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Junge Wut

Ich möchte etwas schreiben. Zur Demokratie. Sie treibt mich um. Wie kann ich vermeiden, das zu sagen, was schon zu oft gesagt wurde und allein deshalb zur Plattitüde wird? Das oben genannte Buch möchte ich nicht rezensieren, denn es will etwas anderes, als sich der Literaturkritik zu unterziehen.



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Diskurs &Poesie heißt die Rubrik, für die ich schreibe. Das Wort Diskurs verschafft mir eine Art Erleichterung, in einer Zeit, in der scharfes Denken oft der Wahrnehmung, Einfühlung und populär gewordenen Spiritualität (oh nein, ich möchte das nicht missen!) weichen muss. Poesie darin? Mal sehen.

Meine Freundin Gabriele von Arnim lädt mich zur Buchvorstellung ein. Vorher hat sie monatelang Interviews geführt, befragte Menschen aller Altersklassen und Milieus, was für sie Demokratie bedeute. Spätestens seit dem ‹November-Schock› 2016 ist allen bewusst, dass Demokratie eine Errungenschaft ist, die fragil ist, nicht etwa ein naturgegebenes Phänomen, als welche sie oft von meiner Generation der im Westen Geborenen mehr oder weniger dankbar hingenommen wurde. Natürlich nicht von der älteren Generation. Zwar gibt es seit Jahren viele Anzeichen in der Welt, viele Veränderungen, die eine Entwicklung sichtbar machen, aber 2016 ereilt die Menschen ein kollektiver Schock, der das gesellschaftliche Bewusstsein schlagartig verändert. Die Demokratie ist verwundbar, gefährdet. Ich schäme mich ein bisschen, dass ich das erst jetzt tiefer begreife. Es war der ohne Demokratie nicht denkbare Geist der Freiheit, Mitbestimmung und Toleranz, der ein etabliertes Wertesystem mit vielen Nebenerrungenschaften geschaffen hat. Elke Schmitter beschreibt in einem schönen Kapitel, wie eine gesellschaftliche Kraft aus Utopien ein gesellschaftliches Selbstverständnis entstehen ließ. Vieles zur Gewohnheit Gewordene war einst Utopie! Wird einem das bewusst, ist der Wahnsinn des mutwilligen Zerschmetterns derselben fast unerträglich.

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Denn erst wenn wir uns engagieren, merken wir, dass wir nicht alles alleine machen müssen.
— Aus: ‹Was tun – Demokratie versteht sich nicht von selbst›

Das hat fünf Journalistinnen sich zusammenfinden lassen. Sie alle treibt eine junge Wut, die sie über viele Tage in Klausur diskutieren lässt. Das Buchprojekt droht zwischenzeitlich zu scheitern, zu unterschiedlich sind die Ansätze, zu groß ist die Gefahr, dass man sich wieder nur in einer Blase befindet. Es ist dann doch in kurzer Zeit entstanden. Wenige Monate später findet bereits die Buchvorstellung statt. Ich sehe fünf kluge, hoch professionelle Frauen, die Selbstbewusstsein und Überzeugung ausstrahlen. Gucke ich mit misstrauischen, zu Schlitzen geformten Augen, sehe ich in diesem Aufgebot auch eine innewohnende Selbstgerechtigkeit. Oder könnte es sein, dass diese Skepsis schon zum Standard des kritischen Blicks, zum guten Ton des grundsätzlichen Hinterfragens und Misstrauens gehört? Nun gut, ich sehe eine wuchtige weibliche Kompetenz. Soll sie wegen ihres Arriviertseins schweigen? Oder dieses einfach nur nutzen?

Jede Autorin schreibt zwei Kapitel, insgesamt sind es zehn, die das Thema (und Demokratie ist eigentlich mehr als ein Thema!) beleuchten. In keiner Passage tritt sprachliche Fertigkeit in Wettstreit mit der Notwendigkeit des zu Sagenden, die Sprache ist bei allen einfach und klar und für den vorliegenden Zweck sehr stimmig (und damit vielleicht doch wieder ein Kniff). Es lohnt sich, dieses Kaleidoskop dessen, was man zur Demokratie vorbringen kann, zu lesen. Die junge Wut packt einen da, wo das Leben schließlich immer noch Freude machen darf: Es ist ein Aufruf, sich zu engagieren, an dem Punkt, an dem jeder Einzelne es kann. Die Kraft der Solidarität wirkt heilsam angesichts der Überforderung, jener Zivilisationskrankheit Nr. 1. Und – um den im Buch oft zitierten Soziologen Harald Welzer anzuführen –: indem wir nicht mitschwimmen, indem wir nicht nachlassen und einen Gegenentwurf starten, etwas tun, das der Welt nützlich ist, entwerfen wir auch unsere Leben neu. Das ist ein kreativer Prozess und in ihm liegt vielleicht die Poesie. «Nichts macht so müde wie das, was man nicht tut», zitiert Gabriele von Arnim einen klugen Menschen.

Wenn es so etwas gibt wie einen antiintellektuellen Zeitgeist, einen Antirationalismus, dann könnte er, der wirklich nicht ungefährlich ist, am Ende dazu da gewesen sein, dass jeder Einzelne Kraft in sich freisetzt und sich nicht in postmodernen Reminiszenzen selber bricht. Jeder ist verantwortlich, jeder auch Schöpfer und wir zusammen können die Welt verändern.


Gabriele von Arnim, Christiane Grefe, Susanne Mayer, Evelyn Roll, Elke Schmitter: ‹Was tun – Demokratie versteht sich nicht von selbst›, Verlag Antje Kunstmann, 2017

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