Alles dicht? Machen!

Wer einen Kaffee bestellt, diskriminiert keine Teetrinker. Und wer eine Parodie macht? Die Auseinandersetzung um #allesdichtmachen sensibilisiert für das Auseinanderhalten verschiedener Urteilsschichten.


Es ist das Vorrecht von Künstlerinnen, Kabarettisten und Comediennes, die an den Hebeln aufs Korn zu nehmen. Ironie muss gelesen, Parodie verstanden werden; anderenfalls gerät ihre Rezeption in Schieflage. Das gilt auch, wenn der Standard von Algorithmen, Muster oder Stichwörter zu erkennen, auf soziale Situationen angewendet wird. Nehmen wir den Satz: «In den Pippi-Langstrumpf-Geschichten sollte das Wort ‹Negerkönig› gestrichen werden.» Ein Algorithmus könnte diesen Satz wegen des Wortes ‹Neger› als diskriminierend identifizieren; dem Inhalt nach ist das Wort diskriminierend, dem Kontext, der Intention nach aber gerade nicht.

Ich fühlte mich daran bei der Diskussion um #allesdichtmachen erinnert. Rund 50 Schauspielerinnen und Schauspieler parodierten in kurzminütigen Videos die Corona-Schutz-Kampagne #WirBleibenZuhause des Bundesministeriums für Gesundheit («Schützen Sie sich selbst. Und schützen Sie andere.»). Den Ausführenden wurde vorgeworfen, die Patientinnen und Patienten mit schwerem Verlauf von COVID-19 zu verhöhnen. Hoppla? Es ging gar nicht um sie, es ging um ‹Kollateralschäden› von Corona-Schutzmaßnahmen.

Auch Kunst muss sich Kritik gefallen lassen. Mir selbst ging es so, dass ich Beiträge nicht lustig fand. Zwar wiesen auch sie auf Problematiken wie die des sozialen Stresses hin – etwa wenn gegenüber Kindern die Hand ausrutsche, man dann doch bitte nicht mit der Hand zuschlagen solle (weil das das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern dauerhaft schädige), sondern mit einem Gegenstand. Das ist zynisch, weil es zu keiner tieferen Einsicht kommt. Interessanter waren für mich Beiträge mit weiterführenden Bildern oder einer originellen Idee. Eine Schauspielerin erzählte, dass sie die vor der Wohnungstür abgestellten bestellten Pakete nicht mehr hereinhole und damit davon, dass man etwas auslöst, ohne dafür die Verantwortung zu übernehmen. Eine andere sprach erleichtert davon, dass sie nun nicht nur als Schauspielerin die Entscheidung über das, was sie zu tun habe, (an den Regisseur) abgeben könne, sondern auch im privaten Alltag, indem ihr staatlicherseits vorgeschrieben wird, was sie zu tun habe. Oder es gab ein Paar, das in einem Zimmer immer einatmet und im anderen immer ausatmet.

Menschen sind vielschichtige Wesen

Statt Kunstkritik wurde schnell ein Zusammenhang zur Querdenkerbewegung hergestellt. Das kann aufklärerisch sein, aber auch diskreditierend, indem die negative Konnotation von dort auf die Parodie übertragen wird. Gewiss, es gibt nach Theodor W. Adorno «kein richtiges Leben im falschen». Und es fällt schwer, zu akzeptieren, dass Menschen vielschichtige Wesen sind. Und doch ist man bei der Urteilsfindung nicht alleingelassen. Etwa: Ist die Absicht der Ausführenden aufrichtig oder wird sie verdeckt? Der Wolf verstellt gegenüber den sieben Geißlein erst seine Stimme und sein Aussehen und täuscht über das, was er vorhat. Bei der Aktion #allesdichtmachen wäre zu hoffen, dass die Beteiligten das, was sie machten, machten, weil sie auf künstlerische Weise in einer Rolle Kritik äußern wollten, und nicht, um andere über darüber hinausgehende Zwecke zu täuschen. Wären sie selbst getäuscht worden, handelten sie noch immer lauter, wären aber instrumentalisiert worden. Dann gälte die Kritik dem Täuscher, nicht den Getäuschten.

Ohne das Bewusstsein vom Wesen einer auf einen bestimmten Gegenstand bezogenen Parodie wird aus dem Persiflieren einer staatlichen Kampagne ein Ignorieren der Situation schwer erkrankter Patientinnen und Patienten und ihrer Pflegerinnen und Pfleger. Dadurch rutscht man von der einen Ebene – dem Ge- oder Misslingen eines Kunstwerks – in eine moralische Bewertung. Einer Kritik wird eine andere Absicht unterstellt und diese zurückgewiesen: Verhöhne nicht COVID-19-Patientinnen und -Patienten. Je nach Stärke des Nachdrucks beansprucht man gegenüber anderen Deutungshoheit, was in einer angespannten gesellschaftlichen Situation zu realen Sanktionen führen kann. In diesem Fall verschwanden etliche Beiträge von der Plattform #allesdichtmachen, sei es aufgrund persönlicher Bedenken von Ausführenden, sei es aufgrund des Druckes von außen.

Für das eigene Handeln kann man Verantwortung übernehmen. Wird es von anderen in eine absolute Lesart gezwungen, steht der freien Tat eine Deutung gegenüber, die einen entmündigt; ist man getäuscht worden, ist man zwar mitschuldig geworden, doch nur, weil die eigentliche Tiefenstruktur des Settings nicht bekannt war.

Die Gegenaktion #malneschichtmachen schlug #allesdichtmachen mit ihren eigenen Mitteln. Sie lud dazu ein, einmal die Situation auf einer Intensivstation kennenzulernen – und damit eine weitere Lebenswirklichkeit.


Bilder Screenshots aus der Videoreihe #allesdichtmachen, Quelle: Youtube-Kanal ‹allesdichtmachen›.

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