Eine kosmisch-irdische Frage

Ein Weckruf und eine Dokumentation über den Stand der Biodynamik in der Welt, die ermutigend wirkt.


Ausrufezeichen sind vielsprachige Wesen. Sie verleihen einer kurzgefassten Aussage Dynamik, sind ein Weckruf. Darum geht es in dem Buch ‹Biodynamisch!›: um das Aufwecken – darum das Ausrufezeichen im Titel. Ein guter Griff der beiden Autoren Ueli Hurter, Landwirt, Koleiter der Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum sowie Mitglied des Vorstandes der Anthroposophischen Gesellschaft und Ruedi Bind, Autor von Kurzprosa, Minigeschichten, Theater- und Hörstücken sowie Amateurbotaniker mit poetischem Blick.

Das Buch beginnt im Jetzt und buchstabiert sich durch hundert Jahre Landbau der ganz besonderen Art bis hin zu seinem Ausgangspunkt: eine Vortragsreihe von Rudolf Steiner für Landwirte im Juni 1924. Die Philosophie seit Menschengedenken im Gepäck, verlor sich der Redner jedoch nicht in philosophischen Exkursen und moralischen Appellen, sondern ganz frei, ohne Manuskript, diktierte er den Landwirten die Grundsätze der Fruchtfolge und Kompostierung, der Düngung und Viehhaltung in ihre Quarthefte. Dabei zeichnete er wie selbstverständlich die Verbindungslinien zwischen Erde und Kosmos, irdischen Stoffen und planetarischen Kräften und pointierte die Unterschiede zwischen einer materialistischen und einer spirituellen Anschauungsweise: «Also es handelt sich dabei durchaus um eine Frage, die im allereminentesten Sinne eine, ich möchte sagen, kosmisch-irdische Frage ist. Gerade bei der Landwirtschaft zeigt es sich, dass aus dem Geiste heraus Kräfte geholt werden müssen, die heute ganz unbekannt sind und die nicht nur die Bedeutung haben, dass etwa die Landwirtschaft ein bisschen verbessert wird, sondern die die Bedeutung haben, dass überhaupt das Leben der Menschen – der Mensch muss ja von dem leben, was die Erde trägt –  eben weitergehen könne auf Erden auch im physischen Sinne.»1

Lob den Abkürzungen

Die Autoren suchen die Begegnung mit ihren Lesern und Leserinnen in der Gegenwart. Beispiel Indien: 1998 gründete Benita Sha ein Unternehmen für biodynamische Präparate, das den Namen Supa Biotech trägt. Was um Himmels Willen will uns Supa sagen? Für die Firmengründer war es sofort klar: Es war Rudolf Steiner, der wichtige Anstöße für biologischen Landbau gab und so stehen diese vier Buchstaben für ‹Steiner’s Universal Philosophy for Agriculture.› Ist doch ganz einfach, oder? In Mitteleuropa wäre solch eine Namensgebung undenkbar, denn nur allzu oft beugt man sich irgendwelchen Kritikern in den Medien, die auf dem Mainstream herumscrollen und weder das Prinzip des Biodynamischen, noch die Geisteswissenschaft von Rudolf Steiner eingehend ergründet haben. Da outet man sich dann lieber nicht. Doch zurück zu Indien:  Wenig später entstand eine Schwesterorganisation unter dem Kürzel SARG, ein Unternehmen, das die Umstellung von konventioneller zu organischer und biodynamischer Landwirtschaft fördert und 2012 von der Regierung des indischen Bundesstaates Maharashtra (Hauptstadt Mumbai) mit dem renommierten Preis ‹Krishi Bhushan Award› ausgezeichnet wurde. Die Abkürzung SARG steht für ‹Steiner’s Agriculture Research Group›.

Abkürzungen gehören zur Entwicklung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft wie Horn-Mist-Präparate, Kühe mit Hörnern und Hofgemeinschaften. Sie spiegeln Formen der Kommunikation, der Zusammenarbeit, der Vernetzung und der Aufklärung mal lokal, mal global, mal im Dienste der Natur, mal im Dienste der Wissenschaft. Das ist das Besondere an dem hier vorzustellenden Buch, aufzuzeigen und nachvollziehbar zu machen, wie in der biologisch-dynamischen Landbaubewegung Praxis und Forschung Hand in Hand gehen, ob im Zusammenhang mit der Tierhaltung, der Düngung, der Pflege des Saatgutes oder des Bodens: «Die biodynamische Bewegung ist ein forschendes, lernendes und innovatives Netzwerk.» (S. 94)

