Es wird oft gesagt, dass Rudolf Steiner eine außergewöhnliche Fähigkeit besaß, den Seelenzustand anderer zu erspüren und sich in ihn oder sie hineinzuversetzen. Er war in der Lage, sich selbst zurückzunehmen und die Charaktere und Schicksale anderer Menschen empathisch zu erleben.
Er soll auch ein sehr aufmerksamer Beobachter gewesen sein, immer mit einem Auge auf Details in Haltung und Gestik. Durch das Studium der charakteristischen körperlichen Eigenheiten der Menschen war er wohl sogar in der Lage, deren frühere Leben in der Akasha-Chronik zu entdecken.
Bei solch ausgeprägter Einfühlungs- und Beobachtungsgabe ist es nicht verwunderlich, dass er auch ein brillanter Schauspieler war. Er gab nie eine vollständige, professionelle Vorstellung, obwohl er als Regisseur der Mysteriendramen auf die Bühne trat, um die Stimme und Körperlichkeit bestimmter Figuren zu demonstrieren. Am bekanntesten ist seine Rolle als Ahriman. Indem er die Konsonanten anspannte und einen Zustand innerer Verzweiflung heraufbeschwor, schockierte er offenbar seine Zuschauer mit der erschreckenden Realität seiner Darstellung. «Es ist wichtig, diesen Herrn kennenzulernen», erklärte er später. Diese Aussage erzählt viel über die Verbindung seiner Arbeit als spirituell Forschender und dem Handwerk der Schauspielerei, wie er es praktizierte.
Das Schlüsselwort ist ‹Wissen›. Als Forschender in höheren Welten erlangte Steiner oft Wissen über Dinge, indem er sein Bewusstsein empathisch mit anderen Wesen und Entitäten verband. Seine Entdeckung des fünften Evangeliums, die ihm durch das Einstimmen seines Bewusstseins auf den Jünger Petrus gelang, ist ein sehr deutliches Beispiel dafür. In ähnlicher Weise kannte er als Schauspieler seine Figuren und wurde mit ihnen eins, indem er tatsächlich – in einem inneren, esoterischen Sinn – mit ihnen verschmolz. Im Kurs für Sprache und Drama wird die intellektuelle Grundlage dieses Ansatzes angedeutet, wenn es heißt, dass die großen Charaktere des Dramas – weit davon entfernt, nur Hirngespinste des Dichters zu sein – tatsächliche Wesenheiten auf der Astralebene sind, mit denen man sich verbinden und kommunizieren kann. Hamlet existiert als reales Wesen im geistigen Raum. Die meisten Schauspielenden, die dies ahnen, versuchen auf unterschiedliche Weise, mit der höheren Dimension ihrer Figuren in Kontakt zu treten, und Steiner hat dies sicherlich praktiziert.
Er hatte ein hohes geistiges Bewusstsein für Sprache und Sprachgestaltung kultiviert. Worte waren für ihn keine bloßen ‹Bedeutungseinheiten›, sondern Noten in der großen Symphonie der Schöpfung, die von der Gottheit ausging. Die Laute der Sprache waren nicht zufällige, vokale Ausdrücke, sondern tatsächliche, geistige Wesen, mit denen man zu kommunizieren lernen konnte.
Steiner soll einmal gestanden haben, dass er gerne Bauer geworden wäre. Offenbar hätte er gerne seine größere Aufgabe als spiritueller Lehrer beiseitegelegt und den bescheidenen Pflug in die Hand genommen. Nach allem, was wir über seine schauspielerische Begabung und seine Verbundenheit mit der Theaterkunst wissen, kann ich mir vorstellen, dass er auch gerne ein Leben auf der Bühne geführt hätte.
Mit Rudolf Steiner als … überschreiben wir eine Reihe von Artikeln zum 100. Todesjahr Rudolf Steiners.