerven und Blutgefäßen oder von Drähten in einer Maschine zu betrachten. Aber ich brauchte den physischen Körper auch nicht zu ignorieren. Ich konnte auf meiner konventionellen Ausbildung aufbauen, was ich wichtig finde, damit ich mich nicht in Ansichten oder Dingen verliere, die geistig sind, aber keine Fundierung haben.
Du warst also reif für die Anthroposophie. Ich würde gern mehr über deinen spirituellen Weg hören und wie er mit deinem indischen Erbe zusammenhängt.
Ich wuchs in einer Hindu-Familie auf, die aber diesen Glauben nicht konsequent praktizierte. Wir waren zu Hause 13 Personen, eine Großfamilie. Das mag für dich überraschend sein, aber bei uns war das relativ normal. Die Menschen brauchen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und eine feste Grundlage, um zu überleben und erfolgreich zu sein. So sind Land und Menschen miteinander verwoben. In diesem Gewebe ist Spiritualität fast wie Luft: Man sieht sie nicht, aber sie ist überall. Wir feierten und beteten, aber nicht extrem. Als ich jünger war, schickte mich meine Mutter in ein Krishna-Lager. Aber ich fand die monotonen Gesänge furchtbar und schwor mir: «Da gehe ich nie wieder hin.» Ich glaube, diese Ablehnung und mein Verlangen nach einer Identität außerhalb meiner gewohnten Umgebung waren Ausdruck eines Gefühls extremer Enge. Ich hatte nicht genügend Raum und wollte mich selbst finden.
Und dann fand ich genau das, wovor ich weggelaufen war. Interessanterweise war das nach dem Abschluss meines Medizinstudiums, als ich gerade mit psychischen Problemen kämpfte. Da wurde mir klar: «Ich kann nicht länger weglaufen.» Genau dann öffneten sich Türen auf meiner geistigen Suche und ich erkannte: «Wo ich bin, dieses Land, dieser Ort, ist ein Juwel. Ich lebe an einem Ort, der einen spirituellen Schatz birgt.» Irgendwie wird einem Gnade zuteil, wenn man es am wenigsten erwartet. Menschen kamen auf mich zu, Gespräche fanden statt, es kamen Bücher, es kamen Meister. Und allmählich kam das, vor dem ich weggelaufen war, auf mich zu und ich konnte es annehmen, weil es sich anders darstellte. Das war eine wirkliche Begegnung.
Wie war dein beruflicher Werdegang in dieser Zeit?
Für eine Weile stand meine spirituelle Suche im Gegensatz zu meinen materiellen Grundlagen. Ich war innerlich ziemlich aufgewühlt in jener Zeit. Ich war Arzt in einem Land mit Ärztemangel, war aber nicht im Krankenhaus tätig. Ich arbeitete ein wenig in einer Covid-Notaufnahme, an einem Forschungsprojekt über Tuberkulose-Impfstoffe und als Berater für die gesundheitlichen Auswirkungen von Luftverschmutzung. Aber irgendwann war mir klar: Es gibt keinen Weg zurück. Ich muss irgendwo anders hin. In diesem Vakuum, zum ersten Mal ohne Einrichtung und ohne festen Boden unter den Füßen, bot mir Lakshmi Prasanna Arbeit in einer heilpädagogischen Schule an. Die Schule heißt V-Excel Education Trust und befindet sich in Chennai, einer Stadt in Südindien. Sie gehört zum Dachverband Kaleidoscope Learning, der sich um Kinder und junge Erwachsene mit Autismus, Down-Syndrom oder Fragilem-X-Syndrom kümmert und Rehabilitation und Berufsausbildungen anbietet. Die Begegnung mit dieser Schule war mein erster Schritt in Richtung Anthroposophie. Ich traf Eurythmistinnen und Eurythmisten, anthroposophische Ärztinnen und Ärzte, und es war klar: Das ist meine Arbeit. Ich behandle die Betreuenden, Lehrpersonen und Kinder in der Schule mit alternativen Therapien.
Wie siehst du deinen zukünftigen Weg?
Ich denke, mein Weg liegt im Bereich der ganzheitlichen Medizin. Ich habe in den letzten Jahren sehr viel Zeit damit verbracht, verschiedene Ansätze zu lernen: Prana-Heilung, Reiki, Klopfakupressur und Akupunktur. Gegenwärtig studiere ich Anthroposophische Medizin am Emerson College (UK). Ich hoffe, dass mir meine Beschäftigung mit alternativen Methoden zu einem neuen Verständnis von Gesundheit verhilft, Gesundheit in mir und draußen in der Natur. Ich würde gern allopathische und Anthroposophische Medizin zusammenbringen und Inspiration in alternativen Medizinrichtungen suchen, um eines Tages ohne Medikamente wie Antibiotika, Fiebersenker etc. auszukommen. Aber als Nächstes will ich meine anthroposophischen Kenntnisse vertiefen. Ich habe vor, bald nach Kanada zu reisen, um dort von einem Kollegen zu lernen, der Traditionelle Chinesische Medizin praktiziert und Schulmedizin und Anthroposophische Medizin studiert. Wir wollen auch einen anthroposophischen Onkologen in Alberta besuchen. So werde ich hoffentlich ein Gefühl für diese Art von Arbeit entwickeln. Mein Ziel ist es, irgendwann wie meine Mentorin Lakshmi Prasanna zu arbeiten. Sie ist Kinderärztin, arbeitet mit Kindern mit Unterstützungsbedarf und als Schulärztin.
Mehr V-Excel Educational Trust
Übersetzung Aus dem Englischen von Margot M. Saar.