Anthroposophische Medizin wird internationaler

Die Anthroposophische Medizin entwickelt sich international – strukturell und ideell – und weitet den Blick für globale Entwicklung. Ausdruck davon ist die jährliche Tagung der medizinischen Bewegung, die berufsübergreifend Menschen aus allen therapeutischen Richtungen und Erdteilen anzieht.


Neben vielen Initiativen und Aktivitäten sind Anthromedics und CARE beispielgebende Projekte der Sektion hinsichtlich internationaler Wirksamkeit. Anthromedics stellt ein von Matthias Girke begründetes Portal für Anthroposophische Medizin dar, welches neben einer Einführung in Grundlagen und Praxis der Anthroposophischen Medizin im digitalen Archiv über 7000 Artikel der Fachzeitschrift ‹Der Merkurstab› und ihrer Vorläufer seit 1946 zugänglich macht. Anthromedics ist an die bibliografische Internetdatenbank CrossRef angebunden, sodass die automatische Verlinkung von Literaturquellen mit anderen wissenschaftlichen Plattformen gewährleistet ist. Einen Schwerpunkt dieses Portals bilden die von Matthias Girke und Georg Soldner initiierten, frei zugänglichen Praxisempfehlungen zu bisher fünf CARE-Themenschwerpunkten in drei Sprachen (Deutsch, Englisch und Spanisch). Sie werden seit 2017 fortlaufend von internationalen Expertenkommissionen erarbeitet, in denen alle Heilberufe der Anthroposophischen Medizin zusammenarbeiten. Dazu gehören: Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit (CARE I), Umgang mit Fieber und Infektionserkrankungen (CARE II), Psychosomatische Erkrankungen mit besonderer Berücksichtigung von Schlaf- und Angststörungen, Depressionen und posttraumatischer Belastungsstörung (CARE III), Onkologie (CARE IV) und Palliativmedizin, Schmerztherapie und Begleitung des sterbenden Patienten (CARE V).

In allen Teilen der Welt

Der von Michaela Glöckler begründete Internationale Postgraduiertenkurs (IPMT) ist bis heute ein Instrument, um Anthroposophische Medizin in allen Teilen der Welt zu vertreten, zu entwickeln und weiter auszubauen. Alleine in diesem Format sind in den letzten 20 Jahren in 27 Ländern 37 fünfjährige Kurse zur Weiterbildung in Anthroposophischer Medizin abgeschlossen und insgesamt 241 einwöchige Kurse, in Pandemiezeiten zum Teil auch online, auf allen Kontinenten durchgeführt worden – von Asien bis Osteuropa, von Südamerika bis Afrika, von Nordamerika bis Russland. Der interdisziplinäre und interprofessionelle Charakter dieser Veranstaltung trug und trägt bis heute zum kollegialen Konzept der Anthroposophischen Medizin zwischen Pflegenden, Therapeutinnen und Ärzten aktiv bei. Damit erweist sich die Anthroposophische Medizin als ein hochmodernes und aktuelles Medizinkonzept der Integrativen Medizin.

Das sogenannte Research-Council ist eine Plattform, die 1999 von Wissenschaftlerinnen und Ärzten gegründet worden ist, die im Zusammenhang mit der Anthroposophischen Medizin forschend tätig sind. Es hat seither regelmäßige, teilweise jährliche Veranstaltungen und Treffen veranstaltet. Seit einigen Jahren wird im Frühjahr eine eigene Wissenschaftstagung in Dornach durchgeführt. In diesem Jahr vom 3. bis 5.3. zum Thema One Health – Studying and Addressing Life in Medicine. Über die Jahre ist so ein wachsendes Netzwerk von anthroposophisch-wissenschaftlichen Aktivitäten entstanden. Darüber hinaus konnten an zahlreichen Universitäten Stiftungsprofessuren für Anthroposophische und Integrative Medizin etabliert werden. Allein in Deutschland an der Charité in Berlin, in Freiburg, in Witten-Herdecke, in Tübingen und in Ulm und darüber hinaus in Leiden (Niederlande) und in der Schweiz in Basel und Bern. Auch an der Universität São Paulo (Brasilien) ist die Anthroposophische Medizin vertreten und bis hin zu den Phillippinen bestehen Kontakte zu Universitäten. Diese Entwicklung drückt sich in zunehmenden, auch international publizierten Veröffentlichungen zur Grundlage oder klinischen Anwendungen der Anthroposophischen Medizin aus. Nicht zuletzt ist das umfangreiche Wissen zur Misteltherapie über die Jahre enorm gewachsen. Auf Initiative der Medizinischen Sektion und unter der Federführung von Georg Soldner konnte eine Gesamtübersicht zur Mistelliteratur auf der Website Misteltherapie hinterlegt werden. Auch diese Website ist mittlerweile auf Spanisch und Englisch zugänglich und erreicht eine monatliche Zugangsrate von über 8000 Aufrufen, kontinuierlich steigend. Ein weiterer Aspekt, wie Anthroposophische Medizin international und wissenschaftlich wahrgenommen wird, sind Wissenschaftskongresse, ob es der Europäische Kongress für Integrative Medizin (ECIM), der Internationale Congress of complementary medicine research (ISCMR) oder andere sind – die Anthroposophische Medizin ist durch Beiträge, Poster und Publikationen vertreten.

