Das Höhere wird sichtbar

Im zweiten Jahr ging in der Karwoche mit drei ausverkauften Aufführungen Richard Wagners Bühnenweihfestspiel ‹Parsifal› in der Regie von Jasmin Solfaghari und Stefan Hasler (Eurythmie) über die Bühne. Eindrücke von Ronald Templeton.


Im September 1880 schrieb Richard Wagner an seinen Gönner Ludwig II., König von Bayern: «In ganz richtigem Gefühle betitelte ich den Parsifal ein Bühnenweihfestspiel.» Und weil Wagner davon ausging, dass es der Kunst «vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten …», war es ihm ein Anliegen, dass Aufführungen nur in seinem Theater in Bayreuth stattfinden durften. Erst nach dem Ablauf der Schutzfrist wurde ab 1913 der ‹Parsifal› auch anderswo aufgeführt.

Das Hauptmotiv seines Bühneweihfestspiels, dessen Handlung auf Wolfram von Eschenbachs Parzival-Epos basiert, lautet, dass nur ein «Durch Mitleid wissend, Ein reiner Tor» in der Lage sei, die tödliche Wunde des Amfortas zu heilen. Dadurch ließe sich auch begründen, dass Wagner die Schreibweise änderte, denn «Fal Parsi» bedeutet auf Altpersisch der törichte Reine, und damit deutete Wagner auf einen noch nicht von der irdischen Welt verdorbenen Seelenzustand hin.

Sowohl 2023 wie auch dieses Jahr fanden um die Osterzeit herum monumentale, von Alexander von Glencks Pamy-Produktion angeregte ‹Parsifal›-Aufführungen in Dornach statt. Mit den international renommierten Sängern Andreas Hörl (Gurnemanz – Bass), Roman Payer (Parsifal – Tenor) und der ausdrucksvollen Sängerin Ivonne Fuchs (Kundry – Mezzosopran) wurde eine Aufführung auf die Bühne gebracht, die von den Rezensierenden hoch gelobt wurde. Am Palmsonntag 2024 übernahm bei einer Galaaufführung Klaus Florian Vogt, einer der herausragenden Wagner-Tenöre der Gegenwart, die Rolle des Parsifal.

Den Leidensweg des Parsifal vom Tor zum Gralskönig zeichnet Wagner in ergreifender Weise nach. Der Inszenierung am Goetheanum gelang es auf besondere Weise, dem Publikum diese Transformation zu vermitteln. Die Eurythmie ließ das Publikum zur Erlebnisgemeinschaft werden, eine Erlebnisgemeinschaft, die das Leben reflektiert und mit dem eurythmisch gestalteten Gral meditativ eine Beziehung zur geistig-lebensvollen Gestalt des Christus erstrebte. Durch die Einbeziehung der Eurythmie brachte die Aufführung eine entscheidende Neuerung: Wagner baute noch auf die Symbolkraft von Gral, Speer und Taube, aber hier wurden die Symbole eurythmisch bewegt in einem von Klaus Suppan gestalteten, farbigen Lichtspiel dargestellt. So wurde der Gral durch sieben Eurythmistinnen in lachsfarbenen Gewändern mit hellgelben Schleiern sichtbar gemacht und durch ihre Bewegungen in ein einheitlich wirkendes, geistig-lebensvolles Wesen verwandelt. Durch das Licht wird der Zauber erhöht und diese ein- und ausatmenden Sieben bewegen sich in einem Meer von aufleuchtenden Farben, schimmernd wie ein edler, lichterfüllter Feueropal. Zwölf eher in kühleren Farben gehaltene Gestalten bilden gleichsam eine schützende Hülle, in der diese mystisch erhabene Erscheinung von dem teilnehmenden Publikum mit Augen gesehen und durch die beschreibende Musik gehört werden kann.

