Abenteurer einer neuen Zeit

Vom 2. bis 3.Oktober fand in Dornach das World Goetheanum Forum des Verbunds von Unternehmern und Unternehmerinnen, die im Wirtschaftssektor die Welt verändern wollen, statt. Was zählt dort heute und in der Zukunft? Was ist das Unternehmerische?

Begleittexte von Wolfgang Held.


Es waren nur zwei Tage für das Forum geplant, denn Geschäftsfrauen und -männer haben nicht viel Zeit. Sie jetten von Termin zu Termin, jonglieren mit Zahlen, müssen über Bilanzen und Investitionen sprechen, klären das schnell in der Mittagspause, halten viele Fäden in der Hand und sind immer auf dem Sprung. So das Bild. Aber die mehr als 140 Teilnehmenden – viele schon seit Gründung der World Goetheanum Association als Partner dabei – waren in die Schreinerei gekommen, um sich auszutauschen, anzuregen und von ihren Aktivitäten zu berichten. Es herrschte ein ‹Du-Duktus›, eine Warmherzigkeit unter ihnen. So als kenne man sich mehr in seiner Suche und seinen Versuchen und nicht so sehr in seiner Argumentation über richtig oder falsch. Und nicht nur aus der Wirtschaft, sondern auch aus Medizin, Heilpädagogik, Entwicklungshilfe, Kultur und demokratisch-politischen Feldern kamen sie. Sie sprachen aus ihren Berufsfeldern und -erfahrungen, suchten nach Übertragbarkeiten und waren sich einig, dass die Zukunft ein anderes Verständnis für das Miteinander braucht. Dass Erde und Gesellschaft in Atemnot sind und «wir durch die Grenzen der Erde hindurchdonnern», führte zu Beginn des Forums Volkert Engelsman von Eosta deutlich vor Augen. Wie organisieren wir also die Gesellschaft so, dass sie einen ‹guten› Fußabdruck auf der Erde hinterlässt? Was ist heute profitabel? Welche Werte fließen in einen neuen ‹Gewinn-Begriff› ein? Um diese Fragen ging es. Nicht umsonst war der Titel der Tagung: ‹Was zählt? In Bewegung zwischen inneren und äußeren Werten›.

Georg Soldner, Co-Leiter der Medizinischen Sektion, gab ebenfalls einen Beitrag. Die Wirtschaft und Wissenschaft der letzten 400 Jahre habe die Beziehung von uns Menschen mit der Erde auf eine Sachebene reduziert. Dabei sei die Welt vom ‹Du› zum ‹Es › geworden, was eine substanzielle Beziehung zu den Naturreichen unmöglich mache. Die ökologische Krise und in ihr die Corona-Pandemie sind dabei Ausdruck dieses Beziehungsverlusts. Soldner verglich den Blutkreislauf mit dem Wirtschaftsleben. Im Blut finde fortwährend Auf- und Abbau statt, während im Wirtschaftsleben noch immer die Formel des ewigen Wachstums gepredigt werde. Was nun, so fragte der Arzt, würde aus einem Organismus, dessen Blut sich so verhalten würde, wie ein Wirtschaftssystem mit stetem Wachstum? Es hätte Leukämie! Soldner empfahl das Lebensprinzip des ‹Stirb und Werde› auf das Wirtschaftsleben und auch auf das eigene Gedankenleben anzuwenden. Dort bedeute es, alte Begriffe zugunsten neuer ‹sterben› lassen zu können. Er entwickelte einen ökologischen Gesundheitsbegriff. Diese bedeute unter dem nötigen Aspekt der Diversität: ‹to be able to adapt and selfmanage›.