Ausnahmeerscheinungen

All dies wird von Menschen in über 50 Ländern auf allen Kontinenten geleistet. Da ist der Schweizer Saatgutzüchter Peter Kunz, kurz GZPK (Getreidezüchtung Peter Kunz), oder Georg Michaelis, preußischer Beamter und für dreieinhalb Monate Reichskanzler während des turbulenten Kriegsjahres 1917, einer der Mitbegründer der Demeter-Bewegung. Hartmut Spieß, wissenschaftlicher Leiter von ‹Züchtung und Forschung Dottenfelderhof› wurde 2021 vom deutschen Bundespräsidenten mit dem Bundesverdienstkreuz für seine Pionierarbeit in Sachen ökologischer Landbau ausgezeichnet und in Indien ist es Vandana Shiva, eine hochkarätige Wissenschaftlerin und unermüdliche Aktivistin, die 1993 den Alternativen Nobelpreis erhielt. In den von ihr eingerichteten Saatgutbanken werden über 3000 Reissorten gelagert. Zudem engagierte sie sich für die Wiederbelebung von Kleinbauernhöfen. Ebenfalls eine Ausnahmeerscheinung ist Marjorie Spock, Eurythmistin, Waldorflehrerin, biodynamische Gärtnerin und Mentorin für viele junge Landwirte, die sich in den biodynamischen Landbau einarbeiten wollten. Zusammen mit Mary Richards führte sie einen biodynamisch bewirtschafteten Hof auf Long Island (New York).

Im Sommer 1957 begann man im Auftrag der Regierung damit, mindestens 14 Mal am Tag drei Millionen Hektar Land im Nordosten, einschließlich des Landes von Spock und Richards, mit dem Insektizid DDT aus der Luft mit einer Mischung aus Heizöl zu besprühen, um Schädlinge auszurotten. Nachdem ihre Ernte sowie der gesamte Boden und große Teile der Viehbestände zerstört waren, reichte sie zusammen mit weiteren Geschädigten einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung ein, um die US-Regierung zu veranlassen, weitere Sprühaktionen zu verhindern. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt, woraufhin sie eine Klage gegen die US-Regierung einreichte, die schließlich vom Obersten Gerichtshof der USA ebenfalls – aus formalen Gründen – abgelehnt wurde. Die damals weithin bekannte Wissenschaftlerin, Autorin und Umweltaktivistin Rachel Carson hatte inzwischen Kontakt mit Marjorie Spock aufgenommen und ihre zahllosen Gespräche und Korrespondenzen bildeten schließlich das Ferment für Carsons weltweit beachtetes Buch ‹Silent Spring›, erschienen 1962 und lange Zeit die Nr. 1 auf der Bestsellerliste der New York Times. Zehn Jahre später wurde der landwirtschaftliche Einsatz von DDT in den USA verboten.

Ebenso aufregend und anregend wie die im Buch geschilderten Aktivitäten von einzelnen Landwirten und Gärtnerinnen ist das Kapitel ‹Weckruf aus der Wissenschaft›, das uns lehrt, dass es keine Berührungsängste zwischen Theorie und Praxis, zwischen akademisch geschulten Experten und auf dem Acker oder im Stall Tätigen geben muss. Das Buch lehrt uns auch, dass die weltweite Bewegung des biologisch-dynamischen Landbaus ernst gemacht hat mit einem Appell, den Rudolf Steiner 1919 in der Einleitung zu seinem Buch ‹Die Kernpunkte der Sozialen Frage› seinen Lesern zugerufen hat: «Es kommt nicht darauf an, dass man von einer Geistigkeit weiß oder zu wissen glaubt, sondern darauf, dass dies eine Geistigkeit ist, die auch beim Erfassen der praktischen Lebenswirklichkeit zutage tritt.»2

In diesem Sinne: Die Bewegung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft ist auf einem guten Weg, wie uns die Dokumentation der beiden Autoren vor Augen führt.


Buch Rudi Bind/Ueli Hurter, Biodynamisch! Geburtsstunde der biodynamischen Landwirtschaft am Ausgangspunkt der Ökobewegung.Verlag am Goetheanum, Dornach 2023.

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Footnotes

  1. Rudolf Steiner, Vortrag in Dornach am 20. Juni 1924: Bericht über Breslau-Koberwitz, in: Die Konstitution der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft. GA 260a, Dornach 21987, S. 303.Siehe auch Rudolf Steiner, Landwirtschaftlicher Kurs. GA 327, Basel 92022, S. 242.
  2. Rudolf Steiner, Die Kernpunkte der Sozialen Frage. GA 23, Dornach 61976, S. 25.

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