Die Welt braucht mehr Rebellen

In vielen Organisationen kann der Wandel eigentlich sofort beginnen und schon innerhalb von einigen Jahren fast alles verändern. Das erzählte Pim de Morree aus Eindhoven (Niederlande) im Rahmen des Online-Kongresses ‹New Work Medizin› am 19. Februar 2021. Mit seiner Initiative Corporate Rebels hat er das in Dutzenden Organisationen weltweit erlebt – und diese Energie strahlt er auch selbst aus.


Drei Prinzipien sind wesentlich: Menschen finden, die den Wandel wollen. In kleinen erreichbaren Schritten vorgehen. Daraus eine Bewegung generieren, die viele mittragen können. Je nach Radikalität der Veränderung verlassen dabei 20–50 Prozent das Unternehmen, denn mehr Freiheit und mehr Verantwortung kann auch als anstrengend und bedrohlich empfunden werden. Auch CEOs sind oft erstmal verunsichert, weil ihre Rolle sich erheblich wandelt und ein Status in vielerlei Hinsicht abgeschafft wird. Wenn es gelingt, ist der Zugewinn an Agilität und Loyalität aber enorm.

Foto: Corporate Rebels

Acht Umwandlungen

Worum geht es? Auf ihrer Reise zu mehr als 100 Unternehmen auf der Suche nach Pionieren des sogenannten ‹New Work› haben die Rebels (so nennen sich Pim de Morree und seine Mitarbeitenden) acht Transformationen wahrgenommen, die fortschrittliche Unternehmen kennzeichnen: Sinn und Werte ersetzen Profit; Netzwerk und Team ersetzen Hierarchie; anstatt zu führen, will das Leadership unterstützen; man will nicht mehr Pläne machen, sondern experimentieren; Regeln und Kontrolle werden durch Freiheit und Vertrauen ersetzt; die zentrale Autorität wird durch verteilte Entscheidungskompetenz erlöst; die Geheimhaltung wird zu radikaler Transparenz; und Aufgabenbeschreibungen werden zu Talenten und Meisterschaften.

Als Beispiel: Es ist eindrücklich, wenn Pim berichtet, wie Jos de Block von Buurtzorg1 die Pflege in den Niederlanden revolutioniert hat. Die heute 15 000 Mitarbeitenden haben sich komplett in Kleinteams selbst organisiert, um ihre Vision einer menschengemäßen Pflege zu entwickeln und mehr Zeit für die Hilfebedürftigen zu haben. Dabei hatte Buurtzorg von Anfgang an (2006) das Ziel, «Patienten zu Hause zu helfen, gesund und autonom zu werden». Ein wichtiges Motto war, Bürokratie abzubauen und alles zu vereinfachen sowie möglichst nur das zu tun, was wirklich benötigt wird. Eine wesentliche Hilfe dabei war der Aufbau eines eigenen EDV-Programms, das nicht nur die tägliche Dokumentation übernimmt, sondern auch mithilft, die Kommunikation zwischen den Pflegenden und den Angehörigen möglichst transparent zu machen. Auch der fachliche Austausch der Mitarbeitenden erfolgt darüber, sodass Übergaben vereinfacht werden konnten. In diesem Prozess verwandelte sich die Führungsrolle mehr und mehr zur Coaching-Arbeit, und die wird aktuell bei Buurtzorg von 21 Coaches geleistet. «Bis heute ist die Leitfrage bei uns geblieben: Was können wir tun, um den Patienten die bestmögliche Gesundheitsversorgung zu ermöglichen? Und sie ist genau die richtige Frage, um Mitarbeiter zu befähigen», so Jos de Block. Der Erfolg ist nicht nur monetär erkennbar (ca. 40% günstiger als bisherige Pflegeanbieter), sondern zeigt sich insbesondere bei der Zufriedenheit der Mitarbeitenden.

Ein weiteres Beispiel ist der Weg von Darren Childs, CEO beim Englischen TV-Sender UKTV, der zunächst alle möglichen Wände in den Büros einreißen ließ, um die Zusammenarbeit der ‹Kreativen› und des Managements zu verbessern. In wöchentlichen Meetings mit allen 250 Mitarbeitenden wurden die Ziele, die Zahlen und die großen Entwicklungen transparent gemacht. Da sich zunächst kaum jemand traute, Fragen in der großen Runde zu stellen, wurde eine anonyme Fragebox aufgestellt, die dann bei den Treffen geleert und beantwortet wurde. Ein weiterer Schritt war, die Evaluation der Führungskräfte durch die Mitarbeitenden einzuführen, was half, durch Trainings oder auch durch Versetzungen von Leitungspersonen ein Klima der Augenhöhe zu erreichen. Dieser Prozess hat ca. fünf Jahre benötigt, in denen das Unternehmen verwandelt wurde, und zwar mit aktiver Zustimmung der Führungskräfte. Pim berichtet aber auch von Fällen, wo der Ausgangspunkt des Wandels von kleinen Abteilungen her gestartet wurde und sich ausbreitete auf über 80 Prozent der Belegschaft. Denn wenn etwas gut funktioniert, dann wird man dazu gefragt und es spricht sich herum.

Werdet Rebels

Laut Pim fühlen sich bis zu 85 Prozent der Arbeitnehmenden weltweit nicht verbunden mit ihrer Arbeit und ca. 40 Prozent finden nicht zukunftsorientiert, was sie produzieren oder als Dienstleistung anbieten. «Wenn wir so weitermachen, werden mehr und mehr Menschen durch und an ihrer Arbeit krank werden.» Das deckt sich ein Stück weit mit den Einleitungsstatements der Ärztinnen und Ärzten beim Kongress ‹New Work Medizin›. Rund 10 Prozent der Ärzteschaft in der Schweiz wirft jährlich das Handtuch und sogar jeder dritte Arzt fühlt sich ausgebrannt. Bei der Diagnose, warum sich diese Entwicklung im Gesundheitswesen zeigt, liegt die Ökonomisierung des Systems an erster Stelle. Dabei funkeln die Augen von Pim: «Werdet Rebels!»

Grafik: Corporate Rebels

Die Zeit ist reif für nachhaltige Werte statt Profit. Man könnte neben den acht genannten Transformationen sicher auch weitere Trends finden, die diesen Veränderungsprozessen entsprechen: zum Beispiel die Frage der passenden Eigentumsform von solchen Unternehmen im Sinne von Unverkäuflichkeit; oder die Frage der Gewinnverwendung im Sinne von gerechterer Umverteilung und True Cost Accounting. Auch ich rege an: Machen Sie mit und starten Sie schon morgen erste Veränderungsschritte in Ihrem Betrieb!


Titelbild: ‹Corporate Rebels› Gründer Pim de Morree und Joost Minnaar. Foto: Corporate Rebels, z.V.g

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Footnotes

  1. Wie Arbeit glücklich macht, in: ‹Das Goetheanum› 3–4/2020.

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