Klage gegen Tech-Giganten

Die sozialen Medien sind zu einer Spiel- und Projektionsfläche für Kinder und Jugendliche geworden. Zum Vorwurf sozialer und seelischer Schädigung kommt nun der Vorwurf der Suchtgefährdung dazu. In den USA wurde Anklage gegen die größten Unternehmen erhoben.


Seit Jahren haben wir Schutzmaßnahmen ergriffen, um unsere Jugend vor den großen Industrien wie Tabak, Alkohol und Pharma zu schützen. Soziale Medien wie Meta (Facebook, Instagram, Whatsapp, Messenger), Tiktok usw. können ebenso schädlich sein. Vor allem süchtig machende Feeds1 haben das Risiko für unsere Kinder erhöht: 97 Prozent der Teenager geben an, täglich online zu sein.2 Diese Nutzung unter Jugendlichen wird mit langfristigen Entwicklungsschäden wie schlechter Schlafqualität und schlechter psychischer Gesundheit in Verbindung gebracht.3 Diejenigen, die mehr als drei Stunden pro Tag in den sozialen Medien verbringen, haben ein doppelt so hohes Erkrankungsrisiko, und bei jungen Mädchen ist der Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und der Nutzung sozialer Medien stärker als der zwischen schlechter psychischer Gesundheit und Saufgelagen, sexuellen Übergriffen, Fettleibigkeit oder dem Konsum harter Drogen.4 Kinder werden auch verfolgt, ihre Daten werden weitergegeben und online verkauft.5

Ein Whistleblower sagt aus

Vor diesem Hintergrund haben mehr als 40 US-Bundesstaaten Klage gegen Meta eingereicht. Sie werfen dem Social-Media-Unternehmen vor, die psychische Gesundheit junger Menschen zu schädigen, indem es sie süchtig macht und die Öffentlichkeit über die Sicherheit der Plattformen täuscht. In einer Senatsanhörung am 7. November sagte Arturo Béjar, ein Whistleblower von Meta, wie folgt aus: «Ich kann mit Sicherheit sagen, dass die Führungskräfte von Meta wussten, welchen Schaden die Teenager erleiden, dass es Dinge gab, die die Führungskräfte tun konnte, die sehr machbar sind, und dass sie sich entschieden haben, sie nicht zu tun: Wir dürfen ihnen unsere Kinder nicht anvertrauen.» Die Anklage behauptet, dass die Plattformen von Meta «die psychologische und soziale Realität einer Generation junger Amerikanerinnen und Amerikaner tiefgreifend verändert» haben und «mächtige und beispiellose Technologien nutzen, um Jugendliche und Teams zu verführen, zu animieren und schließlich zu umgarnen». Béjar: «Ich kann aus erster Hand berichten, wie einfach es ist, einen Button und einen Zähler zu bauen. […] Ich glaube, der Grund, warum sie das nicht tun, ist, Transparenz über die Schäden zu vermeiden.» Die Situation ist katastrophal; die freiwilligen Maßnahmen von Big Tech zur Selbstkontrolle sind gescheitert: Es dauerte bis 2021, bis Instagram-Konten von unter 16-Jährigen standardmäßig privat wurden und dass Ältere nur Minderjährigen, die ihnen folgen, Nachrichten schicken dürfen. So viel zur Klage. Aber wie schaffen wir es überhaupt, zwischen Szylla (Anarchie) und Charybdis (Überwachungstendenzen) dieses modernen Mediums zu navigieren?

Die Verantwortung der Erwachsenen wächst

In den USA wird nun der ‹Kids Online Safety Act› (KOSA) vorgelegt, zu dem Béjar Stellung nahm. Das Gesetz sieht vor, dass soziale Medienplattformen Minderjährigen Optionen zum Schutz ihrer Daten, zur Deaktivierung süchtig machender Produktfunktionen und zur Ablehnung algorithmischer Empfehlungen anbieten müssen. Die Plattformen sollen verpflichtet werden, die stärksten Einstellungen standardmäßig zu aktivieren. Außerdem erhalten Eltern neue Kontrollmöglichkeiten, um ihre Kinder zu unterstützen und schädliches Verhalten zu erkennen, und es wird ein spezieller Kanal zur Verfügung gestellt, über den man der Plattform Schäden an Kindern melden kann. Dies spielt jedoch in die Hände dieser Unternehmen, denn Daten sind für sie alles!

