Der Kohlenstoff– ein Gott

Wie geht es weiter mit dem ‹Kampf› gegen Kohlendioxid? Eine gedankliche Umwendung.


Die Schreibweise ‹CO₂› verbinden wir in aller Regel mit der Vorstellung: Ein Molekül Kohlendioxid bestehe aus einem Atom Kohlenstoff (C) und zwei Atomen Sauerstoff (O), wobei vage drei Kügelchen der Atom- und Molekülmodelle aus dem Schulunterricht in unserem Bewusstsein auftauchen. Ursprünglich aber will ‹CO₂› nichts anderes als ein ‹Mengenverhältnis› wiedergeben: Was wir Kohlendioxid nennen, besteht – quantitativ analysiert – aus zwei Anteilen Sauerstoff und einem Anteil Kohlenstoff.

Nur Hypothesen

In ‹Spektrum der Wissenschaft Kompakt› (Nr. 15/2023, S. 4–14) zum Thema Teilchenphysik schreibt die New Yorker Wissenschaftsjournalistin Natalie Wolchover unter dem Titel ‹Was ist ein Teilchen?›: «Zur grundlegenden Natur der kleinsten Bausteine der Welt gibt es zahlreiche Hypothesen: Sie könnten punktartige Objekte sein, schwingende Felder – oder Einblicke in eine mathematische Ordnung des Kosmos gewähren. Theoretiker ringen heute intensiver als je zuvor um das sinnvollste Konzept. – Der Theoretiker Xiao-Gang Wen vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge bekräftigt: ‹Zu behaupten, Teilchen seien fundamental, ist nur eine andere Art, zu sagen: Fragen Sie bitte nicht weiter, ich weiß keine Antwort!›»

Dass wir uns die «Bausteine» der Materie als Kügelchen vorzustellen haben, ist also nicht ausgemacht. Es ist sogar noch vollkommen offen, was sie sind.1 Damit ist der Weg frei dafür, losgelöst von Punktvorstellungen auf das zu schauen, was wir Kohlenstoff bzw. Kohlendioxid nennen.

Stoffqualitäten

Die Elemente des Periodensystems sind keine Atome (in Form der klassischen Punktvorstellungen), sondern Qualitäten des stofflichen Erscheinens. Es sind verschiedene Gesten, durch welche sich Geistiges in der irdischen Welt offenbart und die durch geisteswissenschaftliche Ansätze zu erforschen sind.2 Die spezifische Geste einer Erscheinung findet sich, indem man von der äußeren Sinnesbetrachtung durch ein von Goethe so genanntes «sinnlich-sittliches Erleben» in die innere seelisch-geistige Anschauung geht. Rudolf Steiner charakterisiert in diesem Sinne im ‹Landwirtschaftlichen Kurs› Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff als Wesen, als göttliche Entitäten. Zum Beispiel in der letzten Auflage des Vortragsbands heißt es: «Dieser Kohlenstoff, sehen Sie, der ist ja [ein] aus einer sehr aristokratischen Position in der neuen Zeit [heruntergesunkener Gott], – diese Wege haben ja dann später viele andere Weltenwesen gemacht – zu einer sehr, sehr plebejischen Situation.»3

Wesen statt Teilchen

Die im ‹Landwirtschaftlichen Kurs› betrachtete Reihe von Wesen (z. B. Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff) des makrokosmischen Naturzusammenhanges ergeben zusammen betrachtet letztlich den Menschen. Das erläutert Rudolf Steiner explizit in seinen medizinischen Vorträgen: «Sie werden sehen, dass in ebensolcher Weise, wie die physische Organisation mit dem Kohlenstoff, die ätherische Organisation mit dem Sauerstoff, die astralische Organisation mit dem Stickstoff, so die Ich-Organisation mit dem Wasserstoff zusammenhängt.»4

Was in der Welt um uns herum als Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff auftritt, tritt im Menschen – wesensidentisch – in Form der Glieder seiner Leibesorganisation auf. Während sich in der Natur nach unten hin der Kalk und nach oben hin der Kiesel hinzugesellen, findet sich der Mensch zwischen verhärtende (Kalk) und auflösende (Kiesel) Kräfte gestellt. Diese Mittelstellung beschreibt Steiner für den Kohlenstoff zum Beispiel wie folgt: «Da unten will mit Fangarmen das Kalkige sie ergreifen, da oben will das Kieselige sie so ganz fein und schlank und fasrig machen, wie die Wasserpflanzen sind, aber mitten drinnen steht, unsere wirklichen Pflanzenformen bildend, der Kohlenstoff, der das alles ordnet.»5

