Sich befruchten in der Verschiedenheit

Nachdem die ‹Living Connections›-Tagung 2022 aufgrund zu wenig Teilnehmender abgesagt wurde, trafen sich im September 60 Menschen auf Einladung der ‹Living Connections›-Initiative sowie der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion. Hier einige Eindrücke und Zukunftsimpulse daraus.


Die circa zehnköpfige Vorbereitungsgruppe der ‹Living Connections›-Initiative und die Allgemeine Anthroposophische Sektion, vertreten durch Claus-Peter Röh, luden anstatt zur geplanten Tagung zu einer zweisprachig abgehaltenen Fachkonferenz zum Thema ‹Living Connections: Den Abgrund überbrücken› ein. In der Schreinerei kamen Menschen, die der Initiative nahestehen, Meditationslehrende sowie Menschen, die anthroposophische Meditation noch näher kennenlernen wollten, zusammen. In den drei Tagen wurden Fragestellungen zur Methodik der Meditationsübungen, zu Meditation und Zeitgenossenschaft sowie zur Rolle der Gemeinschaftsbildung innerhalb der meditativen Arbeit behandelt. Es zeigte sich, dass Diversität der individuellen Ansätze und der meditativen Zugänge ‹Living connections› lebendig machen. Um diese Vielfalt etwas abzubilden, befragten Aina Bergsma und Johanna Lamprecht drei Teilnehmende zu ihren Erlebnissen und Hintergründen.

Was bedeutete das Treffen für dich?

Corinna Gleide (Lehrerin für Meditation, leitet das D. N. Dunlop Institut für anthroposophische Erwachsenenbildung und ist Redakteurin bei ‹Die Drei›): Für mich war das Treffen ein Wiederanknüpfen an den Ursprungsimpuls, der 2010 in Järna begonnen hatte. Ich war damals bei diesem Treffen ‹Goetheanum Meditation Initiative Worldwide›1, das vom Goetheanum und von verschiedenen Stiftungen ausging, dabei. Wir waren ungefähr 100 Menschen aus der ganzen Welt, die sich mit Meditation im Zusammenhang mit der Hochschule beschäftigten und/oder Lehrende für anthroposophische Meditation waren. Ausgangspunkt für diese Initiative war die Frage einiger Stiftungen an die Hochschulleitung gewesen, wie sie zu einer Belebung des anthroposophischen Impulses beitragen könnten. Durch dieses erste Treffen und die Folgetreffen kamen Menschen zusammen, lernten sich kennen und begannen zusammenzuarbeiten, die davor entweder lose oder gar nicht verbunden waren. Aus der Perspektive von Deutschland kann ich sagen, dass das sehr fruchtbar war. Es entwickelte sich eine Meditationsbewegung, ein Sich-Befruchten in der Verschiedenheit, ein Zusammenarbeiten. Es wurden größere Tagungen organisiert, Artikel und Bücher geschrieben. Meditationslehrer und -lehrerinnen verabredeten sich zu regelmäßigen Treffen und Telefonkonferenzen, die es bis heute gibt und die sehr fruchtbar sind. Auf diesem Hintergrund war ich jetzt bei ‹Living Connections› dabei. Ich fand das Treffen sehr impulsierend.

Irena Vogel (30 Jahre alt, ist Eurythmiestudentin im dritten Jahr und kennt anthroposophische Meditation seit ca. vier Jahren über regelmäßige Wochenendseminare): Eine Tagung zum Thema Meditation hatte ich vorher noch nicht besucht. Auch wenn die Tagung nicht wie geplant stattfinden konnte, war es für mich doch das erste Mal, mit so vielen Menschen zusammenzutreffen, bei denen in ähnlicher oder auch unterschiedlicher Weise Meditation im Leben eine Rolle spielt. Davor fand der Austausch zu diesem Thema nur in meiner altbekannten Gruppe statt, in der ich auch die anthroposophische Meditation kennengelernt habe. So konnte ich bei dem Treffen erfahren, dass viele der Menschen, alt wie jung, die gleichen Hindernisse und Hemmnisse erleben, wie ich es tue, wenn ich mich der Meditation widme.