Die wahren Kosten

Christian Hiß ist Landwirt aus Eichstätt, einem der Orte, wo die biodynamische Landwirtschaft durch seinen Vater ihre Geburt ins Konkrete vollzogen hat. Dieser sagte am Ende seines Lebens: «Wir haben im Ökologischen viel erreicht, aber im Ökonomischen nicht.» Den marktwirtschaftlichen Satz, dass ‹es sich rechnen muss›, hat der Sohn konsequent auf alle zu rechnenden Werte seines Demeterhofes angewendet und eine neue Bilanzierungsmethode entwickelt, die seit 2015 als Abrechnungssoftware erworben werden kann. Sein Anliegen war es, Werte, die uns wichtig sind, in die ‹Bilanzsprache› zu bringen. Wenn die Bäuerin vor der Geburt ihres ersten Kindes zu 100 Prozent mitgearbeitet hat und nun nur noch 50 Prozent schafft, kann der Wert des Kindergroßziehens nun ebenfalls in einem Geldbetrag sichtbar gemacht werden. Denn es ist ein Wertegewinn. Auch die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, das Aufsetzen von Kompost oder das Weitergeben von Erfahrung in Form von Bildung sind Werte, die in die wahre Kostenrechnung gehören. Für Christian Hiß spielt die Regionalität eine entscheidende Rolle. Wie viel Futter für meine Tiere erwirtschafte ich selbst, kaufe ich aus der Region zu oder sogar noch von viel weiter weg? Dafür hat er die gemeinnützige Aktiengesellschaft Regionalwert AG gegründet, bei der die Aktionäre entscheiden müssen, worin das Geld investiert wird. Dadurch entstehen viele bewusstseinsschärfende Gespräche. Innerhalb seiner Bilanzierung wird in Unterkonten abgebildet, ob und wie die Nachhaltigkeitsziele umgesetzt worden sind. In einer ersten Vergleichsbilanz mit dieser Rechnungsmethode zeigte sich, dass ein Demeterhof in einem Jahr einen größeren Mehrwert schafft als ein konventioneller Hof. Aber als Durchschnitt ergab sich, dass etwa 12,5 Prozent des Umsatzes pro Hof, egal ob Demeter oder konventionell, bislang auf der falschen Seite stehen und gerechnet werden, nämlich auf der Aufwandseite statt auf der Seite der Investitionen. Dass eine Bilanzierung von nicht sichtbaren Werten auch Schwierigkeiten mit sich bringt, macht eine Unterscheidung zwischen betrieblichem und menschlichem Handeln erforderlich. Denn nicht alles menschliche Handeln muss oder darf an- und abrechenbar sein.

In die wahre Kostenrechnung müssen also Werte fließen, die wir einbringen und damit einen Mehrwert schaffen, aber auch Kosten, die heutzutage nicht im Preis abgebildet werden, wie die Reinigung von landwirtschaftlichen Fluren oder Trinkwasser von Pestiziden, die Herstellung und Entsorgung von Plastikverpackungen oder die Vermeidung von CO2 durch regionale Warenangebote. Wenn der Kunde all diese Kosten einsehen kann, wird ihm erst die freie Wahl eines Produktes ganz zugänglich sein. Und interessanterweise sind im wahren Preis, der zum Beispiel auch die Auswirkung eines Lebensmittels auf die Gesundheit langfristig mitrechnet, die biologisch angebauten Lebensmittel kostengünstiger.

Volkert Engelsmans Augen

Sie blitzen, wenn er spricht. Das ist selten: Humor und Entschlusskraft kommen zusammen. Da erscheint das Bild eines braven Hundes und einer lauernden Katze auf der Leinwand. «Es gibt den alten und den neuen Kunden», kommentiert Volkert Engelsman das Bild. Für eine philosophische Natur mag es zu schnell gehen, aber Volkerts Analyse und Ratschlag brennen sich ein: Ja, du darfst keinen Kunden, keine Kundin für blöd verkaufen. Sie schauen hin wie die Katze. Wenn du keine verantwortungsvollen Beziehungen aufgebaut hast, werden sie sich abwenden.

