Links: Herfried Münkler (Humboldt Universität, Berlin) Foto: Stephan Röhl CC BY-SA 2.0 DEED. Rechts: Jörn Leonhard, Frankfurter Buchmesse 2018. Foto: Martin Kraft, CC BY-SA 3.0 DE Lizensvertrag: Legalcode CC BY-SA 3.0
Links: Herfried Münkler (Humboldt Universität, Berlin) Foto: Stephan Röhl CC BY-SA 2.0 DEED. Rechts: Jörn Leonhard, Frankfurter Buchmesse 2018. Foto: Martin Kraft, CC BY-SA 3.0 DE Lizensvertrag: Legalcode CC BY-SA 3.0

Den Frieden herbeidenken

Im dritten Jahr des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine melden sich Historiker und Politwissenschaft­lerinnen zu Wort und stellen in das Feld von Sprach­losigkeit und Parolen ihre Analysen. Zwei nehmen wir hier in den Blick.


«Wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blättern.» Mit diesem Zitat von André Malraux eröffnet der Historiker Herfried Münkler sein Buch ‹Welt im Aufruhr – die Ordnung der Weltmächte im 21. Jahrhundert›. Münkler, dessen gewichtige Werke zum Dreißigjährigen Krieg und zum Ersten Weltkrieg Wendezeiten des europäischen Lebens und Bewusstseins skizzieren, geht mit dem letztes Jahr erschienenen Band in die Gegenwart. Wie viele beschreibt er die Zeit als ein Erwachen in einer anderen Welt. Die Ost-West-Konfrontation in den 80er-Jahren mit der Auf- und Nachrüstung zeigte eine blockierte und damit auch überschaubare Ordnung. Man habe sich nicht, so Münkler, um die vielen anderen Konflikte gekümmert, sondern habe sich nach dem Fall der Mauer der Sehnsucht ergeben, dass die Gesellschaft im Zustand der Stabilität angekommen sei. ‹Wirtschaft statt Militär› war die Losung. Es sei eine Verrechtlichung der Politik gewesen, an die Stelle der Waffen sollte der Gerichtshof in Den Haag, sollten die Tribunale der UN treten. Dabei hätten, so Münkler, die Narrative der Mächte – Demokratie, Freiheit und Wohlstand im Westen, Gleichheit und Gerechtigkeit im Osten – ein stabiles Gegeneinander gebildet. Der US-Krieg in Vietnam und Korea und die Niederschlagung von Freiheitsbewegungen in der DDR oder der Tschechoslowakei durch die Sowjetunion sind Beispiele, wo diese Erzählungen ihre Fadenscheinigkeit, Brüchigkeit zeigten. Als am 27. Mai 1999 Slobodan Milošević, Schlüsselfigur des Jugoslawienkrieges, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt wurde, bekam die Jahrhundertwende ein Bild für diesen Traum gewaltfreien Miteinanders. Was kaum einen Atemzug später mit dem Attentat auf die Twin Towers in New York und der amerikanischen Antwort des Irakkrieges sich verlor.

Münkler entwickelt den Begriff der ‹Moralischen Erschlaffung›. Amerikanische Strategen in den 90er-Jahren hätten sich Edward Gibbons Opus über den Verfall und Untergang des Römischen Reiches zu eigen gemacht. Der Historiker beschreibt, dass in der letzten langen Friedenszeit Roms unter Antonius Pius und den nachfolgenden Kaisern im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. das Reich die Kraft verloren habe, sich gegenüber den Einfällen aus der Steppe von Germanen und Hunnen zu behaupten. Dies habe legitimiert und motiviert, auch in der Zeit, als es neben den USA keine gleichwertige Macht gab, in aller Welt Waffengänge zu inszenieren. So führt Münkler in großen geschichtlichen und kleinen gegenwartsbezogenen Bögen zu dem Bild einer Welt im Aufruhr. Selbstkritisch sagt er im Podcast der Stiftung Demokratie Saarland: «Wir [Europäer] haben – und da will ich mich selber nicht ausschließen – relativ lange in der Vorstellung gelebt, der Frieden und die Freiheit seien gewissermaßen die gerechte Belohnung dafür, dass wir so vernünftig geworden sind, und wir haben in diesem Exzess von Selbstgefälligkeit vergessen, dass Frieden und Freiheit einen Preis haben.» Man bekomme Frieden nicht allein dadurch, dass man friedlich sei, sondern man müsse Frieden auch schaffen und verteidigen. Das gelte auch für Freiheit. Sie müsse immer wieder neu gewonnen und befestigt werden – nach innen und nach außen. Dazu müsse man Fähigkeiten besitzen, für die eigenen Werte mit Überzeugung und – das lese man in der Ukraine ab – mit Opferbereitschaft einzutreten. Münkler nimmt dabei das Wort von Joschka Fischer, der an die Stelle der ‹Zeitenwende› von Olaf Scholz den Begriff des ‹Zeitenbruchs› setzt.

Zu diesem Bild der Verwirrung und Brechung fügt sich ein zweites Buch. Der Freiburger Historiker Jörn Leonhard beschäftigt sich mit der Frage, die sich wohl alle stellen und in dieser Frage auch verstummen: Wie lässt sich der Krieg in der Ukraine beenden? ‹Über Kriege und wie man sie beendet – Zehn Thesen› lautet der Titel des Buchs von Leonhard. Er folgt dem eingangs gestellten Wort von Malraux und vergleicht den russischen Krieg mit früheren Konflikten und Waffengängen. Die erste These lautet: «Die Natur des Krieges bestimmt sein Ende.» Das bedeutet, dass je komplexer ein Krieg ist, desto schwieriger ist auch sein Friedensschluss. Der Angriffskrieg Russlands sei nun ein Krieg der Nationenbildung, denn durch den russischen Einfall steigere sich die ukrainische Identität. Der Krieg sei auch ein Religionskrieg, weil sich ukrainische und russische Orthodoxie trennen würden. Es sei ein Krieg um Werte (Demokratie und Autokratie), es sei ein Medienkrieg und ein globaler Konflikt um Wirtschaft und Energie. Je mehr solche Elemente hineinspielen, desto schwieriger sei der Friedensschluss. Die zweite These ist ebenfalls vertraut: Je länger ein Krieg dauere, desto schwieriger sei seine Kontrolle. An der Schlacht von Sedan zeigt er, dass es kein entscheidendes Aufeinanderschlagen gebe. Pearl Harbor habe so wenig das von Japan erhoffte Ende gebracht wie der Einsatz von Giftgas im Ersten Weltkrieg, und Leonhard ergänzt, dass Kriege nie so verlaufen, wie Angreifende und Verteidigende es sich denken. Eine weitere bedrückende These ist Nr. 5: Demnach bestimmen die Ressourcen den Kipppunkt eines Krieges, aber nicht die Einsicht in Friedensverhandlungen. 1942 waren die deutschen Ressourcen erschöpft, aber der Krieg wurde danach schlimmer. Die Geschichte zeige, dass Sanktionen deshalb die Kriegsdauer nicht verkürzen würden. Zur Absurdität des Krieges gehört auch die These Nr. 10, wonach ein Sieg keinen Gewinn bedeuten muss. Preussen erleidet 1807 eine schwere Niederlage gegen Napoleon. So hat der Preussen­staat in der nachfolgenden Friedenszeit eine Fülle an Reformen umgesetzt, ähnlich wie Deutschland und Japan, die aus ihrer Niederlage im Zweiten Weltkrieg als Demokratien auferstanden, sodass ‹Sieg› und ‹Niederlage› in der Friedenszeit ihre Eindeutigkeit verloren. So im Frieden zu gewinnen ist Russland zu wünschen. Was diesen Weg zum Frieden allerdings so schwer macht, formuliert Leonhard in seiner These Nr. 3 ‹Fauler Frieden› und erinnert daran, wie der Versailler Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg den Keim für einen noch fürchterlicheren Krieg legte. Mahnung sind die Thesen Nr. 7 und Nr. 9: «Es gibt keinen Frieden ohne Kommunikation, und wer die Besiegten demütigt, macht den Frieden zum Waffenstillstand.» Und: «Wenn die Verträge unterschrieben sind, beginnt die Arbeit am Frieden.» Eine Lehre in beiden Büchern – oft zwischen den Zeilen – ist, dass im Streit Sehnsucht und Einsicht nach Frieden wachsen. Mag die Faust noch geballt sein, man beginnt, den Frieden herbeizudenken. Das öffnet das Herz und das Herz löst die Faust. Solche Bücher tun es.


Bücher

  • Herfried Münkler: Welt in Aufruhr: Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert, Berlin 2023.
  • Jörn Leonhard: ‹Über Kriege und wie man sie beendet – Zehn Thesen›, München 2023.

Bild Links: Herfried Münkler (Humboldt Universität, Berlin) Foto: Stephan Röhl CC BY-SA 2.0 DEED. Rechts: Jörn Leonhard, Frankfurter Buchmesse 2018. Foto: Martin Kraft, CC BY-SA 3.0 DE Lizensvertrag: Legalcode CC BY-SA 3.0

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare