Was meint Heinz Zimmermann mit Gespräch

Jedes Gespräch hat seinen Ort, seine Zeit und seine Gegebenheiten, wie Wetter oder Kleidung der Beteiligten. Mit Anlass und Zweck und der besonderen Beziehung der Sprechenden bildet sich ein einzigartiger Leib, in den das Gespräch sich senkt.


Dieser ist umso vollkommener, je mehr er in der Lage ist, das Seelisch-Geistige aufzunehmen und auszudrücken. Sprechen wird zum Medium, den unbestimmten Gedanken zu fassen. Großen Anteil hat dabei das Zuhören, was viel mehr sein kann als bloßes Aufnehmen. Man ahmt bis in innere Bewegung das Gesprochene nach. Hören ist stilles Sprechen. Beim Sprechen gehen wir von einer empfundenen Ganzheit aus, die sich in Sätze und Wörter differenziert. Dieses ‹automatische› Sprechen erinnert daran, dass wir die Sprache einst unbewusst gelernt haben. Die Sprache ist ein lebendiges Wesen in uns, dessen wir uns bedienen. Man kann nur sprechen, wenn man sich hört, manch Neues nur sprechen, wenn zugehört wird. Zur Sprache gehört Bewegung in Mimik und Gestik bis zur Feinmotorik – Sprechen pendelt und vermittelt zwischen Bewegung und Denken. Sein Medium ist der Atem, sein Werkzeug die unverwechselbare Stimme. Ein Gespräch lebt vom Rhythmus des Schlafens und Wachens, denn Zuhören heißt, in die Stimme des anderen, der anderen hineinzuschlafen, dann selbst zu sprechen erweckt die Seele. Jemanden zur Sprache kommen zu lassen heißt, ihn wach werden zu lassen. Das Gespräch ist Urbild des Sozialen. Es ist gemeinsam gestaltete Zeit.


Aus: Heinz Zimmermann, Sprechen, Zuhören, Verstehen in Erkenntnis und Entscheidungsprozessen. Stuttgart 1992.

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