Anthroposophische Medizin erlangt offiziellen Status

Ein Meilenstein war der Internationale Kongress für Integrative Medizin 2016 in Stuttgart, welcher nicht nur einen breiten Diskurs und interessante Beiträge hervorbrachte, sondern auch durch die damalige Vorsitzende der Amerikanischen Fachgesellschaft Academy of Integrative Health & Medicine (AIHM), Dr. Mimi Guarneri, einen strategischen Ausblick erhielt: Integrative Medizin ist die Mainstream-Medizin der Zukunft. Anthroposophische Medizin trägt seither konzeptionell, inhaltlich und wissenschaftlich auch international zur Entwicklung der Integrativen Medizin bei.

Gleichzeitig kam auf diesem Kongress der Leiter des Departements für Traditionelle, komplementäre und integrative Medizin der Weltgesundheitsorganisation WHO, Dr. Zhang Qi, auf die Leitung der Internationalen Vereinigung Anthroposophischer Ärztegesellschaften (IVAA) und der Medizinischen Sektion zu. Er bot an, die Ausbildungsstandards (Rahmencurricula) der Medizinischen Sektion und ihrer Berufsgruppen in einer Kooperation zwischen IVAA und WHO unter entsprechender Begutachtung in WHO-Standards zu überführen. Diese Entwicklung wird nun nach sieben Jahren im Frühjahr 2023 ihren erfolgreichen Abschluss finden in der bevorstehenden, offiziellen Publikation der ‹Benchmarks for Training in Anthroposophic Medicine› durch das genannte WHO-Departement. Allen Beteiligten ist mit größter Anerkennung zu danken für die Mühen und die Aufwendungen, die dieser Prozess erforderlich machte. Er ist ein Meilenstein für die Anthroposophische Medizin. Sie erlangt damit in den genannten Ländern und Kontinenten einen offiziellen Status, der für Ärztinnen, Therapeuten, Pflegende und alle Heilberufe einen Bezugsrahmen darstellt, in dem sich Anthroposophische Medizin strukturell und inhaltlich entwickeln kann. Den Initiatoren Thomas Breitkreuz, Tido von Schön-Angerer und Georg Soldner sei an dieser Stelle auf das Herzlichste gedankt. Die Anthroposophische Medizin reiht sich damit ein in eine globale Strategie eines beziehungsgetragenen, individualisierten, multidimensionalen, integrativ medizinischen Ansatzes. Die curriculare Anerkennung der Anthroposophischen Medizin als ein eigenständiges System durch die WHO kann nunmehr die Grundlage sein, auch im englischsprachigen wissenschaftlichen Schrifttum Anthroposophische Medizin international als kategoriales Medizinsystem in den Datenbanken (Medline) und sog. MESH-Terms zu verankern und damit als ein eigenständiges Medizinsystem sichtbar werden zu lassen. Es sei ein Ansporn, diesem Anspruch auch gerecht zu werden. Alle Beteiligten sind eingeladen, diesen inhaltlich in Zukunft substanziell weiterzuentwickeln.

‹Eine Medizin› in Verantwortung für die Erde

Anforderungen dieser Art finden sich nicht zuletzt auch in dem in den letzten Jahren entstandenen Begriff von One Health wieder. Gemeint ist, die Gesundheitsfürsorge auf einen Blickwinkel der Geomedizin auszuweiten und die Verantwortung für Erde und Mensch gleichermaßen als therapeutische Menschheitsaufgabe in den Blick zu nehmen. Hier hat sich die Medizinische Sektion zuletzt intensiv inhaltlich eingebracht. Kongresse und Tagungen führen in naher Zukunft zu weiteren Kooperationspartnerschaften und Vernetzungsmöglichkeiten, in die sich die Anthroposophische Medizin auch in diesem Kontext aktiv einbringen kann.

Ein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Matthias Girke und Georg Soldner und ihrem Team, die über einen überaus anspruchsvollen und beanspruchenden Alltag hinweg aus der Sektionsleitung heraus diese strategischen, in die Welt führenden Schritte immer impulsiert und unterstützt haben.


Friedemann Schad und Harald Matthes für die Ärztliche Leitung und Geschäftsführung Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Berlin.

Fotos Xue Li

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