Der Austausch darüber gab mir neue Anregungen und vor allem Willen für meine eigene Meditationspraxis im Alltag. Durch die Begegnungen ist es mir nun möglich geworden, überhaupt eine richtige Meditation im Alltag zu integrieren, da ich nun die Scheu und das Hemmnis vor dem ‹Was?› oder ‹Wie?› verloren habe.

Außerdem weckte dieses Treffen in mir den Impuls, gerade jungen Menschen die anthroposophische Meditation zugänglich machen zu wollen. So gebe ich nun seit wenigen Wochen Interessierten im privaten Rahmen Einblicke in die anthroposophische Meditation, sodass wir als neue Gruppe, in immer sehr unterschiedlicher Besetzung unsere ersten Erfahrungen auf diesem Gebiet machen. Gerade hierfür gab mir das Treffen den Mut und das Vertrauen.

Was brauchst du für deinen weiteren Umgang mit anthroposophischer Meditation?

Wolfgang Tomaschitz (Sozialforscher in Wien und Landesvertreter der AAG in Österreich): Ich persönlich brauche für meine Meditation Ruhe, Freude im Ausüben und den Mut, meinen Erfahrungen zu vertrauen. Wir, als Gruppe von Menschen, die anthroposophische Meditation üben und auch darstellen wollen, brauchen – denke ich – eine Verständigung darüber, was die grundlegenden, einführenden Übungen sind, die zu einem anthroposophischen Übungsweg gehören. Die gemeinsame Erarbeitung eines solchen methodischen Kanons, der ganz frei und undogmatisch gehandhabt werden kann, wäre für die ersten Schritte des Übungsweges sicher möglich und eine lohnende Zielsetzung für das Netzwerk Goetheanum Meditation Initiative Worldwide und alle, die jüngst dazugestoßen sind.

Irena Vogel Für den weiteren Umgang mit der anthroposophischen Meditation brauche ich persönlich den Willen, das, was ich nun in meinem Alltag täglich begonnen habe und an andere junge Menschen weitergeben möchte, auch weiterzuführen. Außerdem waren für mich von Anfang an die Gruppe und die Menschen, mit denen ich zusammen meditiert habe, ein sehr wichtiger Bestandteil, da die Erfahrungen so vertieft werden können und auch ein Austausch über Erlebnisse möglich ist. Dieses Meditieren in der Gruppe erlebe ich auch als wichtigen Bestandteil und ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen, die schon mit der Meditation vertraut sind, dies weitergeben und so neue Gruppen entstehen können. Da Meditation gerade auch bei der jüngeren Generation längst in der Gesellschaft angekommen ist, wünsche ich mir, dass auch die anthroposophische Meditation ihren Platz bekommt und damit Menschen braucht, die diese weitertragen möchten. Darüber hinaus braucht es für mich noch mehr Austausch auch über die eigene Gruppe hinaus mit anderen Menschen, so wie es bei dem Treffen möglich war.

Welche Rolle spielt die Gemeinschaft für dich in Bezug auf deine meditative Praxis?

Corinna Gleide Als Lehrerin für Meditation sehe ich vor allem, dass wir an einer spirituellen Gemeinschaft arbeiten, sei es durch die meditative Arbeit in Meditationsgruppen, sei es aber auch durch das gleichzeitige Meditieren an unterschiedlichen Orten. Dabei geht es um ein Verstärken geistiger Kräfte für die einzelnen Beteiligten und für die Welt in schwieriger Zeitlage.

