Erinnerungen an Roland Halfen

Roland Halfen arbeitete seit 2002 zunächst in einem freien Auftragsverhältnis, ab 2004 dann als festangestellter Herausgeber im Rudolf Steiner Archiv an der Edition des künstlerischen Werkes von Rudolf Steiner.


Er kam als ausgewiesener Kunsthistoriker (der erste Band seiner vierteiligen monumentalen Chartres-Monografie war damals gerade erschienen) und als versierter Philosoph, der als Autor und redaktionell mitverantwortlicher Assistent von Prof. Franco Volpi das ‹Große Werklexikon der Philosophie› (1999) mitpubliziert hatte. Bis 2011 unter Mitarbeit von Walter Kugler, danach alleine, hat er die großformatigen Bände ‹Das graphische Werk› (2 Bde., 2005), ‹Das malerische Werk› (2007), ‹Das plastische Werk› (2011), ‹Das Architektonische Werk I und II› (2022 und posthum 2024) herausgegeben. Ergänzend dazu redigierte und edierte er die Vortragsbände ‹Architektur, Plastik und Malerei des ersten Goetheanum› (GA 288, 2016), ‹Der Baugedanke des Goetheanum› (GA 289, 2017) und ‹Zur Geschichte des Johannesbau-Vereins und des Goetheanum-Vereins› (GA 252, 2019). 2019 erschien zudem seine Publikation ‹Kunst und Erkenntnis: Rudolf Steiners «Ästhetik der Zukunft»›.

Labyrinth der Kathedrale von Chartres in Stein, Quelle: Wikimedia, CC BY-SA 4.0 DEED

Ende Juli 2023 wurde Roland Halfen pensioniert und sagte zu, den kurz vor dem Abschluss befindlichen Band über das ‹Architektonische Werk II› bis zum Erscheinen zu begleiten. Die Bände des künstlerischen Werkes heben sich von den Vortragsausgaben als Edition ab, insofern sie werkbiografische Gesamtdarstellungen (Monografien) aus der Feder des Autors Roland Halfen sind. Dieser wollte freilich seine Bände immer nur als Werkeditionen verstanden wissen und sah sich in diesem Zusammenhang nicht als Autor. – Er, der ziemlich viel ‹auf dem Kasten› hatte, hat sich nie etwas eingebildet oder sich seinem Gegenüber als überlegen gezeigt, sondern höchstens da und dort fast schüchtern nachgefragt, relativiert und ergänzt.

Roland Halfens Editionstätigkeit war geprägt von seinem Auge fürs Detail und fürs Ganze zugleich. Sein phänomenologischer Ansatz war aufwendig, weil er – tugendhaft für jeden Geisteswissenschaftler – zuerst sorgfältig und unvoreingenommen hinschaute und genau beobachtete, bevor er Schlüsse zog. Sein eigener Blick zeigte sich auch in seinen Forschungsreisen und seiner fotografischen Tätigkeit. Roland Halfen suchte nicht nur die Werke, über die er forschte und schrieb ‹in situ› auf, sondern er versuchte sie auch in der ihm wichtigen, angemessenen Perspektive fotografisch festzuhalten. So fing er auch das Naheliegendste, den Blick aus dem Fenster des Hauses Duldeck aufs Goetheanum, in wechselnden Jahres- und Tageszeiten ein. Und vermochte dadurch dem vermeintlich Bekannten jeweils neue Aspekte abzugewinnen. Ohnehin war er allen vorgepfadeten Denkmustern abhold und behielt immer seinen eigenen unabhängigen Standpunkt.

Stets suchte er den Austausch mit uns, seinen Arbeitskolleginnen und -kollegen, er regte ein hausinternes Forschungskolloquium an und brachte politische und soziale Fragen in Sitzungen und Gespräche ein. In der persönlichen Begegnung in der Küche oder über den Schreibtisch hinweg war er immer bereit, sich auf verschiedenste Themen einzulassen und ausführlich zu diskutieren: Das ging vom Mangoschälen bis zur Mystik und den Mysterienstätten. Als origineller und kritischer Geist hinterfragte er dabei, was er vorfand, und räumte mit manchen Mythen auf. Er erklärte manches ganz handfest, so zum Beispiel, dass die beiden Linden auf dem Felsli gepflanzt wurden, damit eine Hängematte dazwischen gespannt werden konnte.

