Cambridge, USA. 2025 ist das 100. Todesjahr von Rudolf Steiner. Wie lebt er in einzelnen Menschen weiter? Dan McKanan, Professor an der Harvard Divinity School und Verfasser mehrerer Bücher zur anthroposophischen Bewegung, gibt seine Antworten.
Welcher Satz von Rudolf Steiner hat dich berührt und warum?
Ich liebe diesen Satz aus dem ‹Landwirtschaftlichen Kurs›: «Denn in der Natur […] hängt doch alles, alles zusammen.» Er erinnert mich daran, dass die wichtigsten Zusammenhänge vielleicht diejenigen sind, die ich noch nicht erkannt habe.
Wo hat dich die Anthroposophie irritiert?
Ich habe festgestellt, dass viele Anthroposophen Steiner mehr schätzen als sich selbst. Was mich an der Anthroposophie aber eigentlich inspiriert, ist, wie ganz normale Menschen Steiners Impulse in Biodynamik, Waldorfpädagogik, Camphill und anderen Initiativen in die Tat umsetzen. Nur durch diese Initiativen findet Steiners Geist seinen Platz in der materiellen Welt.
Für welche Lebensfragen ist dir Anthroposophie besonders wichtig?
Ich war schon immer misstrauisch gegenüber übermäßiger Macht von wirtschaftlichen Unternehmen und vom Staat. Gleichzeitig weiß ich die Vorzüge, die Regierungen und Unternehmen bieten, zu sehr zu schätzen, um einen Ansatz wie im Anarchismus vertreten zu können. Die soziale Dreigliederung beschreibt, dass Regierungen, Unternehmen und kulturelle Institutionen alle wichtige Werte vertreten, ein Mangel an Ausgewogenheit diese Werte jedoch in Schwächen verwandeln kann.
Wo hat Anthroposophie dein Leben verändert?
Steiners Präsentation der goetheanistischen Wissenschaft hat mich dazu inspiriert, meine Art des historischen Forschens zu ändern. Bei meiner aktuellen Forschung zum Waldschutz in Boston habe ich beschlossen, keine Hypothesen zum Thema aufzustellen. Stattdessen machte ich einen Waldspaziergang durch all die Gebiete, die unter Schutz gestellt wurden, um sie in ihrer Komplexität zu erleben. So wurde das Land mein Lehrer, und es lehrte mich Überraschendes – über Wälder, über Vorfahren, Behinderung und Kapitalismus.
Kontakt dmckanan@hds.harvard.edu
Bild Dan McKanan