Vom Zeichen zum Tanz

Jetzt im Sommer scheinen die Sterne verschwunden, denn es dauert beinahe bis Mitternacht, bis es für die Lichter der Nacht dunkel genug ist. Mit dem Eintritt der vollkommenen Dunkelheit, tauchen am südöstlichen Horizont dann zwei helle Lichter auf.


Es sind Saturn und Jupiter. Man erinnert sich beim Anblick vielleicht an ihre herausragende Konjunktion am 21. Dezember 2020. Damals standen die beiden fernen Wandler so dicht beisammen wie seit 500 Jahren nicht. Jupiters herrschaftliches Leuchten und Saturns innerliches Glimmen brachten zwei Seiten der Seele bzw. des menschlichen Blickes ins Bild. Jupiter als ein Planet, der schwerer als alle übrigen Planeten zusammen das Sonnensystem ordnet und beispielsweise den Lauf von Kometen bestimmt, repräsentiert die Weisheit. Mit gutem Grund gaben ihm die Griechen den Namen des Göttervaters ‹Zeus›, was die Römer auf die lateinisierte Form ‹Jupiter› übertrugen. Saturn wandert so langsam, dass man ihn beinahe für einen Stern hält. Bald 30 Jahre benötigt der ferne Planet für eine Umwanderung. So wie Jupiter die Gedankenkraft des Moments repräsentiert, ist Saturns mildes Leuchten Ausdruck von Innerlichkeit und Transzendenz. Es überrascht nicht, dass sein Name, im Griechischen ‹Kronos›, nicht zu den olympischen Göttern gehört, sondern zu den Schöpfungsgottheiten, den Titanen. Wenn man Saturn im Teleskop anschaut, dann kann es einem durchaus so gehen, dass man beim Anblick des majestätischen Ringsystems dessen Erhabenheit empfindet. Die menschliche Seele macht nun der Dialog dieser beiden Haltungen aus, des extrovertierten jupiterverwandten Ordnungssinns und der introvertierten saturnähnlichen Empfindungsfähigkeit. Wir haben im ‹Goetheanum› Nr. 51-52/20 gezeigt, dass das menschliche Antlitz mit seinem rechts prüfenden Blick und dem linken sensiblen Augenlicht diesen Gegensatz bzw. jedes menschliche Antlitz den Ausgleich, den Dialog dieser beiden polaren Richtungen in sich trägt. Jedes menschliche Gesicht bringt dieses Gespräch der Seele mit sich selbst ins Bild. Rembrandt hat in seinen Selbstbildnissen diesen Gegensatz von wacher heller rechter Gesichtshälfte und geheimnisvoll dunkler linker Seite künstlerisch gesteigert.

Mars und Venus tanzen von Ende Januar bis Ostern 2022 umeinanander. Foto: Sofia Lismont, Grafik: Sternkalender 2021/22

Das Echo der Konjunktion

Es gehörte in der Antike zu den Rätseln des Sternenhimmels, dass die Planeten zeitweise in ihrem Lauf innehalten und dann für ein oder zwei Monate in entgegengesetzter Richtung durch den Tierkreis ziehen, um nach einem erneuten Stopp dann wieder in den gewöhnlichen Gang überzugehen. Eudoxos, Ptolemäus oder Hipparch, all die antiken Astronomen, hatten im geozentrischen Weltbild große Mühe, diese Planetenschleifen in einem Weltbild irgendwie zu erklären. Man ersann imaginäre Zyklen, auf denen ein Punkt läuft, um den dann erst ein Planet kreist. Erst mit dem heliozentrischen Weltbild lichtete sich das Dunkel, denn jetzt war es plötzlich sehr einfach: Wenn die Erde an einem Planeten vorbeizieht, dann scheint dieser Wandler im Moment des Überholens für kurze Zeit vor dem Sternenhintergrund zurückzuweichen, um dann wieder in seinen gewöhnlichen Gang zu wechseln. All die Schleifen, so war nun klar, erklären sich aus diesem perspektivischen Phänomen. Jetzt, wo die Erde an Jupiter und Saturn vorbeiwandert, antworten diese Planeten entsprechend mit ihrem Rückwärtsgang. Von der Spanne von 20 Grad im Juni schwindet so der Abstand zwischen Jupiter und Saturn noch einmal auf wenige 15 Grad. Für einige Wochen teilen sich beide Planeten ein letztes Mal ein Tierkreisbild, bis dann im November Jupiter losstürmt. Wie eine Erinnerung, ein Nachklang an die Große Konjunktion erscheint diese gemeinsame Schleifenbewegung von Jupiter und Saturn.

Wie eine Erinnerung, ein Nachklang an die Große Konjunktion erscheint diese gemeinsame Schleifen­bewegung von Jupiter und Saturn.

Nachbarschaftliche Antwort

Sind 2021 und 2022 bloß die Jahre ‹nach› der Konjunktion? Sicher nicht, das zeigt die Konstellation, die im Frühjahr 2022 bald nach dem Jahreswechsel einsetzt und sich bis Ostern 2022 steigert. So wie Mars sich vor der Großen Konjunktion zu Jupiter und Saturn dazustellte, so stellt sich an Weihnachten 2021 Venus als ein Nachklang zu den Planetenriesen. Dann beginnt das Schauspiel Ende Januar 2022. In derselben Region, in der Jupiter und Saturn zusammenstanden, kommen jetzt am Morgenhimmel Venus und Mars zusammen. In den darauffolgenden Wochen wandert Mars unter Venus entlang, sodass der Abstand von beiden auf 6 Grad schwindet. Diese geringe Distanz halten nun beide Planeten über zwei Monate! Als würden sie um die Wette laufen und keiner vermag den anderen zu überholen, so ziehen beide in der Morgendämmerung dahin. Im März wandert Venus dann etwas voraus. Ende März kommt noch Saturn ins Spiel. So wird aus dem Tanz der beiden ein Trio. Es ist ein österlicher Tanz. Ein kleines Planetendreieck steht so am Morgenhimmel, das täglich seine Form ändert. Anfang April stehen dann Mars und Saturn in enger Konjunktion von weniger als einem halben Grad. Wille und Transzendenz, innerer Wille, ein Wille, der nichts in der Welt ändert, sondern in der eigenen Seele, das könnte der Ausdruck dieser Begegnung sein. Venus läuft weiter auf Jupiter zu, sodass sich neben dem Paar Mars–Saturn mit Vernus und Jupiter ein zweites bildet. Zum Bild des inneren Willens kommt die Gemeinschaft von Liebe (Venus) und Erkenntnis (Jupiter) hinzu.

In der Karwoche sind dann mit Venus, Jupiter, Mars und Saturn die vier Planeten in eine Linie gestreckt. Eindrucksvoll steht die aus einem Tanz hervorgegangene Planetenreihe am Morgenhimmel. Jetzt denkt man vielleicht an die Weihnachtskonstellation zurück. Ist dort etwas in einer Begegnung geboren worden, was nun zu tanzen lernt?


Siehe Wolfgang Held: Sternkalender 2021/22

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