Das geistige Wesen der Persephone

Edith Lammerts van Bueren forscht über Mythos und Entwicklung der Gottheit Persephone. Sie arbeitet mit Rudolf Steiners Darstellung, dass Persephone im Geiste Christi die harmonische Beziehung der Pflanzenwelt zur Erde und zum Kosmos orchestriert.


Vor etwa sechs Jahren nahm ich an einer Feier für einen Kollegen aus der Saatgutbranche teil, die mit einem kleinen Symposium über Saatguterzeugung begann. Die Stimmung kippte, als jemand aus dem Publikum wütend rief, es sei unverantwortlich, dass der Biosektor die Gentechnik ablehne: «Die Welt hungert – wir müssen alle uns zur Verfügung stehenden Ressourcen nutzen.» In dieser Nacht war ich schwer getroffen davon – ich begann zu zweifeln, ob meine Lebensarbeit überhaupt etwas bewirkt. Ich sprach mit einem guten Freund darüber und rief verzweifelt aus: Um Himmels willen, für wen mache ich das alles? Zu meiner Überraschung nahm mein Freund diese Frage ernst und sagte: Ja, für wen tust du es? Ist es Demeter oder Gaia? Ich dachte, das ist nah dran, aber nicht ganz richtig. Die Frage: ‹In wessen spiritueller Sphäre arbeite ich?›, fand ich aber faszinierend. Zu wissen, in wessen spiritueller Sphäre wir uns befinden, hilft uns, in unseren täglichen Bemühungen Richtung und Kohärenz zu finden. Nachdem ich einige Tage diese Frage meditierte, offenbarte sich mir der Name Persephone; ich wusste sofort, dass sie es ist, ohne Zweifel. Aber wer ist sie? So begann ich meine spirituelle Forschung, indem ich las, was andere gesagt haben, indem ich über Bilder und Inspirationen meditierte, die ich erhielt, und mich mit anderen austauschte.

In der griechischen Mythologie

Aus der homerischen Hymne an Demeter, etwa 800 Jahre vor Christus, erfahren wir, dass Persephone die Göttin und Hüterin der Lebenskräfte auf der Erde und insbesondere in der Pflanzenwelt ist. Ihre Mutter Demeter wachte sorgfältig über sie. Persephone durfte jeden Gott anrufen, außer Eros, den Gott der Liebe, und jede Blume pflücken, außer der Narzisse. Doch Persephone konnte nicht widerstehen. Sie rief Eros an, der sie dazu verführte, die schönste Blume der Welt, die Narzisse, zu pflücken. Als sie dies tat, öffnete sich die Erde, und der mächtige Hades, der Gott des Totenreichs, entführte sie in die Unterwelt. Als Demeter dies hörte, war sie wütend. Die Unterwelt war der einzige Ort, zu dem sie keinen Zutritt hatte. In ihrem Kummer vernachlässigte sie die Erde, und die Ernten verdorrten. Sie fand den Sohn eines Königs vor Ort, Triptolemos, der in die Unterwelt hinabsteigen und Persephone finden konnte. Dies zwang Zeus, den König des Olymps, zu einem Kompromiss: Von nun an würde Persephone jedes Jahr im Herbst und Winter Hades Gemahlin in der Unterwelt sein, und im Frühling dürfte sie in die Oberwelt zurückkehren. Aus Dankbarkeit schenkten Demeter und Persephone Triptolemus die Kunst des Ackerbaus.

In der Schule von Chartres

Es gibt eine weitere Darstellung, die Jahrhunderte später in den Büchern der frühmittelalterlichen Lehrer der Schule von Chartres in Frankreich zu finden ist. Hier erscheint Persephone als Natura, die göttliche schöpferische Kraft in der Natur. In der Schule von Chartres bezieht sich Persephone Natura ausdrücklich auf das Christentum, das normalerweise keine geistigen Wesen wie Natura anerkennt. Die Kathedrale Notre-Dame in Chartres wurde jedoch an der Stelle errichtet, an der sich einst ein Tempel der keltischen Druiden befunden hatte. Diese keltischen Druiden hatten ein hellsichtiges Bewusstsein von Christus, dem Logos, und sie verehrten die Heilige Jungfrau, die einmal gebären wird (Virgo paritura). Auf demselben Hügel würde Jahrhunderte später der Geist der keltischen Naturreligion in der Schule von Chartres mit dem Christentum verschmelzen.

