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Nicht Inhalte der Anthroposophie abbilden

Reflexion über den Artikel von Claudia Törpel ‹Ist die Bezeichnung anthroposophische Kunst heute sinnvoll?› in ‹Goetheanum› 20/2019


Wer wie Claudia Törpel ‹anthroposophische Kunst› liest als ‹Unfreiheit›, ‹Unterwerfung›, ‹materielle Verpackung geistiger Inhalte›, ‹Anlehnung an von Steiner angeregte Formen›, ‹Dingfestigkeit›, ‹Undurchlässigkeit›, ‹Prozessabgeschlossenheit›, ‹äußerlich darstellend in einheitlicher Formensprache›, der tut sicher gut daran, den Begriff zu vermeiden.

Es gibt eine Enge der Rede, einen Dogmatismus von Sprechern, ja. Es gibt andererseits eine Enge des Hörens, einen Dogmatismus der Rezeption. Mit gutem Willen kann man zuerst versuchen, den Standpunkt des Redners einzunehmen, denn nur von diesem aus kann dessen Ansicht und Begreifen überhaupt gewürdigt oder kritisiert werden. Ohne diesen Willen findet man gewiss, dass ein Sprecher nicht die eigene Ansicht trifft.

Nicht jeder, der den Begriff ‹anthroposophische Kunst› nutzt, etikettiert damit ausschließend, ab- oder eingrenzend. Manche hören das gern heraus. Nicht um Wörter soll es gehen. Umschreibungen mögen hübsch sein, sie ändern an der Sache und den begreifenden Personen nichts.

Die Ausstellung ‹Aenigma – Hundert Jahre anthroposophische Kunst› zeigte teilweise Werke ganz ohne ‹abbe Ecken›, äußerlich unerkennbar, weit jenseits von nachahmenden Symbolismen. Sie schloss solche Werke andererseits auch nicht aus. Reinhold Fäth versammelte alle Kunst, da Künstler selbst einen Bezug setzten zu Rudolf Steiner, seinem Werk oder der Anthroposophie – in voller Breite und ganz ohne die Frage, ob denn das alles ‹echte anthroposophische Kunst› sei. Diese Urteilsfreiheit erlebte ich als Fäths Verdienst.

Als Kunsthistoriker sammelt Reinhold Fäth betrachtend ‹anthroposophische Kunst›, unterscheidet im Gefundenen grundlegende Elemente und kennzeichnet damit in aller Offenheit einen ‹anthroposophischen Stil›. In seinem Buch ‹Dornach Design› zum Beispiel sind elf Elemente eines ‹Goetheanum-Stils› beschrieben – jedoch nicht als Handlungsanweisung.

Die Schaffensfreiheit der Künstler ist uneingeschränkt

Künstlerische Intentionen und Impulse Steiners sind in seinen Werken erkennbar und benennbar, die Nähe oder Ferne dazu von Werken anderer ist es ebenfalls. Das ist eine Sache des Betrachtens und Beachtens, der Erkenntnis. Gewiss ist solche Erkenntnis in Entwicklung, wird die Sprache ihrer Benennung sich wandeln, aber es gibt keinen Grund, auf klare und deutliche Charakterisierung zu verzichten. Kein freier Mensch, erst recht kein echter Künstler, wird sich dadurch in seiner Schaffensfreiheit eingeschränkt fühlen. Die größten Künstler der Vergangenheit waren Freie – im Schaffen. Dass wir Späteren sie in und an ihrem Stil erkennen und diesen benennen, schmälert ihre Freiheit nicht und hat rein gar nichts damit zu tun. Dass neben ihrem Persönlichkeitsstil immer auch Zeit- und Kulturstil sichtbar sind, macht die persönliche Freiheitsleistung nicht geringer. Das gilt heute nicht minder: Zwar ist es richtig, dass mit zunehmender Individualisierung die Aspekte von Zeit- und Kulturstil schwinden und der Persönlichkeitsstil wächst – alle drei sind dennoch immer erfahrbar und benennbar. Es ist höchste Eigenschaft des Menschen, Namen zu geben. Klar und deutlich soll er es tun.

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Es ist höchste Eigenschaft des Menschen, Namen zu geben. Klar und deutlich soll er es tun.

Sich Ideen zu eigen machen

Selbstverständlich lehrt die Waldorfpädagogik nicht anthroposophische Inhalte, wird nicht deswegen Erziehungskunst Rudolf Steiners genannt – gleichzeitig hat sie einen universellen Anspruch und deutlich ihre eigene Intention und Methode. Nicht anders die anthroposophische Heilkunst. Auch sie versteht sich universell, das heißt offen für alle Heilmethoden, ohne deswegen ihren spezifischen Ansatz zu verleugnen. Ganzheitlich und besonders zugleich lässt sich auch die Landbaukunst charakterisieren.

Im selben Sinne muss ‹anthroposophische Kunst› nicht Inhalte der Anthroposophie abbilden. Wer hätte solche Begriffsnutzung je festgelegt, woher nährt sich diese Unterstellung? In Rudolf Steiners Kunstwerken sind Ideen sichtbar und wirksam, Impulse erlebbar, die kann sich jemand zu eigen machen und aus diesen ganz eigene und neue Formen schaffen. Wie Stephan Stockmar meinte: «Im Sinne dieser Betrachtung bedarf es keiner Abgrenzung anthroposophischer von anderer Kunst.» So meine ich: Was aber ist ihr Sinn? Genau im gleichen Sinne ist auch Medizin einfach Medizin und ‹Anthroposophische Medizin› überflüssig, sind Pädagogik und Landwirtschaft einfach.

Dreierlei wünsche ich sehr: Dass die Anthroposophen sich interessieren für die Kunst in der Welt, bereit sind zum Gespräch mit jedem ebenso offenen Künstler. Dass das Goetheanum einen Wissen schaffenden Diskurs zum Thema ‹Spezifika Steiner’scher Gestaltung und Kunst› fördere und klar und deutlich stehe zu den sich wandelnden Erkenntnis­ergebnissen. Dass die Gesellschaft ernst nehme ihre Satzung: «Mitglied kann jedermann ohne Unterschied der […] künstlerischen Überzeugung werden […].»


Der ursprüngliche Artikel von Claudia Törpel können Sie hier lesen.

Titelblild: Während des Verkaufsausstellungs der Sektion für Bildende Künste am Goetheanum, Dezember 2018. Author: Duilio Martins

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