Benedikt XVI.

Zum Tod des deutschen Papstes

Noch schwankt das Bild Joseph A. Ratzingers, von Hass und Gunst der Parteien verzerrt. 200 000 waren gekommen, um sich von dem Verstorbenen zu verabschieden, der im Petersdom aufgebahrt lag.


Transparente forderten bei seiner Beisetzungsfeier ‹Santo subito›, sofortige Heiligsprechung, Nachrufe sprachen von einem Pannenpapst, dem die rhetorische Provokation der Petersburger Rede, die Rückkehr zur lateinischen Messe, die Wiedereingliederung eines holocaustleugnenden Geistlichen in die Kirche, die Intrigen bis zum Dokumentenraub durch den eigenen Kammerdiener als Schwächen und Realitätsferne vorgehalten wurden.

Die Grundfragen des Glaubens vermitteln

Die mediale Welt scheint sich einig, in Benedikt XVI. einen ‹Theologenpapst› zu sehen. Aber stimmt das? Muss ein Papst ein Medienstar sein, wie der Vorgänger von Benedikt? Sollte er besser mit Charisma und Auftritten Politik betreiben, Medienpräsenz markieren, die Massen bannen? Das alles war Benedikts Sache nicht. Was seinen weltweit zu Bestsellern gewordenen Büchern schon früh viele Lesende und seinen Mittwochsaudienzen, seinen Ansprachen und Exegesen eine wachsende, wache Hörerschaft verschaffte, war auch gar nicht Theologie. Es war der Mut, Grundfragen des Glaubens, Botschaften von Aposteln und Kirchenvätern zu vermitteln, öffentlich, verständlich als Zeugnis eines lebenslangen, tief verwurzelten Glaubens an die Einzigartigkeit der christlichen Botschaft.

Das war neu, ungewohnt von einem Menschen, dem als ‹Rottweiler Gottes› und ‹Panzerkardinal› der Ruf eines unbelehrbaren Hüters der Dogmatik und eines langjährigen Präfekten der Glaubenskongregation vorausgegangen war. Dieses Amt hatte er nicht angestrebt und als er daraus wegbefördert war, trat hinter diesem Bild der lächelnde, bedächtig redende, fast scheu vor die Menge tretende, wie von Druck erlöste 78-jährige Benedikt hervor. Auch das Papstamt hatte er nicht angestrebt. Er ist aus Gehorsam darauf eingetreten; aus Treue zu seiner Kirche, die seine Familie war, zu Johannes Paul II. auch, der sich weigerte, Joseph Ratzinger in den erbetenen Ruhestand zu entlassen. Trotz Erblindung auf einem Auge, trotz Schlaganfalls und Embolie. Es ist eine Schicksalsfügung: Die beiden gehörten über Jahrzehnte zusammen. Wie überhaupt Joseph Ratzinger lebenslang mit wenigen Menschen engen, schützenden Umgang hatte: mit seiner Schwester, die ihm den Haushalt führte, seinem Bruder, mit dem er die Priesterweihe genommen hatte, seinem Privatsekretär, der bis zum Tod an seiner Seite war, seinem Vorgänger. Dass Joseph Ratzinger seit dem Vatikanum II der weltweit bestvernetzte Kurienkardinal war, gehört mit dieser menschlichen Intimität zusammen. Es ist ein Lebensbild innerster Bescheidung, bei weltweiter Wirkung. Ungewöhnlich in diesem Amt war dies allemal, geeignet, die menschliche Seite mit dem würdebetonten, die Schönheit in Ritus und Erscheinung suchenden Kirchenfürsten zu vereinen. Seine legendären roten Schuhe waren denn auch kein Karneval, wie sein Nachfolger meinte, sondern die Verdeutlichung, dass der Pontifex auf dem Blute der Märtyrer fuße.

Schöpferisches Denken führt zu Gott

Nicht theologische Lehre, sondern innerer Drang, Inhalt und Sinn christlichen Glaubens aus dem Nebel von Ungewissheit und Veräußerlichung zu lösen und in den Grundwahrheiten nachvollziehbar zu machen, hatte 1968 bereits zu dem Buch geführt, das zwanzigfach übersetzt den Namen Ratzingers in die Welt trug: ‹Einführung in das Christentum›. Mit ‹Hans im Glück› vergleicht er dort den Menschen der Gegenwart. Dieser tauscht seinen Goldklumpen für Pferd, Kuh, Gans und Schleifstein, den er schließlich glücklich ins Wasser wirft, und freut sich seiner Freiheit. Es ist die falsche Freiheit. Das Bild traf. Es tut dies heute noch. Denn Freiheit im schöpferischen Akt des Handelns und Denkens aus Gott: das war Ratzingers Lebensthema. So liest man, mit Staunen, christlicher Glaube heiße, dass ein schöpferisches Bewusstsein, von seiner schöpferischen Freiheit her, das Gedachte in die Freiheit eines eigenen und selbständigen Seins entlassen habe.