Bild: Volkert Engelsman, Foto: Xue Li

Gemeinwohl

Eine der Vortragenden und Workshopleiterin auf dem Forum war Daniela von Pfuhlstein, Koordinatorin für die internationale Kommunikation der Gemeinwohlökonomie (GWÖ), welche das Wohl der Gemeinschaft, ein gutes Leben für alle und die Gesundheit des Planeten als Primärziele und Absichten der Wirtschaft auffasst.

Populär und ‹institutionell› wurde die GWÖ vor zehn Jahren von Unternehmen rund um Christian Felber in die Welt gebracht. Die Bewegung spricht von einer ‹gesamtunternehmerischen Verantwortung›, die zunehmend erreicht wird, wenn sozioökologische Faktoren eine genauso große Rolle spielen wie schwarze Zahlen. Die GWÖ-Bilanzierung ist ein Werkzeug, mit dem Unternehmen sich in Hinblick auf diese Kriterien überprüfen können. Darin sind alle Mitarbeitenden einbezogen, zum Beispiel in der Frage der Spreizung der Gehälter. Das heißt, diese Bilanzierung erzeugt vor allem ein Bewusstseinsmoment, das anzeigt, an welcher Ecke im Unternehmen etwas aktiv werden will. Am Beispiel eines deutschen Tofu-Herstellers wurde das sehr deutlich. Laut Firmenphilosophie hatte sich die Geschäftsführung geeinigt, nur in Deutschland angebautes Soja zur Herstellung zu verwenden. In der Corona-Anfangszeit stiegen die Absatzzahlen aber derart, dass man tatsächlich überlegte und im Unternehmen diskutierte, doch zuzukaufen im Sinne der Profitmaximierung. Durch die GWÖ-Bilanzierung war jedoch der Aspekt des Wohls der Umwelt und des Schutzes der eigenen Wirtschaft ins Bewusstsein getreten. Man entschied sich, nicht zuzukaufen.

Daniela von Pfuhlstein stellt sich den Fragen zur Gemeinwohlökonomie. Foto: Paul Stender.

Im Sinne eines Prozesses wirft die GWÖ auch die grundsätzliche Frage nach Wirtschafts- und Eigentumsformen auf, die dem Gemeinwohl dienen. Die Zertifizierung läuft über eine Matrix mit zugehörigen Bewertungsindikatoren, für die es Plus- und Minuspunkte gibt. Beim finalen Audit kommt dann eine individuelle Gesamtpunktezahl zustande. Ziel der Zertifizierung und Rückanbindung ins Politische wäre es, für GWÖ-zertifizierte Betriebe eine geringere Steuerlast zu erwirken.

Über 600 Unternehmen weltweit haben das bereits getan, so zum Beispiel auch das anthroposophische Unternehmen Voelkel Säfte. Daniela von Pfuhlstein wies auch darauf hin, dass sich zunehmend Universitäten, auch Wirtschaftsfakultäten, mit der GWÖ beschäftigen. In Valencia wurde bereits ein Lehrstuhl für GWÖ eingerichtet und in Österreich gibt es einen Masterstudiengang Angewandte Gemeinwohlökonomie.

Mit seinem Impulsreferat gab Johannes Kronenberg von der Jugendsektion eine weitere aktuelle Antwort auf die Frage, was zählt. Er beschrieb zwei Initiativen aus Amerika, begann aber mit dem großen Bild, dass die Menschen ab März 2020 mit Corona erstmalig nach 500 Jahren Exploration wieder nach Hause gekommen sind. Zur gleichen Zeit hat der ‹Multiunternehmer› Elon Musk weiter an seiner ‹Space X›-Mission getüftelt, «damit das Leben planetarisch wird». Er will kommerzielle Raumschiffe entwickeln, um schlussendlich von der Erde auf den Mars zu expandieren. Das erste Entdeckerschiff heißt ‹Dragon 2› und die Beteiligung der NASA kostet die US-amerikanischen Steuerzahlenden jedes Jahr 22 Milliarden Dollar. Ein Jahr zuvor hatte die amerikanische Armee die Abteilung US Space Force gegründet, um schon heute ihre Militärmacht im Sonnensystem aufzubauen. Diese Suchbewegungen bedeuten auch, sich von der Erde abzuwenden und sie nicht mehr als zukunftsfähig zu erachten, als wäre sie eine Maschine, die ersetzbar ist. Als könne man einen großen Resetknopf drücken, wie es Wirtschaftstreibende auf dem World Economic Forum in Davos ausdrücken. Die Frage nach unserem Verständnis und Bewusstsein von der Erde steht also auch mit auf der Liste der Was-zählt?-Fragen.