Wolfgang Tomaschitz Ich bin davon überzeugt, dass auch sehr intensive und tiefe Meditationserfahrungen – vielleicht gerade diese – vertrauliche Gespräche brauchen, um sich abzurunden, um revidiert und wirklich verstanden werden zu können. Schon für die landläufige empirische Forschung in den Natur- und Sozialwissenschaften gilt, dass die Phänomene so komplex geworden sind, dass sie sich nur mehr von Teams enträtseln lassen. Das gilt, glaube ich, auch für das Verhältnis von Einzelnen und der Gemeinschaft bezüglich der Meditation. Dazu sind – frei nach Claus Otto Scharmer – allerdings ein paar beherzte Schritte im Dialograum vonnöten, die bekanntlich von der Höflichkeit, über das Aussprechen von Unterschieden und das gemeinsame Erkunden in die ‹gemeinsame Gegenwärtigung› der Quellen und des zukünftig Möglichen führen.

‹Living Connections›-Fachkonferenz 2022, Foto: Andreas Heertsch

Was zeichnet anthroposophische Meditation aus, was ist das Spezifische daran?

Es ist eine Frage, die auf vielerlei – auch umstrittene – Weise beantwortet werden kann. Bart Vanmechelen, Co-Leiter des Anthroposophic Council for Inclusive Social Development und langjähriger Mitwirkender der Goetheanum Meditation Initiative Worldwide1, hebt drei Arbeitsfelder hervor, die wesentlich für die anthroposophische Meditation sind: Studium, innere Übungen und praktische Realisierung. Beim Studium geht es um das Studium der Anthroposophie, insbesondere von Rudolf Steiners Werken. Hier begegnet man einer klaren Beschreibung von den Schritten der Bewusstseins- und der Menschheitsentwicklung so, dass sie einem ermöglichen, selbst zu verstehen, was man in seiner Meditation erlebt. Bei den inneren Übungen geht es um die Übungen, die von Rudolf Steiner gegeben wurden, zum Beispiel Vorbereitungsübungen wie die Nebenübungen, die vor oder zu einer Meditation gemacht werden können, oder Übungen zur Stärkung der inneren Kräfte, die in der Meditation gebraucht werden. Bei der praktischen Realisierung geht es um die Fähigkeit, die Früchte der Meditation in das Arbeits-, das Alltagsleben hinauszutragen. Diese drei wichtigen Arbeitsfelder begleiten die anthroposophische Form von Meditation. Sie wirken gegenseitig aufeinander ein, und zusammen wirken sie auch auf die Meditationspraxis als solche ein. Diese Interaktion mit und zwischen den Arbeitsfeldern verleiht der anthroposophischen Meditation eine besondere, ganz eigene Qualität.

Zusammengefasst betont Bart Vanmechelen die forschende, bewusste Qualität der anthroposophischen Meditation: Der Mensch erstrebt Klarheit darüber, welche Schritte er während der Meditation unternimmt, er sucht danach, seine Erfahrungen für sich selbst und eventuell für andere zu artikulieren. Dazu kommt als Qualität, dass anthroposophische Meditation nicht bloß für sich selbst getan wird, sondern für die Mitmenschen, die Arbeit, das Leben. Es bedarf dafür Momente der inneren Ruhe, die Bildung eines inneren Raumes – dessen Fruchtbarkeit der Welt wiederum geschenkt wird.2


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Footnotes

  1. Goetheanum Meditation Initiative Worldwide ist ein weltweites Netzwerk von Menschen, die mit anthroposophischer Meditation verbunden sind und einen Austausch über ihre meditativen Erfahrungen suchen. Das Netzwerk ist momentan hauptsächlich durch den Tagungsimpuls ‹Living Connections› sichtbar tätig.
  2. Dieser Text ist eine Zusammenfassung und Übersetzung aus dem Englischen von einem Interview mit Bart Vanmechelen, das zusammen mit anderen Interviews zum Thema anthroposophische Meditation im Rahmen der Tagungsvorbereitungen auf Youtube publiziert wurde. Diese Serie von Interviews ist Teil des Tagungsimpulses ‹Living Connections›, der zum ersten Mal im Jahr 2017 am Goetheanum stattfand und seither die Tagung im Online-Format von 2021 und das Arbeitstreffen von Mitte September 2022 organisierte.

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