Der eurythmische Gral

Neben dem Sichtbarmachen der seelischen Geschehnisse zeigte die fließende Körpersprache der Eurythmie ihre Möglichkeit, die Töne auf anderer Ebene sicht- und erlebbar zu machen. So sieht man beim Karfreitagszauber buchstäblich, wie die eröffnenden Pauken und Posaunenklänge mit majestätischen Gesten den Betrachter einladen, sich langsam in immer höhere mystische Dimensionen hinaufführen zu lassen. Gesang, Orchester, Eurythmie sowie Bühnen- und Lichtdesign bilden hier ein mit allen Sinnen erlebbares harmonisches Zusammenspiel. Einzelne Erlebnisregionen werden durchmessen, bis die Dichte der Musik so zurückgenommen wird, dass zarte Oboen und Holzblasinstrumente das Motiv übernehmen und mit den einkehrenden Klängen der Streicher das Gralsmotiv hindurchschimmernd erklingen lassen. Sie werden begleitet von dem einfühlsamen Klangkörper des von Andreas Klippert geleiteten Chores. Durch den Bewegungsrhythmus der webenden Musik und der farbig beleuchteten Bewegungen der Eurythmie wird das erlebbar Höhere in die Sichtbarkeit hereingeholt und von unten her empfangen, derweil die sieben Eurythmistinnen und vier Speerträger gemeinsam den Gral formen. Was die Eurythmie so ergreifend darzustellen vermag, ist, wie sich die Musik erschließen lässt durch das aus den Höhen Hereinspielende. Man spürt und erlebt, wie sich das geistige Licht den Zugang erkämpfen muss. Claude Debussy schrieb zum Parsifal: «Man hört da Orchesterklänge, die einmalig sind und ungeahnt, edel und voller Kraft (…) Das ist eines der schönsten Klangdenkmäler, die zum unvergänglichen Ruhm der Musik errichtet worden sind.» Was Wagner dazu berechtigte, es ein Bühnenweihfestspiel zu nennen, «um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.»

Es ist der Theaterregisseurin Jasmin Solfaghari zu verdanken, dass sie das Werk und die harmonische Einheit von Bühnenbild, Lichtspiel, Schauspiel, Eurythmie und Orchesterspiel inszeniert hat. Die szenischen Angaben Wagners wurden vom Bühnenbildner ignoriert, um dem Ganzen einen innigen Rahmen, wie in einer mittelalterlichen Burg, zu verleihen. Einzig im letzten Akt wird der Betrachter kurz vor dem Erscheinen des Grals leicht verwirrt durch die im Bühnenraum weit verteilten Figuren Amfortas, Parsifal und eine verloren wirkende Kundry. Als dann der Gral gebildet wird, vermisst man einen weiten, großzügigen Raum, in dem dies geschehen kann. Die Bühne wirkt zu voll.

Walter Schützes Bühnenbild wirkt majestätisch, und durch die Videoprojektionen im Hintergrund passen sich die Verwandlungen dem Geschehen auf der Bühne an. Der Chor verschmilzt mit dem Geschehen ebenso wie die von Stefan Hasler und Severin Fraser inszenierten Eurythmieensembles aus Stuttgart und Dornach. Es gäbe noch viel zu schreiben, wollte man dieser Parsifalaufführung ganz gerecht werden. Dabei kommt mir Amfortas’ beeindruckende Kostümierung in den Sinn, die das Verwundet-Sein ausdrückt und der beeindruckende, differenzierte Gesang von Alejandro Marco-Buhrmester, der Mitleid erweckt, sowie der majestätisch auftretende Titurel, von Simonas Strazdas gesungen, und nicht zu vergessen Thomas Jesatko, der den den zweiten Akt beherrschenden boshaften Gralsgegner Klingsor überzeugend zu Gehör gebracht hat. Ich schließe mit einem Zitat aus der NZZ: «Doch wenn das ‹Bühnenweihfestspiel› außerhalb des Bayreuther Operntempels je irgendwo stimmig gewirkt hat, dann hier.» Also bis nächstes Jahr: Aufführungen 13./18./20. April 2025, 16 Uhr. Vorverkauf ab 2. Mai 14 Uhr.


Foto François Croissant

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