Alle Werkzeuge sind da

Man sieht es: Christian Hiß (Foto) steht lieber auf dem Acker als auf dem politischen Parkett, aber gerade das gibt ihm seine Überzeugungskraft für die Idee des ‹Regionalwerts›. Sie brachte ihm auf dem World Economic Forum in Davos die Auszeichnung ‹Social Entrepreneur of the Year› ein. Dann nennt er drei Zahlen, die den ganzen Irrsinn heutiger Landwirtschaft zeigen: 80 Milliarden Euro sind die gesellschaftlichen Schäden, geschätzt durch führende Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, 40 Milliarden setzt sie dabei durch die Produktion um und nur 5 Milliarden sind notwendig, um die ganze deutsche naturschädliche Landwirtschaft auf biologische Wirtschaftsweise umzustellen. Es sind drei Zahlen, die zugleich ermutigen und entmutigen können. Christian Hiß ermutigen sie: «Alle Werkzeuge sind da!», ruft er in die Runde und ermutigt so die Teilnehmenden.

Foto: Xue Li

Das unternehmerische Wesen

Ich frage Andrea Valdinoci, den Geschäftsführer der World Goetheanum Association, ob er sich als Unternehmer sieht. «Den Begriff des Unternehmers sollte man nicht eng fassen.» Und er eröffnet mir an einem Beispiel, was das Unternehmerische selbst ist: nicht an der Grenze stehen zu bleiben, die uns Gesetze oder Weltanschauungen, Gegebenheiten und Umstände vorerst setzen, sondern nach Wegen zu suchen, wie sich trotz der vermeintlichen Grenze ein Anliegen oder eine Idee in die Welt hinein finden kann. Das Unternehmerische hat das Ziel zwar stetig als Motiv im Untergrund präsent, aber dabei besteht auch der Moment, die Entdeckungen auf dem Weg zu nutzen und möglicherweise dabei auch das Ziel anzupassen.

Das Unternehmerische hat mit Willen zu tun und lässt sich nicht abschrecken, einen Anfang zu wagen, arbeitet mit dem wenigen, das heute möglich ist und mit dem man doch viel erreichen kann. Insofern ist der oder die Unternehmende fast einem Abenteurer zu vergleichen, der sich in die Fremde aufmacht. Eine Mischung aus Feldforscher, dem das Leben Materialsammlung ist, Entwicklungshelferin, die einer Idee zum Rollen verhelfen will, und Handwerker, der seine Fähigkeiten kennt und zur Verfügung stellt. Der oder die Unternehmende ist ein Tatmensch, mit Freude am Tun. Er oder sie führt bestmöglich ein «Leben in der Liebe zum Handeln und im Verständnis des fremden Wollens» (Rudolf Steiner). So gesehen sind wir alle wahrscheinlich mehrmals am Tag unternehmerisch tätig, ohne den Begriff des Unternehmers darauf anzuwenden. Und so gesehen arbeitet das Unternehmerische auch mit einem Potenzial oder einer unbekannten Komponente, weil man noch nicht ganz genau wissen kann, wie es werden wird. Der oder die Unternehmende hält also eine Ungewissheit aus, die besteht, wenn man sich auf den Weg zu einer Realisierung macht.

