Ein Riese aus alter Zeit

Astronomen haben einen Kometenriesen entdeckt, der in Vergangenheit und Zukunft weist, denn er könnte vom Ursprung des Lebens Aufschluss geben und ist zugleich kosmisches Bild menschlicher Initiative.


Nicht selten sind es Zufälle, die zu Entdeckungen führen. So auch hier. Die Astronomen Pedro Bernardinelli und Gary Bernstein suchten Kleinplaneten jenseits der Neptun-Bahn. Dazu verwendeten sie die großflächigen Aufnahmen des Dark-Survey-Projektes der Teleskope aus der Atacama-Wüste in Chile. Auf der Fotografie vom 20. Oktober 2014 fanden sie eine rätselhafte Erscheinung. Ein diffus glimmender Leuchtpunkt änderte von einem zum andern Bild seinen Ort. Das Hubble-Teleskop und andere hochsensible astronomische Lichtfänger gaben den Forschern Gewissheit: ein Komet – ein Komet von einzigartigen Ausmaßen. Zum Zeitpunkt seiner Entdeckung war der Irrstern vier Milliarden Kilometer entfernt, jenseits der Neptun-Bahn. Noch nie ist ein Komet in solch großer Entfernung entdeckt worden. Das liegt an einer weiteren Besonderheit. Die Rechnung ergab, dass der Komet mit einem Durchmesser von ca. 150 Kilometern zehnmal so groß und tausendmal so massereich ist wie übliche Kometen. Eine dritte Besonderheit ist sein diffuses Leuchten! Erfahrungsgemäß beginnen Kometenkerne erst, wenn sie die Jupiter-Bahn überschritten haben, die sogenannte Koma, eine gasförmige Millionen Kilometer große Leuchtkugel, um ihren Kern zu bilden. In dieser Nähe ist der Sonnenwind stark genug, um aus dem Kometen Staub herauszublasen. Bernardinelli-Bernstein, wie der Komet unterdessen heißt, ist jedoch zehnmal weiter entfernt und entfaltet schon eine Gashülle. Wie ist das möglich? Dazu muss er ein junger, ein frischer Komet sein, der noch niemals dem Sonnenwind ausgesetzt war und sich verausgaben musste, der nicht wie der Halleysche-Komet alle 75 Jahre wieder erscheint und sich dadurch verbraucht, sondern der aus der kosmischen Heimat der Kometen kommt, der Oortschen Wolke. Seine Helligkeit sei ein Indiz dafür, so die Astrophysikerin Suzanna Randall, dass er ungewöhnlich viele flüchtige Elemente besitze. Bernardinelli-Bernstein sei eine «originalverpackte Probe aus der Oortschen Wolke».

Nachricht vom Anfang der Zeit

Der niederländische Astronom Jan Oort hat 1950 aus den Bahndaten vieler Kometen eine wolkige Kometensphäre um das Sonnensystem vermutet. Vergleichbar einer Plazenta, ist so das Sonnensystem eingebettet in Milliarden kleiner Kometenkerne, von denen sich manche auf die lange, ewig lange Reise zur Erde machen. Ihre Substanz stammt vom Ursprung der Entwicklung der Planeten, weshalb der Astrophysiker Gustav Tammann sie die ‹Erstgeborenen› nennt. So wie der Blick in die Tiefe des Weltalls in dessen frühe Zeit führt, so bringen die Kometen Substanz aus der Urzeit zur Erde. Der Kosmos ist die Gegenwart des Vergangenen und in den Kometen wird das stofflich greifbar. Es hat sich allerdings ein anderer Name für die Kometen eingebürgert: Fred Hoyle nannte sie die ‹schmutzigen Schneebälle›, denn tatsächlich gibt es keine dunklere Substanz als die der Kometen. Nun ist solch ein Erstgeborener auf dem Weg ins Sonnensystem und es dauert bis 2031, bis er seinen erdnächsten Punkt erreicht. Dann kreuzt der Komet jenseits der Saturn-Bahn die Ekliptik. Abhängig davon, wie viele Gase entstehen, wenn die eisige Oberfläche durch die Hitze der Sonne verdampft, könnte Bernardinelli-Bernstein am Nachthimmel so hell leuchten, dass er trotz seiner Distanz mit einem Fernglas zu sehen sein wird. Danach wird dieser «Freiheitsheld des Kosmos», wie Rudolf Steiner die Kometen nannte, weitere 10 oder 20 Jahre am Nordhimmel für die Augen der Teleskope erkennbar seine weitere Bahn ziehen.

