Zehn Jahre Fukushima

Vor zehn Jahren, am 11. März 2011, erschütterte das Tohoku-Erdbeben die See östlich von Japan und es kam zu einem Tsunami, dessen Fluten an den Küsten Japans verheerenden Schaden anrichteten: Über 20 000 Menschen teilten ein gemeinsames Schicksal und kamen innerhalb weniger Stunden ums Leben.


Es gab viele Gedenken für die Opfer, eines sei besonders genannt: An verschiedenen Orten wie Stadien und Konzerthallen wurde über Japan hinweg gleichzeitig und von einem Dirigenten geführt das Requiem von W. A. Mozart aufgeführt.

In Europa ist dieses Unglück vor allem für die Reaktorkatastrophe in Fukushima bekannt. Durch die Überflutung wurden sämtliche Kühlaggregate der vier Reaktorblöcke außer Betrieb gesetzt, sodass es zu Explosionen und Kernschmelzen kam – der größten radioaktiven Katastrophe seit Tschernobyl. Etwa 120 000 Bewohner wurden aus einem Umkreis von 40 Kilometern um das zerstörte Kraftwerk evakuiert und konnten z. T. bis heute nicht zurückkehren.

Katsushika Hokusai, ‹Die grosse Welle vor Kanagawa› (geschnitten), ca. 1831–34, Nationalmuseum Tokio. Fotoquelle: Wikimedia Commons.

Erstaunlich ist, dass vergleichsweise wenig Menschen unmittelbar durch das Reaktorunglück starben. Fälle akuter Strahlenkrankheit sind nicht bekannt, wohl aber ein erhöhtes Krebsrisiko. Man schätzt bis heute zwischen 100 bis 1000 Krebstote als unmittelbare Folge des Unglücks – infolge der Belastung durch die Evakuierung gab es eine erhöhte Sterberate bei den betroffenen Menschen.

Die mittelfristige Erhöhung der Radioaktivität vor allem durch Caesium 137 (Halbwertszeit ca. 30 Jahre) – und damit ein erhöhtes Krebsrisiko – ist dagegen groß. Trotzdem halten der verantwortliche Konzern Tepco sowie die Regierung ihre Versprechungen zur Dekontaminierung nicht ein. Hinzu kommt die enorme Menge Kühlwasser, welches fortlaufend durch die Reaktorruine gepumpt werden muss –  radioaktiv kontaminiert. Es kann daher nicht einfach ins Meer abgelassen werden, obwohl das jetzt geplant ist. Details über die Katastrophe und ihre Folgen können im Internet gefunden werden.

Das Unglück hat eine globale Bedeutung: Wenige Monate nach dem Ereignis konnte an der Küste Kaliforniens die Radioaktivität gemessen werden. Bedeutend war die Auswirkung in Europa, insbesondere in Deutschland: Wenige Monate später beschloss die Bundesregierung den Ausstieg aus der Kernenergie. In manchen anderen europäischen Ländern plant man nach einem anfänglichen Schock neue Kernkraftwerke – man kann nur hoffen, dass die ungelösten Probleme bei der Endlagerung der radioaktiven Abfälle zu handlungswirksamem Problembewusstsein führen! Die Bedenken gegenüber der Kernenergie sind damit endgültig aus dem Winkel ‹alternativer Illusion› herausgekommen. Die Leiden der Menschen in Japan durch die aus der Materie entfesselte Energie, der aufopfernde Einsatz von Arbeitern an der Reaktorruine sind einmal mehr zu einem Aufruf an die Menschheit geworden.

Alles spätere Reden von ‹friedlicher Nutzung› vertuschte den Wunsch nach waffenfähigem Plutonium aus den Reaktoren und ignorierte die Verantwortungslosigkeit, weil vor allem das Problem des Abfalls bis heute nicht gelöst sind.

Der Anfang dieser Technologie ist eng mit der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte verknüpft: Die Neutronenstrahlung, sozusagen der Schlüssel, den Faust von Mephisto erhält, wurde einige Monate vor dem Reichstagsbrand und der Machtübernahme Hitlers entdeckt (James Chadwick, 1932). Eine Beobachtung war nur doppelt indirekt möglich in dem Sinne, dass sie in anderen Stoffen Radioaktivität auslöst, die dann nachgewiesen werden kann. Sie ist gewissermaßen noch unsichtbarer als die gewöhnliche Radioaktivität. Wie Arthur Eddington sagte: «Something unknown is doing something we don’t know what.» 1938 behandelten in Berlin Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Straßmann mit eben dieser Strahlung Uran und entdeckten die Kernspaltung. Sofort wurde das energie- und waffentechnische Potenzial erkannt.

Während die deutschen Physiker wohl vor allem wegen der zu erwartenden technischen Hürden nicht an einer Bombe arbeiteten, wurden in den USA trotz des enormen Aufwands vor allem aus Angst vor einer deutschen Atombombe die Arbeiten aufgenommen. In Chicago wurde 1942 durch Enrico Fermi der erste Kernreaktor gebaut. Das führte bekanntlich zum Erfolg, aber wenige Wochen zu spät, um die Bomben über Deutschland einzusetzen, und so wurden die Ziele in Japan ausgewählt. – Während sich dem heutigen Besucher des Museums in Hiroshima die Ausstellung das Herz zusammenzieht, bedeutete der Einsatz für die Amerikaner die vorzeitige Beendigung des verlustreichen Pazifik-Krieges – für die Eroberung des japanischen Mutterlandes hatte man mit dem Verlust von an die 300 000 amerikanischen Soldaten gerechnet!

Die Geschichte ist hier angedeutet, weil man zwei Symptome ablesen kann: zum einen die schicksalsmäßige Verbindung der Technologie zu der gegen alles Menschentum gerichteten Wirkung des Nationalsozialismus. Terror und Angst sind gleichsam die Eltern der Bombe. Alles spätere Reden von ‹friedlicher Nutzung› vertuschte den Wunsch nach waffenfähigem Plutonium aus den Reaktoren und ignorierte die Verantwortungslosigkeit, weil vor allem das Problem des Abfalls und die Kontrolle des in großen Mengen produzierten Plutoniums bis heute nicht gelöst sind. Noch in den 70er-Jahren hat der hoch verehrte deutsche Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker das Problem mit der Bemerkung beiseitegewischt, die Menschheit habe noch jedes technische Problem gelöst! – Verantwortungslosigkeit ist ein Merkmal von Ichlosigkeit! Es ist kaum möglich, ein deutlicheres Beispiel ahrimanischer Wirksamkeit zu finden.

Zum anderen findet auch eine merkwürdige Beziehung zwischen Japan und Mitteleuropa ihren Ausdruck: Die Bomben waren aus Angst vor Deutschland entwickelt und zum Einsatz über Deutschland bestimmt, doch mussten die Japaner ihren Abwurf erleiden. – Vor zehn Jahren kam ein zweites atomares Unglück über Japan – und der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland, der stärksten Wirtschaftsmacht in der eu, war die vielleicht wichtigste Wirkung.

Wir gedenken heute nicht nur des Unglücks von Fukushima, der Verstorbenen und des Leides der Überlebenden, sondern besinnen uns auch auf eine Aufgabe: Im 20. Jahrhundert wurde unter dem Zeichen der ‹Ent-Ichung› aus der Materie eine Zerstörungskraft entfesselt, welche heute die ganze Erde unbewohnbar machen kann. Dem ist eine Kraft aus dem Ich entgegenzusetzen, die der Zukunft der Erde als Ort der Menschheit dient und der Erde ihren Sinn gibt.

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