Workshops

Die elf Workshops an den Nachmittagen ließen tiefer in die Materie einsteigen und ermöglichten interdisziplinären Austausch an je einem Praxisbeispiel. Die Personalmanagementabteilung des Klinikums Havelhöhe stellte ihre Erfahrungen zur Verfügung, um zur Frage der Relevanz von Gesundheit für den Unternehmenserfolg beizutragen. Denn gerade in medizinischen Unternehmen sind die Mitarbeitenden am meisten von Burnouts betroffen. Die Havelhöhe hat ein Resilienz-Förderprogramm entwickelt, das «die Reise zu sich selbst» als Beitrag zum Unternehmenserfolg auffasst.

Die Offenheit für neue Zukunftsbilder hängt ab von der Fähigkeit zur Imagination, Inspiration und Intuition. Man könnte auch fragen: Wie werde ich ein inspirierter Mensch?

Ein Workshop beschäftigte sich damit, aus pädagogischer Perspektive unternehmerische Fähigkeiten zu entwickeln. Dass Schulen dabei eine entscheidende Rolle spielen, wird noch mal verständlicher, wenn man sie zu Lern- und Lebensorten werden lässt und das Leben ebenfalls als Lernort auffasst.

Ein neues Wahrnehmen miteinander und aneinander kann ein Weg sein, auch neue Instrumente wie die Kunst, den Austausch, die menschliche Begegnung einzubeziehen. Zu stärken wäre die Freude an der Begegnung und am Lernen, am Entdecken und schlussendlich am mitgestaltenden Handeln. Die Umbrüche in der Finanz- und Rechtswelt, das Verständnis für die Vorteile von Assoziationen führen zu Zukunftsbildern, in denen der Mensch fühlen kann, was die Welt von ihm will und braucht, aber auch, was er geben möchte und kann.

Kapselkaffee ist kein Espresso

Im Internet zählen Begriffe, denn darüber findet man alles. Also kommt es darauf an, so der Kaffeeunternehmer Benjamin Hohlmann (Mitte), Begriffe zu prägen. Wer ‹bester Kaffee› bei einer Suchmaschine eingibt, landet schnell bei seiner Initiative Kaffeemacher. In kleinen unterhaltsamen Lehrfilmen philosophieren er und Michel Aeschbacher über Genuss und Ökologie in einer Mischung aus sinnlicher Aufmerksamkeit und Humor. Das Internet sinnlich! «Wenn ich nicht von mir erzähle, sondern von einer Rösterei in Hamburg und einem Demeter-Projekt in Costa Rica, dann erkennen Suchmaschinen die Vernetzung und honorieren sie.» 1,5 Tage pro Woche produziere er Lehr- und Werbefilme. Es gibt keine Werbeagentur, sondern authentisch die Kaffeeliebhaber, die vor und hinter der Kamera stehen.

