Nordischer Segen für die Erde

Sivdnidit ist ein Segen der Sami, der Rentiernomaden des europäischen Nordens in Norwegen. Ihre Naturverbundenheit trifft nun mit der Waldorfpädagogik am ‹Ende der Welt› zusammen.


Die Sami (Lappen) Nordnorwegens haben ihre Segenstradition: Sivdnidit. Mit der Wärme des Lagerfeuers bringen sie dem Land mit allen seinen Lebewesen Liebe und Dankbarkeit entgegen – in Ehrfurcht vor dem dreifaltigen Gott. Können wir lernen, mit einer solchen inneren Haltung des Segens mit der Natur und miteinander umzugehen? Für mich geht es um den Weg, menschlicher auf Erden zu werden, die innere, tiefe Verbindung zu erweitern: zu uns selbst, zueinander und zu allem, was lebt und ist.

Rentiere im Garten

Vor fünf Jahren durfte ich die Leitung des Tromsø Steinerbarnehagen übernehmen, des nördlichsten Waldorfkindergartens der Welt. Für mich, die in Oslo geboren ist, war und ist es eine tiefe Herzensbegegnung mit dem Nordnorwegischen, einschließlich der Ureinwohner: Kven und Sami. Es bildeten sich Freundschaften, ich wurde auch als eine der ihren (an)erkannt. Sie haben einen Blick für Ahnenströme, und jener Anteil in meinem Blut war ihnen sofort offenbar. Damit konnten sie etwas anfangen. Für drei spannende Jahre gab es zudem einen Ableger in einem kleinen Dorf am Langfjord, zwischen Rentierherden und Hundeschlittenfahrern, kurz vor dem Nordkap. Das ist freilich aus der Perspektive des Südens gesehen. Denn die Größenverhältnisse verschieben sich in der Region Finnmark, einem Landstrich größer als die Schweiz, bewohnt von nur 75 000 Menschen und 185 000 Rentieren.

Jetzt nimmt ein neues Projekt Gestalt an: Im äußern Nordosten von Norwegen, auf dem Längengrad von Kiew und Alexandrien, durften wir auf der Insel Vardø das ehemalige Amtshaus übernehmen. Hier hatte die angesehene Richterin und Magistratsleiterin Ingrid Fløtten Andresen bis zu ihrem plötzlichen Tod im Jahr 2020 eine jährliche Michaeli-Begegnung arrangiert, mit Vertretenden der norwegischen Staatskirche, der russisch-orthodoxen Gemeinde, der Christengemeinschaft und mit anthroposophischen Referentinnen und Referenten. Nun renovieren wir dieses Haus, um es als internationales Kulturzentrum weiterzuführen – insbesondere auch für die Begegnung mit der samischen Kultur. In meinem Herzen ist es die Entwicklung der Pädagogik durch eine inspirierte Begegnung zwischen der naturverbundenen Samikultur und der Anthroposophie, die am tiefsten wirkt. Es ist eine Pädagogik, die das samische Verständnis von Natur und Menschen einbezieht.

Der Stall der Kongsberg Steinerskole

Am anderen Ende des Landes, als neue Schulleiterin der Kongsberg Steinerskole, bin ich an der Entwicklung eines ebenso spannenden Projekts beteiligt: Kinder und Bauernhof. Während meines gesamten Berufslebens war mir wichtig, wie wir die Verbindung zwischen Kind und Natur, unsere Verbindung zur Erde und zum Lebendigen überhaupt stärken können. Jetzt erlebe ich es als Geschenk, dass ich helfen kann, eine Waldorfschule auf einem lebenden Bauernhof zu bauen, mit einem Lehrplan vom Kindergarten an durch alle Altersklassen. Wir erleben und erheben die Schaffenskräfte in der Natur und Landwirtschaft, so entsteht Schwung für das Soziale. Wir zusammen, Kinder, Lehrende und Bauern und Bäuerinnen, bilden den Keim eines Ökodorfes. Eine bekannte norwegische Architektin hat die Pläne schon eingereicht.

Lernen wir mit einer segnenden Haltung mit der Natur und mit uns untereinander umzugehen.

Gegensätze und Einheit

In der geografischen Wirklichkeit sind meine beiden Arbeitsplätze fast 2000 Kilometer voneinander entfernt. Einst waren es Weltgegensätze: Bauern und Nomaden, Kain und Abel. Heute und in der Realität meines Herzens gehören sie eng zusammen, ja sie sind zu einem gemeinsamen Anliegen zusammengeflossen. Als biodynamische Landwirte und Landwirtinnen wollen wir selber ein Segen für die Erde sein. Es geht nicht nur darum, mit dem Boden und den Tieren arbeiten zu lernen oder draußen in Wald und Feld zu sein; es geht um eine innere Haltung, eine tiefere Verbindung zum Menschsein. Geborgen in der Hülle des Lebendigen, kann ich mich ganz dem Spiel, der Essenz des Menschseins hingeben. Hier finde ich Glück, hier ist Segen. Sivdnidit!


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Bild Kinder am Langfjord. Fotos: Marianne Sevåg

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