Persephone Natura war besorgt, weil der Mensch sich von der Natur entfernte. Sie erschien dem berühmten Lehrer von Chartres, Alanus ab Insulis, in einem Traum, den er in ‹Anticlaudianus› aufzeichnete. Darin beklagt sie, dass die Natur nicht gerettet werden kann, wenn das menschliche Handeln nicht von der höchsten Weisheit durchdrungen ist. Sie berief einen himmlischen Rat mit den anderen Göttinnen ein, und sie kamen überein, dass es einen neuen Menschen geben müsse. Sophia, die Göttin der kosmischen Weisheit, vertrat die Göttinnen und reiste durch die Planetensphären, bis sie die Trinität erreichte. Sie trug ihr Anliegen vor, woraufhin Gott einen neuen Menschen zeugte. Sophia empfing diesen Menschen und gab ihn Natura, um ihm einen vollkommenen Körper zu geben: das Christuswesen, dessen irdische Geburt einerseits von Sophia Maria und andererseits von Persephone Natura, im Keltentum die ‹Heilige Brigid› (Saint Bride/Brigid), begleitet wurde.

Foto: Xue Li

In der Anthroposophie

Rudolf Steiner verwies in vielen seiner Vorträge auf die Entführung der Persephone als Bild für die frühe Hellsichtigkeit der Menschheit, die geraubt wurde und im Unterbewusstsein verschwand. Aber er sagte auch, dass diese Fähigkeiten nicht einfach verschwinden – sie können verwandelt zurückkehren. In dem Bild der Persephone, das Steiner in seinem letzten Lebensjahr, zu Weihnachten 1924, in ‹Das Logos-Mysterium› gab, setzt Steiner Persephone in eine neue Beziehung zu Christus.1

Zunächst beschreibt er, wie sich der Mensch im Laufe seiner Entwicklung immer mehr vom Kosmos abwendet und sich auf irdische Phänomene konzentriert, um eine eigenständige, auf Selbsterkenntnis beruhende Urteilsfähigkeit zu erlangen. Die göttliche Welt lässt dies zu, indem sie sich ‹zurückzieht›. In diesem Prozess kommt der Zeitpunkt, an dem die Verbindung zwischen Erde und Kosmos wieder möglich werden muss. Deshalb muss das höchste Sonnenwesen auf die Erde herabsteigen, um sich mit dem Schicksal der Menschheit und der Erde zu verbinden und den irdischen Tod aus Liebe zur Menschheit und zur Erde zu überwinden. Das ist es, was Steiner als das ‹Mysterium von Golgatha› bezeichnet.

Steiner betont, dass das ‹Mysterium von Golgatha› ein einmaliges Ereignis in der Entwicklung der Menschheit ist und dass Persephone eine ähnliche Geste für die Pflanzenwelt vollzieht, allerdings in einem Jahresrhythmus, denn der Rhythmus ist der Schlüssel zur Entwicklung der Pflanzen. Auch sie steigt als erhabenes Wesen von der Sonne zur Erde herab und verbindet die Pflanzen mit ihrem kosmischen Ursprung. Persephones Aufgabe ist es, die Pflanzenwelt wieder in ihre ursprüngliche Ausrichtung zwischen Kosmos und Erde zu bringen.

Persephone und die Feldpräparate

Zwei Jahre nachdem ich meine Verbindung zu Persephone entdeckt hatte, wurde ich gebeten, in einem Kurs für Waldorflehrkräfte Phänomenologie zu unterrichten. Ich beschloss, meine frühen Forschungen über biodynamische Präparate als Beispiel zu verwenden. (Als ich am Louis-Bolk-Institut anfing, führte ich viele Jahre lang Feldforschung mit Landwirten und Landwirtinnen über Salat durch, um die Behandlung mit und ohne biodynamische Präparate zu vergleichen.)

Damals, in den 50er- bis 70er-Jahren, untersuchte die Forschung über die Wirkung von Feldpräparaten nur die Unterschiede zwischen behandelten und unbehandelten Pflanzen zur Erntezeit. Manchmal stieg der Ertrag, manchmal gab es keinen Unterschied, und manchmal sank der Ertrag, was zu Verwirrung führte. Ich dachte, dass wir vielleicht nicht durch die richtige Linse beobachteten. Mitte der 80er-Jahre lernte ich von Jochen Bockemühl (ehemaliger Leiter der Naturwissenschaftlichen Sektion) und der Goetheanistik, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf die Wachstumsdynamik während der Pflanzenentwicklung richten sollten und nicht nur auf das Endprodukt. Zu diesem Zweck habe ich die goetheanistische Phänomenologie bei wöchentlichen Pflanzenbeobachtungen angewandt, um zu sehen, welche Unterschiede in der Wachstumsdynamik sich über Zeit und Raum hinweg zeigen. Außerdem ließ ich einige Reihen Salat ungeerntet, um die Blüte als Ausdruck der potenziellen Lebenskräfte in der geernteten Pflanze fortzusetzen.

