Gegen Rassismus und Diskriminierung

Der Bund der Freien Waldorfschulen in Deutschland verabschiedete vor 13 Jahren mit der Stuttgarter Erklärung ein Statement gegen Rassismus. Das Positionspapier spielt seither bei der Recherche von Medienschaffenden und Kritikern der Anthroposophie eine wichtige Rolle. Jetzt haben die Waldorfschulen an ihrer Jahresversammlung eine überarbeitete Fassung verabschiedet.


Bei einer Mitgliederversammlung am 20. November 2020 wurde eine leicht überarbeitete Fassung der ‹Stuttgarter Erklärung: Waldorfschulen gegen Rassismus und Diskriminierung› verabschiedet, ausgehend von einem Antrag des deutschen Bundesvorstandes, der an einer Stelle während der Versammlung noch modifiziert wurde.

Unstrittig war eine bei der Mitgliederversammlung nicht weiter thematisierte Anpassung der Tragweite des Gleichbehandlungsgrundsatzes (gleiche Rechte) im zweiten Absatz der Erklärung: «Ethnische Zugehörigkeit, nationale und soziale Herkunft, Geschlecht, Sprache und Religion» blieben bestehen und wurden durch «Weltanschauung» ergänzt; «politische und sonstige Überzeugung» wurde gestrichen. Das entspricht in etwa der Reichweite des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (umgangssprachlich auch Antidiskriminierungsgesetz genannt).

Angesichts von Black Lives Matter

Hauptanlass der Überarbeitung war allerdings der dritte und mittlere Absatz der Erklärung, der mit dem Satz beginnt: «Die Anthroposophie als Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus.» In der ursprünglichen Form folgte dann der Satz: «Die freien Waldorfschulen sind sich bewusst, dass vereinzelte Formulierungen im Gesamtwerk Rudolf Steiners nach dem heutigen Verständnis nicht dieser Grundrichtung entsprechen und diskriminierend wirken.» Die damalige Formulierung wurde von der niederländischen Studie ‹Anthroposophie und die Frage der Rassen› aus dem Jahre 1999 beeinflusst. Eine Untersuchungskommission unter der Leitung des Menschenrechtsexperten Ted van Baarda hatte damals das Gesamtwerk Steiners nach missverständlichen, diskriminierenden und – nach den Maßstäben des aktuellen niederländischen Strafrechts – strafbaren Aussagen durchforstet, entsprechende Passagen aufgelistet und kommentiert.

Foto: Charlotte Fischer

Im Kontext der aktuell verschärften Rassismusdebatte und Bewegungen wie Black Lives Matter hatte der Bundesvorstand eine verschärfte Formulierung mit einer ausdrücklich ausgesprochenen Distanzierung vorgeschlagen, die nach dem unveränderten ersten Satz lautete: «Die Freien Waldorfschulen sind sich bewusst, dass im Gesamtwerk Rudolf Steiners vereinzelt rassistisch diskriminie­rende Äußerungen enthalten sind, die im vollständigen Widerspruch zu dieser Grundausrichtung stehen.[1] Von diesen distanzieren sich die Waldorf­schulen ausdrücklich.» Die Fußnote sollte auf den Bericht der niederländischen Untersuchungskommission und auf das ‹Frankfurter Memorandum› des Info-3 Verlags aus dem Jahre 2008 verweisen.

Geprägt von ihrer Zeit

Wie passt die Behauptung, dass sich die Anthroposophie gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus richtet, mit der Feststellung zusammen, dass im Gesamtwerk Rudolf Steiners vereinzelt rassistisch diskriminierende Äußerungen enthalten sind, die im vollständigen Widerspruch zu dieser Grundausrichtung stehen? Wie kann der Gründer der Anthroposophie rassistisch diskriminierende Äußerungen gemacht haben, wenn sich die Anthroposophie gegen jede Form von Rassismus richtet? Der Lesende hätte keinen Hinweis bekommen, wie dieser Widerspruch gelöst werden könnte. Da sich rassistisch diskriminierende Äußerungen leicht zitieren lassen, scheinen diese die Behauptung zu widerlegen, dass sich die Anthroposophie gegen jede Form von Rassismus richtet.

Da sich rassistisch diskriminierende Äußerungen leicht zitieren lassen, scheinen diese die Behauptung zu widerlegen, dass sich die Anthroposophie gegen jede Form von Rassismus richtet.

