Was lernen wir vom Geschehen in der Antarktis?

Die Antarktis steht unter dem Schutz des Menschen, doch der menschengemachte Klimabruch untergräbt dieses Bemühen. Das nun als ‹unvermeidlich› eingestufte Abschmelzen spiegelt das von den Lebensvorgängen getrennte Denken.


Der antarktische Kontinent ist durch die von Greenpeace angestoßene und 1961 in Kraft gesetzte Antarktiskonvention geschützt vor Ausbeutung von Rohstoffen. Der Aufenthalt der Menschen auf der Antarktis sollte sich auf die Forschung beschränken. Die Forschungsgemeinschaft hat sich nun in den letzten zwei Jahrzehnten stark engagiert und die Veränderung der Meereisverhältnisse, der Gletscherabbrüche und der Meeresströmungen, verbunden mit den marinen Lebensverhältnissen dokumentiert. Nun zeigt sich, dass die durch den Menschen in Gang gesetzten Energieumwandlungen mittels Erdöl, Gas und Kohle zu einer schleichenden Zerstörung der Antarktisgletscher und der Lebensverhältnisse in den Weltmeeren führt. Im renommierten Bulletin ‹Nature Climate Change› ist am 23. Oktober 2023 ein wichtiger Beitrag erschienen, welcher von der internationalen Forschungsgemeinschaft sofort als bedeutend und qualitativ hochstehend beurteilt wurde1. Die Arbeit hat auf Deutsch übersetzt den Titel ‹Unvermeidlicher zukünftiger Anstieg der Schelfeisschmelze in der Westantarktis im 21. Jahrhunderts›. Das Wort ‹unvermeidlich› ist hier ungewöhnlich und neu. Das antarktische Geschehen nimmt für das Verstehen der Dramatik des Klimabruchs eine Schlüsselstellung ein. Das soll im Folgenden in vereinfachter Form angedeutet werden.

Der antarktische Kontinent mit dem Südpol im Zentrum wird umringt von Meereis, einer schwimmenden Eismasse, die sich jahreszeitlich rhythmisch vergrößert und wieder verkleinert. Diese Eismasse wird von einer starken, sich nach Osten bewegenden Meeresströmung umkreist, welche von der Oberfläche bis in große Meerestiefen ragt (siehe Abbildung). Dieser Strom steht in beweglicher Beziehung mit allen anderen ozeanischen Meeresströmungen. Bevorzugt im Bereich von Buchten der Antarktis dreht die Meeresströmung um und fließt zuerst südwärts, dann westwärts unter das Meereis an die Festlandmasse heran (siehe Abbildung). Die mit dem Festland verbundenen und ins Meer ragenden großen Gletscher werden nun unterspült und bei wärmer werdenden Wassertemperaturen von unten her immer schneller abgeschmolzen. Dieses Abschmelzen kann zur Instabilität der Gletscher führen, sodass große Gletscherteile abbrechen, als Eisberge in die zirkumantarktische Meeresströmung gelangen, abschmelzen und den Meeresspiegel erhöhen.

Trennung lebendiger Lebensvorgänge

Gut untersucht sind die topografischen Verhältnisse des Bodenuntergrundes der Schelfmeergebiete an der Westantarktis. Dort hat die einfließende Meeresströmung mit besorgniserregender Beschleunigung die darüberliegenden Gletscher instabil gemacht.23 Nun haben Messungen gezeigt, dass die Wassertemperatur und die Geschwindigkeit der Meeresströmungen um die Antarktis schnell und stark angestiegen sind. Dies steht im Zusammenhang mit der anthropogen erzeugten Erderwärmung, welche nun mit einer gewissen Verzögerung auch die gewaltigen Wassermassen der Ozeane erfasst. Wenn nun das unter das antarktische Meereis gelangende Wasser wärmer wird, so muss man weitere Zusammenhänge bedenken. Es werden nicht nur die Antarktisgletscher in ihrem Dasein gestört. Beim Zurückfließen des Wassers an den untermeerischen Kontinentalrand haben wir ein wichtiges Geschehen. Dort befindet sich ein rhythmisch pulsierendes Leben und Sterben von pflanzlichem und tierischem einzelligem Plankton, verbunden mit einem vielfältigen Bakterienleben. Im Zusammenhang mit diesem Lebensstoffwechsel steht das Absinken der oben genannten Wassermassen bis in Tiefen von mehreren Kilometern. Dieses Absinken impulsiert und rhythmisiert die Gesamtheit aller Ozeanwasserströmung an der Oberfläche und in mittleren Tiefen sowie die wichtige Bodenströmung.4 Dieses Absinken hat sich in der letzten Zeit abgeschwächt und zusätzlich nimmt die Aufnahme und Verfrachtung von Kohlenstoffverbindungen in die Tiefe an den Absinkzonen ab, bedingt durch die steigende Wassertemperatur im Bereich des Meereises. Auch das Treibhausgas Kohlendioxid gelangt weniger aus der Luft in das absinkende Wasser. Die Temperaturerhöhung des Ozeanwassers und deren Wirksamkeit im antarktischen Bereich steht also in einem Zusammenhang mit all den Vorgängen, welche die Klimaforschenden für die vom Menschen bewohnten Gegenden untersuchen. Dieser Zusammenhang ist nicht ein einfacher, wo vermeintlich auf eine Ursache eine bestimmte Wirkung erfolgen muss. Es handelt sich hier um Vorgänge, wo sich Ursachen und Wirkungen in einer ständigen Wechselwirkung befinden. So kann uns das Antarktisgeschehen den Anstoß geben, ein bewegliches Denken zu schulen, sodass Vorgänge im Bereich des Anorganischen nicht abgetrennt werden von rhythmisch impulsierten Lebensvorgängen, so unscheinbar sie auch an der Antarktis in Erscheinung treten. Dieses lebendige Denken kann der Schlüssel sein, den Klimabruch zu erkennen und den Umgang mit der Erde zu ändern.


Legende zur Antarktiskarte gezeichnet und erstellt von H. U. Schmutz

Weiß am Rand der Antarktis Gletscher auf Wasser aufliegend
Blassblau Meerestiefe bis 200 m
Hellblau Meerestiefe bis 2000 m
Dunkelblau Meerestiefe bis 6000 m
Rot gestrichelt Ausdehnung Meereis im Januar
Rot Punkt-Strich Ausdehnung Meereis im Juli
Violett gewellt zirkumantarktische Meeresströmung
Violett Oberflächenströmungen
Schwarze Kreuze Absinkzonen von Oberflächenwasser
Schwarz mit Doppelstrich Bodenströmungen

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Footnotes

  1. A. Naughten et al., Unavoidable future increase in West Antarctic ice-shelf melting over the twenty-first century. Nature Climate Change, 2022.
  2. T. S. Dotto et al., Ocean variability beneath Thwaites Eastern Ice Shelf driven by the Pine Island Bay Gyre strength.
  3. J. Lauber et al., Warming beneath an East Antarctic ice shelf due to increased subpolar westerlies and reduced sea ice. Nature Geoscience, 2023.
  4. H. U. Schmutz, Erdkunde in der 9. bis 12. Klasse an Waldorfschulen, eine Gesamtkonzeption, Kap. 3: 10. Klasse – Die Erde in Bewegung. Stuttgart 2001.

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