Foto: Xue Li

Ich nehme mich mit

Am Tisch beim Abendessen sitzen vier junge Männer. Sie erzählen von Geldbeträgen, bei denen mir schwindlig wird. Aber Benjamin Hohlmann, Geschäftsführer von Kaffeemacher, der in Nicaragua zusammen mit Einheimischen eine biodynamische Kaffeeplantage bewirtschaftet und die Bohnen nach Deutschland exportiert, um sie hier weiterzuverarbeiten und in den Handel zu bringen, meint, dass Geld für ihn ein Werkzeug ist, wie der Hammer für den Schmied. Davor brauche man keine Angst zu haben. Und doch sind sich die vier Gesprächspartner am Tisch einig, dass es Mut braucht, ein Unternehmen zu betreiben. Und dann noch Intuition und ein kleines bisschen Naivität. Sie alle haben Freude daran, dass man etwas in der Welt bewegen kann. Aber die Wege, wie und aus welchen Motiven sie zu ihrem je speziellen Unternehmen gekommen sind, unterscheiden sich. Florian Kollewijn, der für das Unternehmen Chancen eG arbeitet, das Studierenden eine solidarische Finanzierung ihrer Bildung ermöglicht, hat weiter entwickelt, was er selbst im Studium erfahren hat. Andrej Schindler, der mit seinem Kollegen ein Personalvermittlungsunternehmen entwickelt, hat in seiner Tätigkeit im Bankwesen selbst erfahren, wie schwer es ist, Personal zu finden, das den Geist des Unternehmens versteht und unterstützen will. Benjamin Hohlmann wiederum sehnte sich danach, sich in einem Feld richtig gut auszukennen und daraus etwas Neues zu entwickeln. Sein Job in einem Café hat ihn zum Barista werden lassen, der Kaffeesorten und Geschmäcker so gut unterscheiden kann wie Weinhändler ihre Weine. Der nächste Schritt in die eigene Produktion und Gestaltung bot endlich das Feld, in dem er sein Wissen auch wirtschaftlich-brüderlich einsetzen und in Art und Umgang mit den Kaffeebauern vor Ort eine solidarische Verantwortung übernehmen konnte. Der Vierte am Tisch war David Matthée, der für die Trias-Stiftung arbeitet, deren Sinngebung in der Welt darin besteht, Boden und Eigentum zu entprivatisieren und damit dem Spekulationsmarkt zu entziehen. Er wies noch auf einen anderen Schritt hin, der den Einzelnen zu dem Tätigkeitsfeld führt, in dem er mit sich selbst in Übereinstimmung unternehmerisch aktiv sein kann: das Nein-Sagen. Bevor sich findet, was man tun will, gibt es einige Neins. Es geht also auch darum, sich bewusst zu werden, was man nicht oder nicht mehr will.

Sei du selbst die Veränderung, die du in dieser Welt sehen willst.

Mahatma Ghandi

Vielfältige Geschwisterlichkeit

Inke Kruse als neue Geschäftsführerin von Stockmar Farben in Kaltenkirchen hat ein Unternehmen übernommen, welches bereits vor fast 50 Jahren den Schritt gegangen ist, sich der nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten wirtschaftenden Holding Neuguss anzuschließen und als ein Unternehmen in Verantwortungseigentum zu verstehen. Das heißt, die aus dem unternehmerischen Handeln entstehenden Gewinne gesellschaftlich verantwortlich einzusetzen, anstatt sie in privatem Vermögen aufgehen zu lassen. Damit haben die Erben der Firma ihr Privatrecht am Unternehmen abgegeben. Stockmar Farben setzt auf eine Beteiligung der Menschen im Betrieb und der zuarbeitenden Höfe und Lebensgemeinschaften am Gewinn und lässt diesen in die Treuhandschaft der Neuguss fließen, um ihn dem Gemeinwohl zugute kommen zu lassen. Diese neue Wirtschaftsweise macht es Inke Kruse leichter, die darin liegenden Werte auch auf Mitarbeiterebene, im Verhältnis zu Lieferantinnen und bezogen auf die eigene Produktivität transparent zu vermitteln. Nur weil es ideell klar ist, hört der Vermittlungsprozess jedoch trotzdem nie auf, denn es gibt immer einen konkreten Alltag. Einige der Fragen, mit denen sich die Geschäftsführerin befasst, sind, wie der gewachsene Betriebsorganismus respektiert und doch mit der zeitgenössischen Entwicklung, zum Beispiel der Digitalisierung, zusammengebracht werden kann. Und auch: Wie kann das Unternehmen menschengemäß wirksam werden? Sich nur auf sein ‹Gutunternehmertum› zu verlassen, reicht nicht. Alle Lebensfelder, die das Unternehmen berührt, wollen in dieser Hinsicht bedacht sein. Im Kleinen bedeutet es vor allem, gut für die Mitarbeitenden zu sorgen, die es weitertragen. Wo findet sich da Wertschätzung? Wie schaffe ich Gelegenheiten, in denen sich Mitarbeitende als selbstwirksam erleben? So organisiert Inke Kruse Ausflüge zu anderen Unternehmen, die ähnliche Ansätze haben. Oder sie veranlasst, dass es für die Mitarbeitenden eine Abokiste der örtlichen solidarischen Landwirtschaft gibt. Auch hat Inke Kruse eine Gemeinwohlökonomie-Bilanz des Unternehmens erstellen lassen. Damit wird für sie vor allem deutlich, dass die Geschäftsführung das Herzstück eines Unternehmens ist, das mit und aus Herzkraft arbeiten muss. Aus ihrer beruflichen Erfahrung kann sie sagen: «Es macht einen Unterschied in meiner Art, den Betrieb zu führen, wenn ich weiß, dass ich nicht für Privatgewinne, sondern für das Gemeinwohl wirtschafte.»

