Frauen! Leben! Freiheit!

Zur Verleihung des Friedensnobel­preises an Narges Mohammadi.


Unsere Anteilnahme ist gefragt. Sie ist das Mindeste, das wir den Menschen geben können, die weltweit leiden – für das, was wir in relativer Sicherheit und Selbstverständlichkeit genießen: unser Leben in Freiheit.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi ist ein Zeichen, aber mehr ist es nicht. Liz Throssell, die Sprecherin des UN-Hochkommissariats, nennt Irans Frauen eine «Inspiration für die Welt». Damit das wahr wird und werden kann, was mit dieser Aussage gemeint ist, dürfen wir uns nicht scheuen, auf die Wirklichkeit eines Ideals zu schauen. Gewaltfreier Widerstand ist ein Kampf um Frieden – dieses Paradox geht gegenwärtig jede Seele auf Erden an.

Narges Mohammadi sagt von sich, sie kann kein anderes Leben wählen, sie muss kämpfen – «sonst bin ich kein richtiger Mensch». Was das bedeutet, muss jeder Mensch für sich und sein Leben entscheiden – in ihrem kennen wir die unfassbaren Konsequenzen, die sie dafür trägt.

Sie wurde am 21. April 1972 im Iran in der Stadt Zandschan geboren. Schon während ihres Studiums in Physik nahm sie an politischen Studentenprotesten teil und schrieb Artikel für Frauenrechte. Nach ihrem Abschluss als Ingenieurin erhielt sie Berufsverbot. Fortan arbeitete sie als Journalistin für reformorientierte Zeitungen. 1990, kurz nach der Heirat mit dem Reformjournalisten Taghi Rahmani, wurde sie zum ersten Mal verhaftet. Bis heute, 33 Jahre lang, verläuft ihr Leben in einer Spirale der Gewalt, die ihr unablässig zugefügt wird, ohne dass es dem Mullah-Regime gelang, ihren Willen zu brechen. Kurze Zeiten in Freiheit wechseln mit Anklagen und Schauprozessen, in denen sie regelmäßig zu mehrjährigen Gefängnisstrafen und Hunderten von Peitschenhieben verurteilt wird.

2012 ging ihr Mann, der ebenfalls insgesamt 14 Jahre inhaftiert war, mit den beiden Kindern nach Frankreich ins Exil. Seit dieser Zeit hat Narges Mohammadi ihre 2006 geborenen Zwillinge Ali und Kiana nicht wiedergesehen; sie blieb im Iran, um ihre Arbeit fortzusetzen. Narges Mohammadi ist die zweite Iranerin, die den Friedensnobelpreis erhielt. Vor 20 Jahren, 2003, wurde ihr großes Vorbild, die Anwältin Shirin Ebadi, mit dieser höchsten Auszeichnung geehrt, deren Zentrum für die Verteidigung der Menschenrechte Mohammadi sich damals anschloss. Es sind unsagbare Qualen, welche die Frauen durchleben, ohne den Mut zu verlieren, den Kampfgeist, die Aufrichtigkeit.

In Interviews und Videos kann man über ihre Haltung nur staunen. Kein Pathos, nur Ethos. Keine Bitternis, sondern Herzlichkeit. Mut, der sich offenbar aus Liebe speist. «Je mehr sie uns einsperren, desto widerstandsfähiger werden wir.» Narges Mohammadi hat mit 51 Jahren mehr als drei Jahrzehnte im Widerstand verbracht, sie durchlitt lebensgefährliche Verletzungen und Krankheiten. 2013 wurde sie mit Epilepsie endlich in ein Krankenhaus verlegt, doch bevor die Behandlung abgeschlossen war, erneut verhaftet. Im Oktober 2015 wurde ihre Haft durch einen Schlaganfall unterbrochen, ehe man sie 2016 erneut zu zehn Jahren Haft verurteilte. Im selben Jahr erhielt sie den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar, der seit 1995 jährlich am 10. Dezember, dem von den Vereinten Nationen deklarierten Tag der Menschenrechte, vergeben wird.

Nun ist sie weiterhin eingekerkert im berüchtigten Evin-Hochsicherheitsgefängnis in Teheran, wo sie sich eine Zelle teilt mit Mariam Claren, einer deutschen Staatsbürgerin. Ein Jahr ist vergangen seit dem Todestag von Jina Masha Amini, mit deren Ermordung die Aufstände begannen. Gegenwärtig liegt wieder ein 16-jähriges Mädchen im Koma, das in der U-Bahn von den sogenannten Sittenwächtern verhaftet wurde.

Kein Pathos, nur Ethos – keine Bitternis, sondern Herzlichkeit.

Ende 2022 gelang es Narges Mohammadi, einen Bericht über Folter und Misshandlungen an den inhaftierten Frauen im Evin-Gefängnis an die BBC weiterzuleiten – er wurde am 24. Dezember gesendet. Narges Mohammadi erklärt: «Ich werde nie aufhören, für die Verwirklichung von Demokratie, Freiheit und Gleichheit zu kämpfen.»

Und was tun wir? Bis heute gibt es in der Schweiz keine nationale Menschenrechtsinstitution. Ein Pilotprojekt, das 2011 startete, erfüllt die Anforderungen nicht, welche als Pariser Prinzipien durch den UN-Menschenrechtsrat beschlossen wurden. 2021 hat zwar das Schweizer Parlament die Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution beschlossen, aber aktuell wird offiziell bedauert, dass keine ausreichende Grundfinanzierung gegeben ist. Was für eine Absurdität! In Deutschland gibt es neben einem nationalen Institut die IGFM – die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte. Sie schreibt auf ihrer Website: «Post an politische Gefangene ist oft ein wirksamer Schutz gegen Misshandlungen, denn die Post zeigt dem Gefängnispersonal und den Behörden, dass ein Gefangener im Ausland bekannt ist.» Es folgt die Adresse für Briefe:

To Ms. Narges Mohammadi
Shahr – e Rey Prison
Tehran – Varamin Highway, Gharchak
Islamic Republic of Iran

Was wir tun können neben schreiben und lesen – zum Beispiel das aktuelle Buch von Narges Mohammadi: ‹Frauen! Leben! Freiheit! Wie wir unsere Stimmen erheben. Frauen in iranischen Gefängnissen erzählen›, Rowohlt-Verlag, Hamburg 2023 –, wir können denken. Uns denkend klar darüber werden, was wir den Menschen schulden, die unter solchen Umständen für eine Menschheitszukunft – und damit auch für uns – eintreten. Es ist mehr als Mitgefühl, es ist Mitwille. Wir schulden ihnen Leben in der Liebe zum Handeln. Wer immer auf die Idee kommen mag, in der aktuellen Weltlage zu resignieren oder gar zu kapitulieren im persönlichen Kampf um Mitmenschlichkeit, der mag sich buchstäblich erinnern an die Inspiration der inhaftierten Friedensträgerinnen und Friedensträger und den Mut vieler Menschen im Iran, für die Freiheit der Frauen auf die Straße zu gehen und ihr Leben zu geben. Wenn auch vielleicht nicht in der Außenwelt, wir können innerlich mitgehen. Gewaltlos und mutvoll und herzlich engagiert sich selbst zu sagen: Es kommt nicht infrage, den Kampf um die Zukunft der Erde aufzugeben. Es ist eine Herzenstatsache.


Bild Narges Mohammadi, Foto: Trong Khiem Nguyen, flickr.com

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