Das Modell, von dem aus die Schöpfung verstanden werden muss, ist nicht der Handwerker, sondern […] das schöpferische Denken. Zugleich wird sichtbar, dass die Freiheitsidee das Kennzeichen des christlichen Gottesglaubens gegenüber jeder Art von Monismus ist. An den Anfang allen Seins stellt er nicht irgendein Bewusstsein, sondern eine schöpferische Freiheit, die wiederum Freiheiten schafft. Insofern könnte man in einem höchsten Maße christlichen Glauben als eine Philosophie der Freiheit bezeichnen.

Joseph Ratzinger, ‹Einführung in das Christentum›

Es sind solche Töne, die dem späteren Benedikt XVI. Respekt und Verehrung zugetragen haben. Sie haben nichts zu tun mit ‹Theologenpapst›, nichts mit billigem Versprechen uneinlösbarer Verheißungen. Diese Sprechweise nennen seine Doktoranden und Studentinnen ‹Lehren wie Mozart›. Dessen Musik bot er auch selber auf dem Klavier dar. Er war der Erste, der Kindsmissbrauch verfolgen ließ, die Rechtsprechung dazu verschärfte und während seiner Amtszeit 400 Priester entließ. Während seines Deutschlandbesuchs vertiefte sich der Graben zwischen dem anfänglichen Papst-Hype und der Distanz zum Propheten im eigenen Land, als er zur Entweltlichung des deutschen Katholizismus aufrief, dem er volle Kassen und leere Kirchen vorhielt, und als er vor dem Bundestag eine viel beachtete Rede über Jerusalem, Athen und Rom als Wurzeln des geistigen Europas vortrug.

Glauben und Vernunft versöhnen

In den acht Jahren seines Pontifikates hatte er, der 1927 geboren war und 2013 spektakulär seinen Rücktritt vollzog, 242 Botschaften an Regierungen und Kirchenvertreter geschrieben, vier Enzyklika verfasst, 352 Liturgien, 340 Audienzen absolviert, 1491 Ansprachen vorgetragen, 52 Reisen vollzogen, in Rom und Castel Gandolfo 18 Milli­onen Menschen empfangen. Während dieser Zeit entstand die ‹Jesus-Trilogie›, zwanzigfach übersetzt, millionenfach verkauft, in 72 Ländern verbreitet; nicht als päpstliche Lehrmeinung, sondern als Zeugnis eines «lebenslangen Unterwegsseins zum Herrn» des Menschen Joseph Ratzinger. In seiner letzten Audienz vor dem Rücktritt kommt Benedikt XVI. auf seinen Begriff der Freiheit zurück, indem er betont, dass der Mensch, der sich zu Gott wendet «im Denken und Fühlen, im Kern seiner Entscheidungen und bei der Auswahl seiner Taten völlig und radikal frei ist».

Bleiben werden wohl: das Bemühen um Versöhnung von Glauben und Vernunft; die Schritte auf das Judentum zu; die Trilogie über Jesus von Nazareth; der Rücktritt, der weniger am Rücktritt von Coelestin V. (1294) als an jenem von Kaiser Karl V. (1555) orientiert war. Bleiben wird auch, dass sich die Öffentlichkeit, gerade in Europa, mit Benedikt XVI. in manchen Belangen schwertat, weil er wie ein Fels in der Brandung jede Form der Relativierung und des Kompromisses mit der Moderne zurückwies; und sicher auch, weil seine leise und hochgebildete Geistigkeit Ablehnung provozierte. In seinem Testament schrieb er 2006: «Ich habe gesehen und sehe, wie aus dem Gewirr der Hypothesen wieder neu die Vernunft des Glaubens hervorgetreten ist und hervortritt. Jesus Christus ist wirklich der Weg, die Wahrheit und das Leben – und die Kirche ist in all ihren Mängeln wirklich Sein Leib.»


Bild Papst Benedikt XVI. in Berlin, 2011. Quelle: Wikimedia

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare