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Wie man miteinander wächst

Ein Gespräch mit Jens Heisterkamp, Chefredakteur von ‹Info3›, über seinen Dialog mit dem Islamwissenschaftler Abdullah Takim. Die Fragen stellte Wolfgang Held.


Es sei ein wichtiges Dokument, das uns auf dem Weg hin zu einer zukunftsweisenden Synthese von Orient und Okzident begleiten kann, schreibt Helmy Abouleish im Vorwort über den Dialog von Abdullah Takim, Islamwissenschaftler und Philosoph an der Uni Innsbruck, und Jens Heisterkamp, Chefredakteur von ‹Info3›. ‹Gott gehört der Osten und der Westen›, mit diesem von Goethe entlehnten Wort überschreiben beide ihren Dialog über Religion und Kultur. Dass diese Begegnung anspruchsvoll ist und Freundlichkeit alleine nicht ausreicht, unterstreichen beide, indem sie sogleich mit einer Kernfrage das Gespräch eröffnen: Takim betont, dass es neben der Schöpfung aus dem Nichts eine fortwährende Schöpfung (creatio continua) gebe. «Ist damit die Idee gemeint?», fragt Heisterkamp, und Takim antwortet mit Meister Eckhart: «Alle Kreaturen sind ein Sprechen Gottes.» Oft läuft das Gespräch im Konjunktiv, beginnt ein Votum mit ‹vielleicht›, sind es Fragen, die sich beide gegenseitig stellen. Das gibt dem Dialog die Offenheit. Doch wie kam es zu diesem Brückenschlag?

Jens Heisterkamp 2015 hatte mich Ibrahim Abouleish zu einer Intensivarbeit zum Koran nach Sekem eingeladen. Als ich mich darauf vorbereiten wollte, empfahl mir eine Bekannte, mich an Abdullah Takim zu wenden, der damals in Frankfurt an der Uni lehrte. Im Gespräch stellten wir dann manche Gemeinsamkeiten fest. So sind wir beide im Ruhrgebiet aufgewachsen und haben auch beide in Bochum studiert. In Frankfurt hatte Takim ein Projekt zur Ausbildung von Imamen an staatlichen Universitäten geleitet – um auf diesem Weg Befürchtungen gegenüber nur ausländischen Imamen zu entkräften.

Wie hat sich das Gespräch entwickelt?

Unsere erste Begegnung war noch recht distanziert, auch weil ich mit den typischen Fragen nach Kopftuch und Gewalt ins Gespräch ging. Dann wurde mir klar, dass dies die gleiche vorurteilsbeladene Art ist, wie man uns Anthroposophen oft mit Begriffen wie ‹Erzengel› und ‹Akashachronik› konfrontiert, um uns auf Seltsamkeiten festzulegen. Wie muss sich, fragte ich mich, ein Muslim angesichts solcher stereotyper Fragen denn fühlen? Unsere zweite Begegnung war kurz nach dem Attentat auf Charlie Hebdo in Paris. Das wurde zu unserer ‹konventionellsten› Begegnung. Der Journalist fragt den Vertreter des Islam ab. Ich entdeckte aber schon, dass da eine ganz andere Ebene besteht, auf die sich Abdullah Takim immer wieder bezieht, auf der er den Koran als geistiges Inspirationsphänomen versteht. In dieser Weise auf eine Schrift zu schauen, ist uns Anthroposophen nicht fremd. Mir dämmerte, welch gewaltige Geistesgeschichte und Tradition die muslimische Welt besitzt und dass es da eine wichtige mystische Strömung gibt, den Sufismus, dem Takim sehr verbunden ist. Im folgenden Gespräch ging es dann oft um diese mystische Seite des Islam und dessen reiche Bezüge zur Mystik von Meister Eckhart beispielsweise.

Dann entstand die Idee, das Gespräch aufzuschreiben und zu drucken?

Takim meinte, dass in unseren Gesprächen so viel geschehe, so viel zur Sprache komme, dass es sich lohnen würde, daraus ein Buch zu machen. Die Anregung kam von ihm. Wir haben uns dann immer wieder getroffen und besucht, sind zusammen spazieren gegangen, wobei ich merkte, dass ihm vieles, was ich von der Anthroposophie her kenne, gar nicht fremd ist.

Um welche Themen ging es dabei?