Roland Halfen (hinten rechts mit blauem Pullover) inmitten des Teams des Rudolf Steiner Archivs 2022, Foto: Anna Krygier

Als Kunsthistoriker war er gleichermaßen in der Antike zu Hause (gepaart mit seiner Kenntnis der antiken Philosophie) wie in der Gotik und der Gegenwartskunst. Eine große Sorge war ihm bis zuletzt das seit einiger Zeit aufgetretene Beuys-Bashing, das seines Erachtens die Bedeutung dieses Künstlers völlig verkannte. Roland Halfen war ein weltoffener Mensch mit liebenswürdigen Eigenheiten. Zu Sitzungen kam er pünktlich, aber kaum je eine Minute zu früh. Er brachte eine umfassende, selbständige Auffassung der Anthroposophie ein, pflegte eine rege, gerne auch kontroverse, aber gediegene Debattenkultur und konnte immer wieder überraschende Synthesen oder dialektische ‹Aufhebungen› aus gegensätzlichen Positionen beisteuern. Wenn es die Situation erlaubte, wusste er aber auch mit ebenso trockenem wie treffendem Humor die Lacher auf seine Seite zu bringen.

Abends liebte es Roland Halfen, bis tief in die Nacht ungestört in seiner Archivklause zu arbeiten, oft begleitet von einer bestellten Pizza. Er hat allem, was er tat und womit er sich beschäftigte, seine persönliche Handschrift gegeben. Im gemeinschaftlich-kollegialen Akkord der Mitarbeitenden im Rudolf-Steiner-Archiv wird sein Wirken noch lange nachklingen. Umso bedauernswerter ist es, dass er sein Vorhaben, die Geschichte des Archivs niederzuschreiben, nicht verwirklichen konnte. Sein so plötzlicher Erdenabschied macht uns sehr betroffen, wir werden ihn in ehrendem Andenken behalten.


Nana Badenberg, Péter Barna, Andreas Bindler, Marianne Büttner, Claudia Forster, Silvana Gabrielli, Sophia Galsterer, Christiane Hoffmann-Champliaud, David Marc Hoffmann, Marit Frey, Andrea Leubin, Ralph Machunze, Monika Philippi, Roland Probst, Martina Maria Sam, Jacqueline Staub, Anne Weise, Stephan Widmer, Hans-Christian Zehnter, Renatus Ziegler


Literatur von Roland Halfen

Bücher

Chartres – Schöpfungsbau und Ideenwelt im Herzen Europas. 4 Bde. Stuttgart 2001 ff.
Bd. 1: Das Königsportal. Stuttgart 2001.
Bd. 2: Die Querhausportale. Stuttgart 2003.
Bd. 3: Architektur und Glasmalerei. Stuttgart 2006.
Bd. 4: Die Kathedralschule und ihr Umkreis. Stuttgart 2011.

Kunst und Erkenntnis – Rudolf Steiners «Ästhetik der Zukunft». Basel 2019.

Herausgaben

Imagination – Das Erleben des schaffenden Geistes. (Mit A. Neider), Stuttgart 2002.

Rudolf Steiner: Das graphische Werk. 2 Bde. (Mit W. Kugler), Dornach 2005.

Rudolf Steiner: Das malerische Werk. (Mit W. Kugler), Dornach 2007.

Rudolf Steiner: Die Welt der Kunst. Ausgewählte Texte mit Einleitung und Kommentaren, Dornach 2009.

Rudolf Steiner: Das plastische Werk. (Mit W. Kugler), Dornach 2011.

Rudolf Steiner: Architektur, Plastik und Malerei des ersten Goetheanum (GA 288). Basel 2016.

Rudolf Steiner, Der Baugedanke des Goetheanum (GA 289). Basel 2017.

Rudolf Steiner, Zur Geschichte des Johannesbau-Vereins und des Goetheanum-Vereins (GA 252). Basel 2019.

Eine ausführliche Literaturliste Roland Halfens ist auf der Internetseite des Rudolf Steiner Archivs verfügbar.


Titelbild Roland Halfen an seinem Arbeitsplatz im Rudolf Steiner Archiv 2013, Foto: Foto: Ivana Suppan

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare