Die Reise zum großen Wasser

Die Sonde Juice der Europäischen Weltraumorganisation ist erfolgreich zum Jupiter und dessen geheimnisvollem Mond Ganymed gestartet. Was sie in zehn Jahren übermitteln wird, könnte unser Weltbild prägen.


Schon zweimal änderte der Blick zu den Monden von Jupiter das Weltbild auf der Erde. 1610 war es das erste Mal: Der italienische Astronom Galileo Galilei hatte aus den Niederlanden ein erstes einfaches Fernrohr in Händen und sah so mit zwanzigfacher Vergrößerung durch die trüben Linsen den Mond und die Planeten. «Am 7. Januar dieses Jahres 1610, zur ersten Stunde des folgenden Tages, als ich die Sterne mit dem Fernrohr ansah, zeigte sich mir Jupiter; und weil ich ein wirklich ausgezeichnetes Instrument gebaut hatte, sah ich nahe bei dem Planeten drei Sterne, zwar klein, aber sehr hell.» Galileo hatte drei und dann bald auch den vierten der hellen Monde von Jupiter entdeckt und beschreibt es in seiner Schrift ‹Sternenboten›. Er hatte einen weiteren Beweis gefunden, dass sich die Himmelskörper nicht um die Erde drehen. Ähnlich wie Leonardo da Vinci, der als Künstler von Hubschraubern träumte, oder Johannes Kepler, der überlegte, wie man in bauchigen Weinfässern die Menge messen könne, war auch Galileos Denken praktisch: Io, der sonnennächste Mond von Jupiter, zieht in 42,5 Stunden um den Planeten. In diesem Rhythmus erscheint er jeweils hinter der Jupiterscheibe von Neuem. Es ist auch heute für Amateurastronomen reizvoll, das Teleskop auf die linke Seite der Jupiterscheibe zu lenken, wenn zur angegebenen Zeit hinter dem Jupiter der Mond Io als kleiner Lichtpunkt erscheint. Mit dieser Beobachtung, so Galileo, könne man das Längenproblem der Seefahrt lösen. Während man die geografische Breite durch die Höhe des Polarsterns leicht ermitteln kann, braucht man für die geografische Länge, also wie weit westlich oder östlich man sich auf See befindet, eine Zeitangabe. Damals gab es keine verlässlichen Schiffsuhren, sodass Schiffe häufig Hunderte Seemeilen vom Kurs abkamen. Galileos Astronomiekollege Giovanni Cassini berechnete nun Zeittafeln für die Verfinsterung der Jupitermonde.

Die kosmische Uhr geht nach

Die Überraschung: Die Monde hielten sich aber nicht an die Rechnung. Wenn Jupiter jenseits der Sonne in größtem Abstand von der Erde lief, ging die kosmische Uhr des Mondes Io 17 Minuten nach gegenüber der Stellung, wenn die Erde Jupiter nahe ist. Der Astronom Ole Römer fand die Erklärung: In Erdferne von Jupiter muss das Licht von Io 300 Millionen Kilometer mehr zurücklegen. 17 Minuten (= 1000 Sekunden) ‹Verspätung› bedeutet, dass das Licht des Mondes für die längere Distanz 1000 Sekunden benötigt. Was für eine einfache Rechnung: 300 000 000 km : 1000 s = 300 000 km/s. Am Lauf des Mondes Io hatte Römer die Geschwindigkeit des Lichtes bestimmt! Licht, das Urbild aller Religionen für Sinn und Ewigkeit, ist der Zeit unterworfen – diese Erkenntnis öffnete die Tür in das physikalische moderne Weltbild. Zum zweiten Mal waren es die Jupitermonde, zu Ehren ihres Entdeckers die ‹galileischen Monde› genannt, die das irdisch-kosmische Selbstverständnis von uns Menschen erschütterten.

Der schwarze Ozean

Jupiter­mond Ganymed, aufgenommen von der Raumsonde Juno im Juni 2021. Foto: NASA, CC-BY 2.0

Am 17. April ist die Sonde Juice (Jupiters Icy Moon Explorer) nun gestartet, sodass wir uns vielleicht zum dritten Mal von den Jupitermonden über das richtige Weltbild belehren lassen können. Jupiters Welt sprengt in vieler Hinsicht die planetarischen Maßstäbe. Er besitzt mehr Masse als alle übrigen Planeten zusammen, sodass der gemeinsame Schwerpunkt mit der Sonne außerhalb der Sonne liegt, und mehr als 90 Trabanten umkreisen den Planetenriesen. Nicht nur seine Größe ist kaum zu fassen, auch seine Bewegung: In neun Stunden rotiert der Riese, und dabei dreht sich die Äquatorregion – ähnlich wie bei der Sonne – fünf Minuten schneller als die polaren Breiten, sodass sich der Planet fortwährend verdrillt. Die von Galileo entdeckten Monde sind nicht weniger spektakulär. Während der irdische Mond vollkommene Ruhe ausstrahlt, sind die Jupitermonde ziemlich aktiv. Io zeigt als einziger Mond im Planetensystem Vulkanismus, und auf Ganymed, dem größten Mond im Planetensystem, zeigt sich Polarlicht. Er hat ein eigenes Magnetfeld, einen inneren beweglichen Eisenkern. Das Polarlicht lässt sich nach Computersimulationen nur aus einem gewaltigen inneren Ozean von Salzwasser erklären. Darauf deuteten schon Bilder früherer Sonden wie Voyager und Juno. Sie zeigten bei Ganymed und Europa Risse im Eispanzer, die auf innere Strömungen schließen lassen. Ganymed, so vermuten die Astronominnen und Astronomen, hat unter einem 100 Kilometer dicken Eispanzer ein 100 Kilometer mächtiges Meer aus Wasser. Das bedeutet, dass Ganymed die Erde hinsichtlich der Wassermenge bei Weitem übertrifft.

Eine weite Reise

Jetzt ist die Sonde Juice erfolgreich gestartet, hat die 85 Quadratmeter großen Solarpanels entfalten können und nimmt nun Schwung für das äußere Planetensystem. Dazu holt sich die Sonde erst an der Erde, dann an Venus, dann erneut an der Erde Schwung. Anschließend beschleunigt sie weiter durch die Gravitation von Mars, um so genug Bewegungsenergie gewinnen und im Juli 2031 Jupiter erreichen zu können. Was für eine Meisterschaft der Rechnung und Computertechnik: Über fünf Jahre taucht die Sonde in das Bewegungssystem der Jupitermonde ein und begegnet allen vier Monden nacheinander in komplexen elliptischen Bahnmanövern. Im September 2025 stürzt die Sonde dann auf Ganymed, um von seiner Atmosphäre und Oberfläche noch Daten zu gewinnen. Die astrobiologische Mission von Juice zielt darauf, so beschreibt es die Europäische Weltraumorganisation, über die Entstehung des Lebens neue Aufschlüsse zu bekommen. Vielleicht ist es hier nicht anders als bei den beiden vorangehenden Erkenntnissen, die die Jupitermonde brachten: den Wechsel vom geo- zum heliozentrischen Weltbild, den Wechsel von der Ewigkeit zur Endlichkeit von Licht. Es geht womöglich nicht um die Frage, wie in eine tote Welt das Leben kam, sondern darum, wie in eine Welt des Lebens der Tod kam.

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