Unwissenschaftlich und manipulativ

Thomas Mayer und ein Kreis von über 50 anonym auftretenden Menschen in der Schweiz und in Deutschland berichten in dem Buch ‹Corona-Impfungen aus spiritueller Sicht› über ihre «übersinnlichen Beobachtungen» zur Covid-19-Erkrankung und den Corona-Impfungen.


Die verschiedenen Arbeitsgruppen, die miteinander lose verknüpft scheinen, gehen dabei von einem lebendigen Wesen jedes Impfstoffs aus. Die Impfstoffe wurden ‹untersucht›, indem man z. B. Impfstoffampullen in der Hand hielt. Dabei werden Wahrnehmungen «extrem böser» Wesen mit einem «Vernichtungswillen» (S. 84) gegen alles Menschliche und entsprechend zerstörerische Wirkungen der Impfstoffe geschildert.

In einem kürzeren Abschnitt berichten Therapeuten über ihre Erfahrungen an Geimpften, bei denen sie Verdichtung und weniger Schwingungsfähigkeit im Gewebe und Verhärtung im Seelischen spürten und eine Schädigung der Aura der Geimpften schildern. Die Autoren beschreiben ausführlich Corona-Impfschäden, die sie an Verstorbenen beobachtet hätten. Deren nachtodliches Leben würde durch die Impfstoffe massiv beeinträchtigt mit entsprechenden Folgen für künftige Inkarnationen. Aber auch die Covid-Erkrankung selbst sei «so massiv wie fünf [welche?] Krankheiten zusammen» (S. 136).

Verschwörerische Grundhaltung des Buches

Das Buch besteht aus vier Teilen: Wahrnehmungsberichten, Beiträgen anderer Autoren, Diskussion und Zusammenfassung. Im Abschnitt ‹Physisch Sichtbares› behaupten die Autoren, es gäbe wirksame Medikamente, die aber absichtlich verschwiegen würden, um Impfdruck aufzubauen. Auch Lockdowns und die Einschränkung der Grundrechte seien dafür ein erpresserisches Mittel. Der PCR-Test habe eine Schlüsselrolle, um positiv Getestete als infiziert zu bezeichnen, obwohl er «bestenfalls eine ‹Kontamination›» (S. 23) sei. Die Impfungen seien wirkungslos, aber stark gesundheitsschädlich und mit hohen Todeszahlen behaftet. Im Diskussionsteil geht Mayer noch weiter. Sars-CoV-2 sei im Labor erzeugt worden in «schwarzmagischer» (S. 305) Intention. Die Freisetzung des Virus sei kein Unfall gewesen, sondern von einer internationalen «Impf- und Virusmafia» (S. 308) bewusst herbeigeführt worden.

Geisteswissenschaftliche Minimalkriterien nicht erfüllt

Die systematische, selbstkritische Übung und Entwicklung übersinnlicher Wahrnehmungsfähigkeit ist ein erklärtes Ziel des anthroposophischen Schulungsweges. Wenn Menschen auf diesem Weg tätig sein wollen, bedarf dies, noch in viel strengerem Maße als bei herkömmlicher wissenschaftlicher Forschung, einer entsprechenden Transparenz und methodischen Sauberkeit. Zu den üblichen Grundvoraussetzungen wissenschaftlicher Arbeit gehören Gewissenhaftigkeit, selbstkritisches Hinterfragen des eigenen Vorgehens, Transparenz bzgl. der Bedingtheit von Untersuchungsmethodik und -gegenstand, Zurückhaltung von Urteilen, Offenlegung von Motivations- und Interessenkonflikten etc. Dieses Buch erfüllt diese Anforderungen in keiner Weise:

• Mit angeblich über 50 anonymen AutorInnen fehlt ein Mindestmaß an Transparenz.

• Das Buch verortet sich von vorneherein so extrem im corona- und impfskeptischen Narrativ und damit negativen Vorerwartungen, dass eine objektive Beobachtungssituation nicht gegeben war. Auch der sensationelle Stil weist darauf hin, dass es an notwendiger Nüchternheit und Unvoreingenommenheit mangelte. An keiner erkennbaren Stelle des Buches wird ein selbstkritisches Hinterfragen des eigenen Vorgehens erkennbar.

• Es gibt keinerlei Hinweise auf sonstige wissenschaftliche Tätigkeiten der geheim gehaltenen Gruppen. Es gibt unserer Kenntnis nach auch keine diskursiven Arbeitsbeziehungen dieser Gruppen zur Anthroposophischen Medizin.

• Das Buch versucht massiv Angst zu schüren und ist nicht freilassend, wie es von seriöser Geisteswissenschaft zu erwarten wäre. Mit nicht überprüfbaren Aussagen wird vor der Impfung gewarnt, wie vormals in kirchlichen Drohungen vor Höllenqualen. Die Autoren bedienen denselben Angstreflex, den sie der Politik vorwerfen.

• In der naturwissenschaftlichen Forschung kommt man, abhängig vom Beobachtungskontext, oft zu abweichenden Resultaten. Auch bei der Lektüre von Texten Rudolf Steiners trifft man auf zumindest scheinbare Widersprüche, wenn geistige Sachverhalte von verschiedenen Perspektiven angeschaut werden. Bei Mayer und seinen Mitarbeitern gibt es nur Eindeutigkeit: Alle 50 Menschen kommen immer wieder zum gleichen, unwiderruflichen Ergebnis. Dies entbehrt jeder Glaubwürdigkeit.

• Unter anthroposophischen Ärztinnen und Ärzten, zu denen die Autoren dieser Rezension gehören, sind viele in die Betreuung von Covid-PatientInnen sowie geimpften und ungeimpften Menschen involviert und verfügen über einen reichen Erfahrungsschatz aus geschulter Beobachtung. Unsere eigenen Beobachtungen widersprechen der Darstellung in dem von Mayer vorgelegten Buch.

Schaden für die Anthroposophie

Dieses Werk ist methodisch in allen erkennbaren Bereichen nicht seriös, es ist unwissenschaftlich, manipulativ und hat mit anthroposophischer Geisteswissenschaft und Anthroposophischer Medizin nichts zu tun. Gerade beim Anliegen, Signaturen der gegenwärtigen Zeitsituation tiefer zu verstehen, braucht es eine solide wissenschaftliche Methodik, der sich die Anthroposophie und die durch sie inspirierte Medizin verpflichtet fühlen.

Der Schaden für die Anthroposophie, der durch dieses sich gut verkaufende Buch entstehen wird, ist noch nicht abzusehen. Die Co-Autoren und -Autorinnen bleiben anonym, weil sie «nicht Ziel einer Diffamierungskampagne» (S. 17) werden wollen, scheuen sich jedoch nicht, Rudolf Steiner und seine Anthroposophie für ihre zweifelhafte Arbeit zu vereinnahmen, denn Rudolf Steiner hätte genau das vorausgesagt, was in dem Buch beschrieben wird. Dieser Anspruch muss klar zurückgewiesen werden. In dem von Rudolf Steiner selbst veröffentlichten Werk findet sich kein Anhalt zu einer solchen Aussage, weder im Inhalt und noch sehr viel weniger in der methodischen Art und Weise der Darstellung.


Grafik: Fabian Roschka

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