Mit der Formulierung «nach dem heutigen Verständnis» enthielt die bisherige Erklärung die Andeutung, dass sich die Wirkung von Formulierungen mit der Zeit verändern kann. Vor hundert Jahren gehörte ein rassistisch diskriminierendes Vokabular noch zum üblichen Sprachgebrauch. Durch einen Bewusstseinswandel hat sich die Gesellschaft weitgehend davon distanziert – und somit auch von vereinzelten Äußerungen Steiners, die von solch einem Vokabular Gebrauch machen. Ein Änderungsantrag wies darauf hin, dass dieser Zeitbezug in der ursprünglichen Formulierung aufleuchtet, und sprach sich dagegen aus, diesen ersatzlos wegfallen zu lassen. Ein derartiger Hinweis helfe zu verstehen, dass der Gründer der Anthroposophie zwar vereinzelt rassistisch diskriminierende Äußerungen tätigte, sich die Anthroposophie im Kern aber dennoch gegen jede Form von Rassismus richte. Das moderne Wesen der Anthroposophie müsse stets neu formuliert und dürfe nicht an einem veralteten Kleid gemessen werden. Rassistisch diskriminierende Haltungen der Kolonialzeit habe unsere Zeit längst abgeschüttelt. Der Hinweis auf einen Zeitbezug widerspräche auch nicht dem Anliegen des Antrages, sich eindeutiger von vereinzelten rassistisch diskriminierenden Äußerungen Steiners zu distanzieren. Im Gegenteil: Es erleichtere dieses und mache es plausibler.

Folgende Neuformulierung des mittleren Absatzes der Erklärung wurde nach der zum Antrag vorgetragenen obigen Begründung mit einer Zweidrittelmehrheit der Stimmen angenommen: «Die Anthroposophie als Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus. Die Freien Waldorfschulen sind sich bewusst, dass das Gesamtwerk Rudolf Steiners vereinzelt Formulierungen enthält, die von einer rassistisch diskriminierenden Haltung der damaligen Zeit mitgeprägt sind. Die Waldorfschulen distanzieren sich von diesen Äußerungen ausdrücklich. Sie stehen im vollständigen Widerspruch zur Grundausrichtung der Waldorfpädagogik und zum modernen Bewusstseinswandel.» Durch diese Formulierungsänderung wird eine Distanzierung zu vereinzelten Äußerungen Rudolf Steiners ausgesprochen, gleichwohl aber rassistisch diskriminierendes Vokabular kontextualisiert, welches letztendlich trotz und nicht durch Anthroposophie im Werk Steiners vorkommt.

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  1. Es ist sicher gut, immer wieder die Angriffe abzuwehren, die zu Unrecht gegen die Anthroposophie und gegen Rudolf Steiner unternommen werden. Aber warum muss man dabei die Aussagen, die Rudolf Steiner in besonderen Zusammenhängen doch wohl in keiner Weise als Diskriminierung gemeint haben konnte, sondern so formulierte, um z.B. bestimmte Menschheitsentwicklungsstufen zu charakterisieren. Wir können doch nur sagen: “Aus unserer heutigen Sicht könnte es Kritiker geben, die diese Sachverhalte nicht kennen oder nicht wahrhaben wollen, weil sie sich nicht mit den betreffenden Aussagen wirklich beschäftigen wollen.” Hat nicht Rudolf Steiner selbst später ausdrücklich darauf verwiesen, dass man nun nicht mehr von Rassen sprechen dürfe? Man kann ihn also in einem Memorandum wie diesem hier doch selbst zu Worte kommen lassen. – Sie kennen die Zitate und Quellen besser als ich.

  2. Rudolf Steiners Lebenswerk ist in seiner Gesamtheit zutiefst humanistisch und das Gegenteil eines systematischen Rassismus. Trotzdem gibt es bis in die späten Jahre seines Wirkens vereinzelt Äußerungen von ihm, die rassistisch diskriminierend, verletzend und die durch nichts zu rechtfertigen sind. Der Zeitbezug ist zwar richtig, aber es gab auch in den 1920-er Jahren durchaus öffentlich wirksame Menschen, die sich nicht zu solchen Äußerungen hinreißen ließen. Rudolf Steiner war auf so vielen Feldern entweder seiner Zeit voraus oder jedenfalls “selbst denkend”, dass der Zeitbezug kein überzeugendes Argument zu seiner Entlastung ist. Das macht ihn kleiner als er war.

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