Ich stellte fest, dass ich die Spritzpräparate immer als harmonisierend erlebte, unabhängig von den Wachstumsbedingungen. Wenn die vegetative Frühjahrstendenz zu stark war, konnten sich nur wenige Pflanzen zur Blüte und zum Samenansatz entwickeln. Mit den Präparaten wurde das Wachstum ein wenig gebremst, und die meisten Pflanzen kamen zur vollen Entwicklung. Wenn der Wachstumsimpuls zu schwach war, zum Beispiel während eines sehr kalten Frühjahrs, stimulierten die Präparate das Wachstum deutlich. In allen Fällen erlebte ich, dass die Präparate zu einer besseren salattypischen Qualität beitrugen, zum Beispiel im Geschmack, sodass sich das volle Pflanzenpotenzial entfalten konnte.

Zu diesem Zeitpunkt brachte ich die Präparate nicht mit Persephone in Verbindung. Erst als ich 33 Jahre später meinen Unterricht über Phänomenologie vorbereitete, fiel mir auf, dass das eine Präparat im Winter und das andere im Sommer vergraben wird. Zu meiner großen Freude entdeckte ich, dass die biodynamischen Feldpräparate in erster Linie Instrumente der Persephone sind.

Persephone (als Isis, Teil einer Gruppe), Heiligtum der ägyptischen Götter in Gortyna, Mitte zweites Jahrhundert nach Christus. Heraklion Archaeological Museum. Foto: Carole Raddato, Quelle: Wikimedia Commons

Der Kuhmist als Stoffwechselprodukt hat eine Sommerqualität. Er wird in das Kuhhorn gestopft und im Winter vergraben, um es mit den Winterkräften zu durchdringen. Das Hornkieselpräparat basiert auf hartem kristallinem Gestein, das die Winterqualität repräsentiert, und wird im Sommer vergraben, um es mit Sommerkräften zu durchdringen. Die Substanzen in den Präparaten sind natürlich, aber diese Integration der jahreszeitlichen Qualitäten entstammt den kosmischen Erkenntnissen Rudolf Steiners und erhebt die Pflanze. Plötzlich sah ich es: Die Feldpräparate sind die Polarität des jeweils anderen und tragen auch die Polarität in sich selbst. Kein anderes Wesen integriert diese Polaritäten so wie Persephone.

Was für ein wunderbares Bild! Als ich dies erkannte, verstand ich die Imagination eines Kreuzes besser, die ich kurz vor der Vorbereitung dieser Lektion erlebte und die mich damals verwirrte. In einer Meditation erschien ein Kreuz mit Christus, und ich hörte: «Gib Acht, es geht um das Kreuz.» Christus verschwand langsam, aber das Kreuz blieb. Es geht nicht nur um die einfache Kombination von pflanzlichen, mineralischen und tierischen Stoffen, auch nicht um den natürlichen rhythmischen Wechsel der Jahreszeiten, dem die Präparate ausgesetzt sind – es geht um die Integration dieser Kräfte durch das Handeln der Landwirte und Landwirtinnen. In der Integration von Sommer- und Winterkräften erlebte ich das Bild des Kreuzes: die Sommerkräfte, die es den Pflanzen ermöglichen, sich in der Zeit auszubreiten, als horizontales Prinzip, und die Winterkräfte, durch die der geistige Impuls in die Erde hineinwirkt, als vertikales Prinzip, beide wirken gleichzeitig. Genau diese Integration der jahreszeitlichen Kräfte ist das Arbeitsfeld von Persephone: die irdischen Pflanzen wieder mit ihrem kosmischen Ursprung zu verbinden.

Persephone und die Elementarwesen

Wenn sich die Präparate auf das Pflanzenwachstum auswirken, wirken sie auch auf die Arbeit der Elementarwesen, die mit der Pflanzenentwicklung verbunden sind. Diese Elementarwesen sind die Helfer von Persephone, und sie sind auf die moralische Führung durch höhere Wesen und zunehmend auch durch uns Menschen angewiesen. Wenn wir die biodynamischen Präparate als herausragende Instrumente von Persephone sehen können, dann können wir auch verstehen, dass die Feldpräparate den Elementarwesen Nahrung und eine neue Richtung geben. Neu deshalb, weil die Präparate etwas tun, was nicht in der Natur vorkommt, sondern von Menschenhand gemacht ist, um irdische und kosmische Kräfte zu integrieren.

Ich denke, es ist an der Zeit und wichtig, dass wir lernen, die Elementarwesen in unser Bewusstsein aufzunehmen. Nach meiner Erfahrung in der Arbeit mit biodynamischen Landwirten und Landwirtinnen können wir lernen, uns mit ihnen in der Landwirtschaft durch meditative Aufmerksamkeit zu verbinden und mit ihnen zusammenzuarbeiten, indem wir fragen: Was wird auf dem Hof oder auf einem bestimmten Feld gebraucht? Wie können wir helfen? Und dann auf die Hinweise achten, die sie uns zuflüstern. Für einige von uns kommen die Antworten in Worten, für andere in Klängen oder in Farben und Bildern.