Ich habe mich in dem Gespräch nicht als ein Vertreter des Christentums verstanden. Deshalb blieben zentrale religiöse Themen wie die Stellung von Jesus im Islam draußen. Uns haben Gebiete interessiert wie die Stellung des Menschen in der Schöpfung. Welche Rolle ist uns zugewiesen, was können wir ergreifen? So kamen wir auf überraschende Parallelen unserer Sichtweisen. Da ergab manchmal ein Wort das andere.

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– Takim: «Im Diskurs zwischen At Tauhidi (gest. 1023) und Miskawaih (gest. 1030) heißt es: ‹Der Mensch ist dem Menschen ein Rätsel.›» 
– Heisterkamp: «Was für ein schönes Weisheitswort. Dazu Rudolf Steiner: ‹Die ganze Welt, außer dem Menschen, ist ein Rätsel, das eigentliche Welträtsel, und der Mensch selbst ist die Lösung.›» 
– Takim: «Das Gemeinsame beider Aussagen liegt in der Schlüsselstellung des Menschen.»

Wurde es beim Freiheitsbegriff kontrovers?

Erstaunlicherweise nicht. Das hängt mit dem Personenbegriff zusammen. Wir haben gemeinsam bemerkt, dass dabei Aristoteles eine wichtige Bezugsgröße ist, die sich sowohl im christlichen Strom, dann in den Menschenrechten wiederfindet, aber auch in der islamischen Philosophie präsent ist. Der Mensch ist demnach frei in seiner Entscheidung zu Gott, es gibt keinen Zwang in Glaubensfragen, so eine Aussage im Koran. Die uns vertrauten Wendungen wie ‹Abtrünnige des Glaubens› seien, so erklärt es Takim, vielmehr aus der damaligen Politik zu erklären. Wer zu Mohammeds Zeiten abtrünnig wurde, löste sich auch aus der damaligen Solidargemeinschaft. Die soziale und die religiöse Seite sind eng verbunden. Gleichwohl scheint der Koran, mehr als wir das bisher sehen, den Menschen als freies, zur Entscheidung fähiges Wesen zu betrachten und den Glauben darauf aufzubauen. Im Buch haben wir in diesem Sinne das Verbindende in den Fokus gestellt.

Wie das Christentum den Islam auf seinem Weg durch die Aufklärung unterstützen kann – wurde diese Frage besprochen?

Mein Vorschlag für den Buchtitel lautete ‹Islamisches und westliches Denken›. Damit, so Abdullah, verstetigen wir aber den Gegensatz, der vielleicht gar keiner ist. Er folgt Goethe in der Aussage, dass Orient und Okzident gar nicht mehr zu trennen sind, und hat die Gemeinsamkeiten im Blick. Dazu gehört, dass es den Islam schon immer in Europa gab, in Spanien, auf dem Balkan, in weitgehend friedlicher Koexistenz. Ein Vergleich: Während die Osmanen während ihrer Besatzung auf dem Balkan Religionsfreiheit duldeten, haben die Habsburger als Besatzer die Protestanten verfolgt. Wir haben die Vorstellung der christlichen ‹Wiedereroberung› Spaniens von den Mauren. Wieso Wiedereroberung? Cor­doba und Sevilla waren Hochkulturen, das hätte sich weiterentwickeln können. Vergessen wir nicht, wo sich Europa überall ausgedehnt hat.

Helmut Schmidt sagte einmal, keinem Muslim entgehe, dass Europa mit einem Hochmut auf den Islam schaue.

Das ist sicher so. Mich hat bei Abdullah Takim beeindruckt, dass er keinerlei Vorwürfe erhebt. Ich selbst habe aber empfinden können, wie es sich für Muslime in Europa anfühlen muss, immer für Gewalt verantwortlich gemacht zu werden. Beschämt hat mich, wie wenig ich und wohl die meisten in Europa von der Fülle der islamischen mittelalterlichen, aber auch von der frühen modernen Philosophie überhaupt kennen. Die zeitliche Abfolge ist anders als in Europa, weil dort aufklärerische Gedanken viel früher auftraten.

Welchen Ratschlag gibst du nach dieser Gesprächserfahrung?

Zuhören lernen, Interesse zeigen und miteinander sprechen, denn dadurch verändert man sich gegenseitig und miteinander.


Abdullah Takim und Jens Heisterkamp sind Ende Februar 2020 im Haus Freudenberg der Christengemeinschaft zu einem öffentlichen Wochenendseminar eingeladen.

Buch Abdullah Takim, Jens Heisterkamp, Gott gehört der Osten und der Westen, Islamisches Denken im Dialog, info3-Verlag 2019

Bild Jens Heisterkamp, Foto von W. Held

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