Friederike Mainz, Rechtsanwältin berichtet aus dem Workshop zum Thema: Neue Wege im alten Recht. Foto: Paul Stender.

Innere Entwicklung

Bart Vanmechelen gehört zum Leitungsteam des internationalen Anthroposophic Council for Inclusive Social Development, ebenfalls einem Partner der Association. Dort haben sich über 650 heilpädagogische und sozialtherapeutische Einrichtungen weltweit vernetzt und tauschen sich darüber aus, was zu tun ist, dass Biografien gelingen können, Arbeit sinnvoll wird und Menschen mit Unterstützungsbedarf ihren Platz finden können. In solchen Gemeinschaften ist zum Beispiel die Frage der Nachhaltigkeit ein Thema, und vielen sind biodynamische Höfe angeschlossen. An diesen Orten will aus (heil-)pädagogischer und landwirtschaftlicher Sicht eine Spiritualität fruchtbar werden, zum Beispiel wenn es um die Umwandlung der eigenen Gewohnheiten als Mensch geht. Wie wichtig ist die innere Entwicklung für ein unternehmerisches Tätigsein in der Welt? «Die Offenheit für neue Zukunftsbilder hängt ab von der Fähigkeit zu Imagination, Inspiration und Intuition. Man könnte auch fragen: Wie werde ich ein inspirierter Mensch?» Für Bart Vanmechelen bedeutet Spiritualität, aktionsfähig zu sein. Und gerade der anthroposophische Schulungsweg ist in der Hinsicht spezifisch, weil er inkarnieren und eine Geistesgegenwart in der Welt erzeugen will und dabei sehr praxisorientiert vorgeht. Er bringt die Esoterik und die Exoterik zusammen und hat immer eine Weltorientierung. Die Umwandlung der inneren Gewohnheiten, meiner Ängste und Zweifel hin zu einem Interesse, zu einem Forschungshabitus wirkt in die Zukunft und macht empfänglich. Aus Angst kann man Mut lernen. Auch ist das Meditieren eine gute Möglichkeit, um mit ambivalenten Kräften umgehen zu können. Und welche Qualität wäre am wichtigsten für die Unternehmenden, um die Zukunft gestalten zu können? «Die Ideale innerlich lebendig zu pflegen; dann sehe ich auch die Möglichkeiten der Realisierung des Ideals.» Innere Entwicklung ist also ebenfalls nötig, um neue Perspektiven und Herangehensweisen zu entwickeln.

Jeder Mensch ein Unternehmer,
eine Unternehmerin

Jeder Mensch ist ein Künstler, rief Joseph Beuys aus. Die Unternehmerinnen und Unternehmer auf dem Forum zeigten: Jeder Mensch ist ein Unternehmer. Wirtschaftskreisläufe bestimmen das Leben, trennen arm und reich, gefangen und frei, hungrig und satt. Die Globalisierung des Handels ist zu einer Globalisierung des Seelenlebens geworden, mehr und mehr Menschen nehmen die Folgen ihres eigenen Verbrauchs an Gütern in den Blick. ‹Footprint› ist die Vokabel dazu und sie fiel oft am Forum, immer verbunden mit der Überzeugung, dass es nicht darum geht, den Fußabdruck aufzuheben, sondern ihm durch Verantwortung und Nachhaltigkeit seine Würde zu geben. So wird heute jeder von uns zu einem Unternehmer, einer Unternehmerin.