Das Gesetz soll soziale Medienplattformen verpflichten, Schäden für Minderjährige zu verhindern und abzumildern, wie etwa die Förderung von Suizid, Essstörungen, Drogenmissbrauch, sexueller Ausbeutung und illegalen Produkten für Minderjährige (z. B. Glücksspiel und Alkohol). Social-Media-Plattformen müssen jährlich ein unabhängiges Audit durchführen, bei dem die Risiken für Minderjährige, die Einhaltung dieser Rechtsvorschriften und die Frage bewertet werden, ob die Plattform sinnvolle Schritte zur Verhinderung dieser Schäden unternimmt. Zu diesem Zweck müssen sie Messgrößen entwickeln, die es sowohl dem Unternehmen als auch Außenstehenden ermöglichen, die von den Nutzenden erlebten Schadensfälle zu bewerten und zu verfolgen. Akademische und gemeinnützige Organisationen müssen Zugang zu wichtigen Datensätzen von Social-Media-Plattformen erhalten, um die Forschung über Schäden für die Sicherheit und das Wohlbefinden von Minderjährigen zu fördern.

Abgesehen von der rechtlichen Ebene (Gesetze machen6 und aufheben7) gibt es überall Initiativen, um das Internet für Kinder sicherer zu machen: internationale8 und nationale9 Hilfsgruppen und Elterninitiativen, die durch äußere10 und innere11 Entschlüsse verhindern, dass sich das Internet zu früh einschleicht.

Es war der Autor Yuval Harari, der behauptete, dass es Big Tech immer besser gelingt, unsere Gedanken, Gefühle und unser Verhalten zu hacken12: sich der Menschenseele zu bemächtigen. Ein wesentliches Ziel des Menschseins ist es, immer mehr Freiheit über die Gestaltung der eigenen Seele zu erlangen. So erscheint es umso fataler, wenn wir sie den Verlockungen von Big Tech überlassen.


Foto Robin Worral, Bildquelle: Unsplash

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Footnotes

  1. Ein süchtig machender Feed ist eine Funktion der sozialen Medien, die darauf abzielt, die Nutzenden zu binden und immer wieder auf sie zurückzukommen. Häufig gibt es einen Algorithmus, der Inhalte auf der Grundlage des bisherigen Verhaltens und der Interessen kuratiert und sie optisch ansprechend und leicht zu konsumierend präsentiert. Er regt dazu an, zu scrollen, zu klicken und mehr Zeit auf der Plattform zu verbringen.
  2. Emily A. Vogels and Risa Gelles-Watnick, Teens and social media: Key findings from Pew Research Center surveys. Pew Research Center.
  3. ‹Jugendliche sind schädlichen Inhalten zu Depressionen und Suizid ausgesetzt›, Amnesty International Schweiz.
  4. J. M. Twenge, J. Haidt, J. Lozano and K. M. Cummins, Specification curve analysis shows that social media use is linked to poor mental health, especially among girls. Acta Psychologica 224, 103512 (2022).
  5. z. B. ‹Governments Harm Children’s Rights in Online Learning›, Human Rights Watch, (2022).
  6. z. B. Kids Online Safety Act (KOSA) in den USA, oder ähnliche Gesetze in vielen anderen Ländern.
  7. Schweden hat z. B. im Oktober 2023 sein Gesetz aufgehoben, das Kita-Kinder ins Internet zwingt: P. Sigg, Schweden streicht Bildschirmzwang für Kleinkinder. Infosperber (3.11.2023).
  8. z. B. WHO, UNICEF, End-violence, WePROTECT.
  9. z. B. Deutschland/Schweiz/Österreich, Gesundheitsministerien, Elternrichtlinien.
  10. z. B. die internationale anthroposophische Initiative ELIANT, ‹Das Recht auf bildschirmfreie Kindertagesstätten und Grundschulen›.
  11. z. B. Eltern/Klassen/Schulen, die sich verpflichten, den Kindern bis zur 8. Klasse kein Smartphone zu geben: Wait Until 8th.
  12. N. Thompson, When Tech Knows You Better Than You Know Yourself. Wired, Oct 4 2018.

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