Glaube, Liebe und Hoffnung

Im Laufe der Zeit haben wir Menschen uns nicht nur von der geistigen Welt und der Natur entfernt, sondern auch voneinander. Ich begegne dem in meinem derzeitigen Forschungsgebiet der Pflanzenzüchtung, wo das Geschäftsmodell zunehmend auf Gentechnologie und Patenten zum Besitz von Saatgut basiert. Ein Teil unserer natürlichen Ressourcen, unser gemeinsames Gut! Die IFOAM – Organics International, unser Weltdachverband für ökologische Landbaubewegungen, spricht diesen sozioökonomischen Aspekt als ‹Prinzip der Fairness› an, und ich bin überzeugt, dass es keine ökologische Resilienz ohne soziale Resilienz geben wird. Das Losgelöstsein voneinander erfordert neue Verbindungen, echte Beziehungen und eine neue Gemeinschaft, anstatt sich gegenseitig zu überbieten, um einen Marktanteil zu halten. Das ist kein einfacher Weg.

Foto: Xue Li

Aber was hat das mit Persephone zu tun? Einen Hinweis darauf bekam ich durch ein kleines Buch, ‹Eleusis: Mythos der Götter und Einweihungsweg› (1982) von Wolfgang Greiner. Er erörtert Persephones zukünftige Suche im Persephone-Mythos. Was wird sie tun, wenn sie in die Oberwelt zurückkehrt? Er verweist auf Steiners zweites Mysteriendrama ‹Die Prüfung der Seele›, in dem der moderne Einweihungsweg dargestellt wird. Darin erscheinen die zukünftigen Kräfte, die die menschliche Seele mit dem Kosmos verbinden, als drei Wesen: Philia, Astrid und Luna. Steiner nennt sie die wahren Töchter der Demeter, die geraubt wurden, aber verwandelt zurückkehrten, um den Menschen in den nächsten 5000 Jahren Glauben, Liebe und Hoffnung zu geben. Ich finde es interessant, dass die niederländische Ärztin Ita Wegman ebenfalls auf der Suche nach der zukünftigen Persephone war. Zusammen mit Walter Johannes Stein schrieb sie 1930 ein Drama mit dem Titel ‹Persephoneia-Spiel›. Es wurde nie aufgeführt, aber der vollständige Text dieses Dramas und von ‹Das Heilige Drama von Eleusis› (Edouard Schuré/Rudolf Steiner) wurde kürzlich von Johannes Greiner (2021) veröffentlicht. Letzteres erzählt, wie die Menschheit vom antiken träumerischen Hellsehen zum Selbstbewusstsein kam, während das ‹Persephoneia-Spiel› von dem Weg erzählt, den wir vom Selbstbewusstsein zur neuen Gemeinschaft gehen können. Es gibt keine Demeter, keinen Zeus, keinen Triptolemus, der Persephone aus der Unterwelt befreit – sie muss es selbst tun, als freie, selbstbewusste Individualität, aber nicht allein: mit einer neuen Gemeinschaft.

Für mich ist der Glaube das Vertrauen in die geistige Welt, die die irdische Welt durchdringt, und dass sie durch Meditation erforscht werden kann, um Erde und Kosmos zu verbinden. In der Auferstehung von Persephone sehe ich das Vertrauen, dass wir unser materialistisches, totes Denken in ein lebendiges Denken umwandeln können, die Erde und die Pflanzen als lebendige Organismen betrachten und Elementarwesen und höhere Geistwesen in unsere Arbeit mit der Erde einbeziehen können. Liebe sehe ich als die neue Gemeinschaft in neuen sozioökonomischen Formen, wie sie in Initiativen wie der gemeinschaftsgestützten Landwirtschaft und anderen Netzwerken für ökologische Lebensmittel entstehen. Und Hoffnung ist für mich die treibende Kraft für uns Menschen, in dieser ungeheuer komplexen Welt standhaft zu bleiben und nach neuen kreativen Formen der Wiederverbindung mit der geistigen Welt, mit der Natur und miteinander zu suchen. Indem wir das tun, helfen wir Persephone.


Mehr Edith Lammerts van Buerens zunächst auf Niederländisch erschienenes Buch ‹Leben mit Persephone und die Zukunft der Pflanzenwelt› ist dank der Bemühungen des Goetheanum-Verlags nun auch auf Deutsch erhältlich.

Titelbild Landwirtschaftliche Tagung 2024, Foto: Xue Li

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Footnotes

  1.  Rudolf Steiner, Anthroposophische Leitsätze, Weihnachtsbetrachtung: Das Logos-Mysterium. GA 26, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1924.

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