Bahn des Kometen. Bis 2031 ist er südlich der Ekliptik.

Dieser lange Zeitraum, in dem der Kometenriese der Erde ‹nah› ist, inspiriert die Raumflugagenturen NASA und ESA, eine Sonde zu dem Gast aus der Urzeit zu schicken. Wenn der Start vor 2029 liegen sollte, wäre die Sonde dann 2033 bei dem Kometen. Von Materialproben der Kometen Wild 2 und Juri haben Sonden Glyzerin und Phosphor, zwei Stoffe des Lebens, nachgewiesen. Das nährt die Theorie, Bausteine des Lebens seien, vergleichbar einer kosmischen Befruchtung, von Kometen in der Frühzeit der Erdentwicklung auf die Erde gekommen. Nach astrophysikalischer Rechnung wäre dies vor 3,8 Milliarden Jahren gewesen. Bernardinelli-Bernstein ist somit alt und jung zugleich. Er ist alt, weil er vermutlich für Äonen in der Ortschen Wolke verharrte, bevor er seine Reise ins Planetensystem antrat. Er ist jung, weil seine Substanz ursprünglich ist, vom Anfang der Erdwerdung erzählt. Ein seelischer Vergleich: Man bekommt einen Tagebucheintrag in die Hand, den man im jugendlichen Alter geschrieben hat. Die Notiz hat viele Jahre überdauert und ist deshalb alt. Zugleich ist sie jung, weil sie vom Ursprung der eigenen Ideale kündet.

Eine Generation lang Initiative

Kometen ziehen fern der Ekliptik ihre eigene Bahn. Weil Gase ausbrechen können, ein Stück sich löst, ist ihre Bahn nie vollständig berechenbar. Auch ist nicht ausgemacht, wie hell sie werden, wie weit, wie farbig ihr Schweif sich in Sonnennähe entfaltet. So unberechenbar sind sie kosmisches Bild für all das, was jenseits von Routine und Konvention geschieht. Jede Initiative ist die Antithese zum Lauf der Dinge, weshalb Rudolf Steiner mit Recht die Kometen als Repräsentanten der Initiative versteht. Dies gilt besonders für Kometen wie Bernardinelli-Bernstein, die einmalig auftreten oder nur in sehr langen Zeiträumen. Anders ist es bei Schweifsternen wie dem Halleyschen Komet, der seit über 2000 Jahren alle 75,3 Jahre die Erde ‹heimsucht›. Da ist es wie mit einer Initiative, die der Ideengeber notorisch wiederholt. Was ursprünglich einmal fruchtbar wird, kehrt sich, wenn es dann aus der Zeit fällt, ins Gegenteil. Bernardinelli-Bernstein gehört nicht dazu. Er gehört, nimmt man seinen Lauf über 30 Jahre als Bild, nicht zu den sprühenden, kurzlebigen Sensationen, sondern zu den Initiativen, die treu und mit Ausdauer eine ganze Generation lang mit ihrer Frische und Ursprünglichkeit das Leben inspirieren. So wie der Komet im Dunkel des Kosmos kaum zu sehen ist, so ist es vielleicht auch mit mancher Initiative, die der Riese aus der Urzeit impulsiert: Auch sie mag im Dunkel von Krieg und Unrecht übersehen werden.


Bild Erstes Bild des Kometen C/2014 UN271 des Dark Energy Survey im Sternbild ‹Bildhauer› am südlichen Sternenhimmel (Kreis)

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