Bild Initiativen stellen sich vor: Benjamin Brockhaus (Start der Studie Pioniere der Nachhaltigkeit), Simon Hoffmann und Tracy (Projekt Beherzte Unternehmen), Börries Hornemann (Drehbuch zu einer Serie über R. Steiner). Foto: Paul Stender.

Metamorphosen

Die ganze Unternehmung der World Goetheanum Association, mit all den Teilnehmenden, die nicht erwähnt wurden, will die Welt verändern und metamorphosiert dabei auch die Anthroposophie in der Welt. War es vielleicht in den letzten 100 Jahren so, dass sich weltweit Zweige gebildet hatten, mit denen aus dem Studium der Anthroposophie heraus ein Netzwerk geschaffen wurde, und wurden all die unternehmerischen Versuche Steiners zwar angelegt, aber ließen sich noch nicht ganz umsetzen, weil es ein Studium erforderte und ihre notwendenden Impulse noch nicht als so dringlich erschienen, so tritt dieses neue Netzwerk wie in einem nächsten Schritt heute anders in die Welt. Die Welt so zu ergreifen, wie sie nun mal ist, und damit das neue Mögliche im Ansinnen der Anthroposophie zu tun, wird durch das unternehmerische Arbeiten mit der Anthroposophie realisiert, ohne zu sehr an Erklärungen hängen zu bleiben. Vielmehr sprechen die fühlbar und sichtbar gemachten konkreten Erfahrungen und Erfolge der bereits entstandenen Projekte und Unternehmungen – und das sind viele – durch ihre Wirksamkeit eine Sprache, die nachhaltig verständlich ist. Ich aus meiner bisherigen Perspektive als Nichtunternehmerin muss zugeben, dass ich das Forum begeistert und sehr ermutigt verlasse. Meine Begeisterung speist sich daraus, dass ich fühle, ich kann etwas in Bewegung bringen und mit erwartungsvollem Staunen aushalten, wie das Kind konkret aussehen wird zwischen mir und der Welt. Aber ich habe es in der eigenen Hand, wie Annette Massmann von der Zukunftsstiftung Entwicklung es auch als Ziel ihrer Arbeit beschrieb: «Wir sehen den ‹fähigen Menschen›, der dienend führen kann und sich in den Dienst einer Gemeinschaft stellt. Das ist ein Initiationsprozess.»

Das Bild

An der Wand der Schreinerei, im Rücken der Zuhörenden, hingen dicht an dicht 259 farbige Postkarten, die aus fünf Gemälden der Künstlerin Mariana Hendges geschnitten waren und ein Bild dessen gaben, was als Grundmotiv des Forums gelten kann: Wir sind Teil eines Ganzen, das eine ist nicht, wenn das Ganze nicht zusammen ist. Andrea Valdinoci lud die Gäste ein, sich je zwei der Postkarten zu nehmen. Die eine konnte man für sich selbst beschreiben, mit dem, was man sich wünscht oder welches Anliegen man umsetzen möchte. Die andere war für einen anderen Menschen bestimmt, als ein Geschenk, ebenfalls mit einer persönlichen Notiz. Am Ende des Forums hingen zwar noch einige der Karten, denn coronabedingt konnten längst nicht alle Freunde, Interessierten und Partnerinnen der World Goetheanum Association anreisen – zwei zeitgleich international stattfindende Workshops in Asien und Südamerika wurden zumindest per Streaming kurz zugeschaltet. Doch waren die Farbigkeiten merklich geschwunden und wanderten in Händen, Taschen und Gedanken vom Goetheanumhügel in die Welt.

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