Menschen-Denken und Maschinen-Denken

Alan Turing erfand 1937 eine Maschine, welche die Grundlage der Computertechnologie bildet. Er war ein Vordenker heutiger Phänomene.


Alan Turing ca. 1930, Gemeinfrei

Im November 2021 lud der Physiker, Mathematiker und Philosoph Wolfgang Häußler zu einem Studientag am Friedrich von Hardenberg-Institut in Heidelberg ein, um sich zunächst den mathematischen Grundlagen heutiger Computertechnologie zu nähern. Im praktischen Nachempfinden der Arbeitsweise einer Turing-Maschine konnten wir Teilnehmenden die mechanische Schlichtheit der Sache erleben: Lesen, Schreiben, den Kopf bewegen und ‹Zustände› annehmen sind die wesentlichen Operationen einer Turing-Maschine. Eindrücklich war das vor allem für diejenigen, die mit Informatik bisher kaum Berührungspunkte hatten und sie ausschließlich als Anwender oder Anwenderin von Endgeräten konsumieren. Bis heute ist das Modell der Turing-Maschine (1937) die wesentliche Grundlage von Computertechnologie. Die Aufsplittung von Rechenoperationen in möglichst simple Operationen ist dabei einer der Verdienste Alan Turings (1912–1954). In seiner Veröffentlichung ‹Computing machinery and intelligence› von 1950 lautet der erste Satz: «Can machines think?» (dt. «Können Maschinen denken?»). Er ist mit dieser Frage also durchaus umgegangen. Als eine mögliche Antwort hat er das ‹Imitation Game› entwickelt, was später als Turing-Test bekannt wurde. Dessen Ziel ist die Feststellung, ob ein Computer ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen besitzt (Künstliche Intelligenz). Turing ging seinerzeit davon aus, dass die Frage, ob Computer ‹denken›, bis zum Ende des 20. Jahrhunderts bedeutungslos sein würde. Der Wortgebrauch und die Gelehrtenmeinung würden sich so sehr geändert haben, dass man von ‹denkenden Maschinen› sprechen könne, ohne Widerspruch zu erwarten. Heute im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz haben sich Turings theoretische Grundlagen und ihre Weiterentwicklungen in unsere Lebenswirklichkeiten eingewoben. Das heute übliche CAPTCHA-Verfahren zur Abwehr von Spam leitet sich etwa vom Turing-Test ab (‹Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart›). Im Alltag begegnet uns Künstliche Intelligenz beispielsweise in Form von intelligenter Verkehrslenkung, Suchmaschinen, in der medizinischen Diagnostik, beim Online-Dating und auf Streaming-Plattformen. Wie komme ich als Anwenderin zu einer Sicherheit, dass wir es mit Künstlicher Intelligenz zu tun haben? Anhand von praktischen Beispielen umkreiste die Veranstaltung auch Begriffe wie Berechenbarkeit und Unendlichkeit, Algorithmus und das Halteproblem. Im abschließenden Gespräch gab es vor allem viele Fragen. Wo brauchen Computer (noch) den Menschen? Dann fiel ein Satz, der humorvoll daherkam und so voller Ernst ist: Die Gefahr ist eher, dass Menschen zu Maschinen werden als andersherum. Wie können wir den Unterschied vom eigenen Denken und dem algorithmischen Denken konkret erleben? Die Grenzen drohen zu verschwinden. «Können wir es positiv formulieren, was den Menschen ausmacht?», fragte Wolfgang Häußler gegen Ende. Es zeigte sich in dieser anschließenden Diskussion, wie emotional das Thema ist. Wie betroffen wir zu sein scheinen, dass Menschlichkeit immer mehr von einer anderen, technischen Kraft erobert und imitiert wird. Zumindest ist das die Frage. Ein Entscheidendes konnte letztlich doch als Unterschied ausgemacht werden: das Soziale. Meine eigene Bewusstwerdung und die des anderen sind ganz menscheneigen.


Korrigendum (14.2.2022): Der Name von Wolfgang Häußler wurde versehentlich falsch geschrieben, und seine Berufsbezeichnung war unvollständig. Dies wurde oben angepasst.

Titelbild: Alan Turing. Foto: The Royal Society

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