Die bio­dynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit

Welche Verbindungen gab es zwischen biodynamischen Akteurinnen und Akteuren und NS-Organisationen? Welche Beweggründe führten zu ihrem Verhalten während der Diktatur? Diesen Fragen widmet sich die Studie ‹Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit› (2024), die nun als Buch veröffentlicht und am 2. Juli im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors in Berlin vorgestellt wurde.


Das unabhängige Wissenschaftsteam, bestehend aus Jens Ebert, Susanne zur Nieden und Meggi Pieschel, stellte seine Forschungsergebnisse über 160 Interessierten vor; die öffentliche Veranstaltung moderierte die Historikerin Daniela Münkel. Projektauftraggeber waren Demeter Deutschland, die Biodynamic Federation Demeter International und die Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum – Freie Hochschule für Geisteswissenschaft. Finanziert wurde sie von den Auftraggebern und drei Stiftungen (Software AG Stiftung, Edith Maryon Stiftung und Rudolf Steiner Fonds).

Differenzierte Studie auf breiter Datenbasis

In ihrer Studie zeichnet das wissenschaftliche Team die biodynamische Geschichte bis in die frühe Nachkriegszeit auf breiter Quellenbasis nach. Bei den Forschungen, die 2020 begannen, war das Team überrascht von der Menge des Quellenmaterials über die damals nicht mehr als 2000 Personen, die sich zur biodynamischen Bewegung zählten. Sie untersuchten unter anderem mehr als 10 000 Seiten aus dem NS-Überwachungsapparat, zudem Unterlagen aus mehr als 30 weiteren Archiven und Nachlässen. Dabei fragen die drei Forschenden nach ideologischen Überschneidungen und Formen der Zusammenarbeit, thematisieren aber auch «gravierende Unterschiede zwischen der biodynamischen und der nationalsozialistischen Bewegung sowie die vielfältigen Formen des Widerstehens von Anhängern und Funktionären», wie Daniela Münkel in der Einleitung schreibt. «Mit diesem Buch wird die bisherige sehr polarisierte, zum Teil auch emotionalisierte Debatte über das Thema weiter versachlicht, und es werden neue, quellengesättigte Erkenntnisse in die Diskussion eingebracht.»

Die Studie zeichnet nach, wie sich die Mitglieder der biodynamischen Verbände bereits im Sommer 1933 für eine Eingliederung in den NS-Staat entschieden – die Alternative wäre die Selbstauflösung gewesen. Während der nationalsozialistischen Diktatur konnte die biodynamische Bewegung zunächst wachsen, bis sie im Sommer 1941 durch die Gestapo aufgelöst wurde. Danach wurden einige biodynamische Fachkräfte jedoch von der SS für deren Anbauanstalten rekrutiert – etwa für die Mitarbeit im KZ Dachau.

Kollaborateure aus den Reihen der biodynamischen Bewegung

Erhard Bartsch leitete damals die Geschäftsstellen des Versuchsrings und des Demeter-Wirtschaftsbunds sowie die Monatsschrift. Mit der Gründung des Biodynamischen Reichsverbands im Jahr 1933 akzeptierten die Akteure die neuen Bedingungen, das ‹Führerprinzip› wurde eingeführt und Jüdinnen und Juden wurden ausgeschlossen. Der Schutz von Führer-Stellvertreter Rudolf Heß, Anhänger der biodynamischen Wirtschaftsweise, führte ab 1934 zu institutionellen Verknüpfungen mit dem NS-Staat, ohne die eine organisierte biodynamische Landwirtschaft wohl nicht möglich gewesen wäre. Der Reichsverband wurde dann 1941 verboten – das Ende der institutionellen Kooperation. Allerdings ließ SS-Reichsführer Himmler sechs biodynamische Fachkräfte von der SS rekrutieren, um bei biodynamisch-gärtnerischen Versuchen im KZ Dachau mitzuwirken: ein Fall der Kollaboration. Der Gärtner Franz Lippert musste sich nach 1945 als Einziger einem Entnazifizierungsverfahren stellen und wurde, wie die Mehrzahl der Deutschen, entlastet, so die Studie.

Zwar sind die biodynamische und die nationalsozialistische Bewegung zeitgleich entstanden und teilten ähnliche zeittypische Auffassungen der Reformbewegung wie etwa Kritik an der zunehmenden Rationalisierung des Lebens. Doch wie die Studie zeigt, waren die Lösungsansätze beider Bewegungen sehr unterschiedlich: «Überrascht hat uns auch, dass in unserer Textanalyse von biodynamischen Schriften, selbst in jenen Texten, die nach 1933 explizit an NS-Stellen adressiert wurden, keine Zustimmung zu den zentralen NS-Ideologemen – Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus, Imperialismus und der Vernichtung ‹unwerten› Lebens – enthalten sind», so ein Fazit der Forschenden.

Internationale Bewegung – mit klarer Positionierung gegen Rechtsextremismus

Demeter-Vorstand Alexander Gerber dankte ausdrücklich den beiden Autorinnen, dem Autor und dem fünfköpfigen wissenschaftlichen Beirat für die intensive und ergebnisreiche Arbeit und hob hervor: «Nun sind wir als biodynamische Gemeinschaft auf wissenschaftlichem Niveau gesprächsfähig und haben differenzierte Antworten und können als Verband auch Stellung beziehen: Als ideelle Nachfahren der damaligen biodynamischen Protagonisten nehmen wir unsere Verantwortung ernst und distanzieren uns von der aktiven Kollaboration einiger Biodynamiker, speziell von derem Mitwirken in den landwirtschaftlichen Anstalten der SS in Konzentrationslagern. Wir verurteilen zudem die versuchte Anbiederung mit Größen des NS-Systems und den Ausschluss jüdischer Mitglieder aus dem biodynamischen Reichsverband.»

«Klar ist auch: In der Anthroposophie ist das Gegenteil von Rassismus angelegt. Heute distanziert sich die Satzung des Demeter-Verbandes ausdrücklich von Rechtsextremismus und Rassismus. Als weltweite und in unterschiedlichsten Kulturen und Religionen aktive Bewegung treten wir extremistischen und ausschließenden Gedanken oder Praktiken entschieden entgegen – gemäß dem humanistischen Entwicklungsanspruch ihrer Grundlage, der Anthroposophie», so der Demeter-Vorstand.


Hintergrund

Studie Jens Ebert, Susanne zur Nieden und Meggi Pieschel, Die biodynamische Bewegung und Demeter in der NS-Zeit. Akteure, Verbindungen, Haltungen. Metropol-Verlag, 477 Seiten, 34 Euro, auch als eBook (27 Euro).

Interview mit den Autorinnen und dem Autor in ‹Lebendige Erde› (Ausgabe 6-2023): ‹Biodynamisch in der NS-Zeit›.

Stellungnahme von Demeter Deutschland, der Biodynamic Federation Demeter International und des Goetheanum – Sektion für Landwirtschaft vom Oktober 2020: ‹Die Biodynamische Bewegung steht für Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Pluralismus und Kosmopolitismus und distanziert sich klar von Extremismus und menschenfeindlichen Bestrebungen›

Stellungnahme von Demeter Deutschland: ‹Demeter gegen Rechtsextremismus›

Bild Landwirtschaftliche Mitarbeiter auf Gut Heynitz. Die Rechte liegen bei Familie Heynitz. Jahr und Fotograf unbekannt, ca. 1935.

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare