Wenn das Leben unsicher wird, der Boden wankt, man sich verloren fühlt, dann greift man häufig nach Zeugnissen aus früher Zeit, blättert in Tagebüchern, sucht Inspiration und Beistand in der eigenen Geschichte. Das Jetzt verliert vor dem größeren Horizont seinen Schrecken. Der gefesselte Blick wird frei. Was so persönlich gilt, das gilt auch menschheitlich. Da sind es die großen Erzählungen, da ist es der Mythos, der weit zurückgreift und vorausblickt, der ganz ähnlich die ‹Einheit der Zeit› ermöglicht. Viele, die an der Schwelle zum Tod standen und für eine Zeit darüber hinausgingen, beschreiben in ihren Nahtoderfahrungen, dass sich das Leben als Panorama, als Tableau zeigt. Aus dem Nacheinander wird in dieser Schau ein Nebeneinander. Aus dieser Sphäre des Überzeitlichen schöpft der Mythos, dessen ‹In illo tempore› – das ‹Es war einmal› – eine außerhalb der Zeit liegende Wirklichkeit ist, die sich fortwährend ereignet.1 Andrea Pfaehler, Regisseurin der kommenden ‹Faust›-Inszenierung, kurz: «Das Stück ‹Faust› ist ewig.» Sie ergänzt: «Wir können es spielen, weil wir selbst aus einer Ewigkeit kommen und in eine Ewigkeit gehen.»
Foto Xue Li