In einer Lehrstunde zur sogenannten «erkenntniskultischen Arbeit» vom 17. Dezember 1911 gibt Steiner die göttlichen Wesenheiten an, die unsere verschiedenen Leiber aufbauen: Die Geister der Form (Exusiai) bilden zusammen mit den Thronen den physischen Leib. Die Geister der Bewegung (Dynamis) bilden zusammen mit den Cherubim den Ätherleib, und die Kyriotetes (Geister der Weisheit) bilden zusammen mit den Seraphim den Astralleib.6

Vom Treibhausgas zum Gott

Damit sind wir in dieser sehr komprimierten Betrachtung an einem Punkt angelangt, den ‹Kohlenstoff› als das Zusammenwirken der göttlichen Wesenheiten der Exusiai und der Throne aufzufassen. Im Kohlendioxid treten die hierarchischen Wesen der Exusiai und der Throne (physischer Leib bzw. Kohlenstoff) in eine Verbindung mit den Dynamis und den Cherubim (Ätherleib bzw. Sauerstoff) – und dies so, dass ein vom Menschen am Kohlendioxid vollzogenes, quantitativ-analytisches Maßanlegen zu einem Mengenverhältnis von 1 zu 2 kommt.

Auf diesem Wege hat sich unser Blick von einer mikroskopischen Punktauffassung hin zu einer makroskopischen göttlichen Wesensauffassung gewendet. Steiners Betrachtung des Kohlenstoffs im Zusammenhang mit anderen ‹Elementen› weist auf die Aufgabe der Landwirtschaft hin, in einer gesunden und der Zeitenwende entsprechenden Art die Weltgeistigkeit in ihrer irdischen Gliederung in Physisches (Kohlenstoff), Ätherisches (Sauerstoff), Seelisches (Stickstoff) und Geist-Ich-Haftes (Wasserstoff) zu pflegen. Anders formuliert: Die Aufgabe der Landwirtschaft besteht darin, einen makrokosmischen Menschen im freien Spiel zwischen Kalk und Kiesel aufzubauen.

Das zeigt auch eine Richtung zum wesensgerechten Umgang mit demjenigen auf, was wir heute geneigt sind, ‹plebejisch› als Treibhausgas (Kohlendioxid) abzutun. ‹CO₂› ist kein aus Kleinstkügelchen zusammengesetztes Atom. Es handelt sich um göttliche Wesenheiten, die sich der Aufgabe widmen, die irdische Welt zu gestalten. Unsere Aufgabe ihnen gegenüber besteht darin, mit ihnen in ein der Weltentwicklung angemessenes, kooperatives Verhältnis zu treten. Wir sollen sie nicht – beladen mit einer punkthaft atomaren Fehlvorstellung – als Treibhausgas bekämpfen, ihnen aber auch nicht aus Eigennutz und Ignoranz einer ungezügelten Konsumgesellschaft weiterhin Leid antun.


Foto Martina Stokow

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Footnotes

  1. Siehe auch: Martin Wigand, Quantenphysik – Anthroposophie – Logos-Mysterium. Schneider Editionen, Stuttgart 2021.
  2. Rudolf Steiner, Gegensätze in der Menschheitsentwickelung. GA 197, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1996, Vortrag vom 25. Juli 1920, S. 97 f.
  3. Rudolf Steiner, Landwirtschaftlicher Kurs. GA 327, Rudolf Steiner Verlag, Basel 2022, Vortrag vom 11. Juni 1924, S. 53.
  4. Rudolf Steiner, Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft. Zur Therapie und Hygiene. GA 314, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1989, Vortrag vom 27. Oktober 1922, S. 114.
  5. Rudolf Steiner, Landwirtschaftlicher Kurs. GA 327, Rudolf Steiner Verlag, Basel 2022, Vortrag vom 11. Juni 1924, S. 71.
  6. Rudolf Steiner, Lehrstunden für Teilnehmende der erkenntniskultischen Arbeit 1906–1924. GA 265a, Rudolf Steiner Verlag, Basel 2024.
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