Zwischen Zeitgeistern

Am 8. November finden in den Vereinigten Staaten die Zwischenwahlen statt, bei denen alle zwei Jahre entschieden wird, wer die Sitze der Senatorinnen, Gouverneure und Mitglieder des Repräsentanten­hauses besetzt.


Die greifbaren Ergebnisse dieser Wahlen haben zwar nicht die exekutive und symbolische Kraft der Präsidentschaftswahlen und ziehen auch nicht so viele Wählerinnen und Wähler an, sie sind aber ein wichtiger nächster Schritt in einer der umstrittensten politischen Perioden der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Obwohl eine Handvoll Themen bei dieser Wahl sicherlich dringlich sind: Waffenkontrolle bei grassierenden Schießereien an Schulen; Abtreibung; die von Angst vor Tod und Inflation geplagte Wirtschaft; das schuldenbelastete Bildungssystem, das von Eltern angegriffen wird, die ‹woke› Ideologien befürchten; das teure Gesundheitssystem, das mit der Zunahme chronischer Krankheiten, Folgen von Covid und Impfstoffen kämpft; die Außenpolitik im Stellvertreterkrieg mit Russland und dem Aufstieg eines übermächtigen Chinas. Es scheint, die Fragen dieser Wahl betreffen größtenteils die amerikanische Politik selbst.

Im letzten Jahr standen die Präsidentschaft und die Justiz im Mittelpunkt des Interesses, da der Einfluss von Trump bei drei Ernennungen von Richtern an den Obersten Gerichtshof deutlich wurde. Die politischen Linien haben sich in der Ära Covid deutlich verändert. Das Ergebnis war die Verstärkung der Opposition zwischen den politischen Parteien. Die politischen Pole leben in getrennten Realitäten, angeheizt durch die Algorithmen der sozialen Medien, die auf aufmerksamkeitsheischende Ängste zielen. Die Republikanische Partei setzt de facto auf Trumps Hetze und seine Vision eines isolationistischen Amerikas. Die meisten der neuen republikanischen Kandidatinnen und Kandidaten haben sich seine Unterstützung gesucht oder wurden von ihm direkt ins Rampenlicht katapultiert. Es scheint, dass Trump für eine weitere Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2024 gut positioniert ist oder zumindest seinen Einfluss aufrechterhalten kann.

Im Vergleich dazu wirkt Biden wenig engagiert, wenn auch nett. Er ist das Aushängeschild einer faden, undurchsichtigen Regierung. Er weckt in keiner Weise Hoffnung auf größere Reformen wie Obama oder Trump. Seine Wahl war bestenfalls von dem Wunsch nach relativer Normalität und der Hoffnung auf ein paar Schritte in Richtung gemäßigter liberaler politischer Fortschritte motiviert. In gewisser Hinsicht hat Biden nur den revolutionären Eifer treuer Anhängerinnen und Anhänger Trumps befeuert, von denen viele die aktivsten Kampagnen in der Republikanischen Partei führen. Trump ist bei der Rechten keineswegs überall beliebt, aber bei vielen kleineren Wahlen treten Kandidierende an, deren Programm sich ausschließlich auf den Trumpismus und die Abschaffung dessen, was sie als korruptes Wahlsystem ansehen, konzentriert. Sie vertreten nach wie vor das Narrativ, dass die Wahl 2020 gestohlen wurde. Und viele den Wahlprozess begleitende Positionen wurden von Kandidierenden, die Trump unterstützen, ins Visier genommen, wie zum Beispiel das Amt des Außenministers in Nevada. In manchen Teilen des Landes, vor allem in Arizona, gehen ‹Wahlbeobachter› in Militärkleidung in die Wahllokale, um die Erstwählenden einzuschüchtern. Im Gegensatz dazu scheint in der Demokratischen Partei nicht derselbe Zeitgeist der enthusiastischen Reform oder Erneuerung zu herrschen. Man erwartet also, dass die Republikaner das Repräsentantenhaus gewinnen, während die Demokraten den Senat knapp halten werden. Allerdings hat das Jahr 2016 gezeigt, wie unzuverlässig Umfragen und Vorhersagealgorithmen sind, da sie die ‹schweigende Mehrheit›, die Trump zum Sieg verholfen hat, nicht berücksichtigen.

Subtile Signale

Wenn es inmitten dieses Lärms ein subtiles Signal gibt, dann ist es die Forderung nach einer Erneuerung der politischen Sphäre, die dem amerikanischen Geist treu bleibt und gleichzeitig ein dringend benötigtes System-Upgrade ermöglicht, das die Fehler der Geschichte erkennt und einer sich schnell verändernden Welt entspricht. Das Gefühl der Entfremdung von der Politik verstärkt sich. Die Technologie bringt uns ein abstraktes globales Bewusstsein und führt aus der warmen Greifbarkeit lokaler Gemeinschaften heraus. Der gleiche technologische Fortschritt bietet der Politik und der Demokratie die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, aber unsere Institutionen hinken hinterher – außer bei der Waffenentwicklung und dem Überwachungsstaat. Meine Befürchtung ist, dass die verknöcherte Struktur Risse bekommt, zusammenstößt und verbrennt, wenn keine klare, gesunde und integrative Idee von einer Zukunft vorgelegt wird. Und dass eine schreckliche Macht die Oberhand gewinnt und in eine gewaltsame Regression stürzt. Die derzeitige Situation ist unheimlich und unangenehm, mit einem Hauch von Sci-Fi-Horror. Wenn ich durch die sozialen Medien scrolle, nehme ich hasserfüllte Gedankenformen von allen Seiten auf, ein Vorgeschmack auf den Krieg aller gegen alle. Da ich zurzeit in der Schweiz lebe, habe ich einen gewissen Abstand zu Amerika, der mir hilft, seine Schatten zu sehen. Während ich über die Feiertage zu Hause in Texas war, las ein Familienmitglied ein Buch von Alexander Dugin, einem nationalistischen russischen Wortführer gegen die Dekadenz Amerikas und des Westens. Obwohl auch erschrocken darüber, kann ich den Selbstekel verstehen, der einige Amerikanerinnen und Amerikaner dazu bringt, ihm zuzustimmen. Die schönen Seiten Amerikas sind mühsamer zu erkennen, aber dennoch vorhanden. Ich erlebe sie vor allem im Einfallsreichtum und Fleiß meiner Freunde, in ihrem stillen ‹Heldentum›, dem Guten zu dienen, und in ihrer visionären Begeisterung für die Zukunft. Vielleicht ist der größte Kampf der Kampf gegen das allgegenwärtige Phantasma, das uns davon abhält, diese menschliche Güte zu bezeugen und ihr zu vertrauen.


Bild US-Repräsentantenhaus, Foto: Andy Feliciotti von Unsplash

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