Die Sprache der Füße fängt an

Zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten tritt die Frage der Erde in die Menschheit wie ein Samen. Werden wir das Vermächtnis der Erde bezeugen – werden wir wirksam?


Vor vielen Jahren, während eines meiner ersten Aufenthalte im Heiligen Land, überfiel mich blitzartig der Gedanke, dass, wo ich wandere, ich möglicherweise in die Spuren eines anderen Wanderers trete. Des Wanderers schlechthin. Des ganz anderen. Es war am Ufer des Sees Genezareth. Selbstverständlich war mir klar, dass der Boden, auf dem ich lief, nicht mehr der von vor zweitausend Jahren war. Mir war bekannt, wie in der Zwischenzeit immer wieder Menschen dahingezogen waren, die in diesen Spuren wandern wollten. Aber was heißt ‹eine Spur›? Gibt es noch eine Spur? Eine Spur ist nicht das Gleiche wie ein Abdruck. Eine Spur heißt ‹Wirksamkeit› – sie wirkt. Wirksamkeit ist immer gegenwärtig, wie lange es auch her sein mag, dass die Spur entstanden ist. Wirksamkeit ist die Gegenwart. Was mich packte, war diese Gegenwart und ihre Wirklichkeit.

Hieß das, er – der große Wanderer – sei immer da? Ist es genug, dass ich mir einen Weg bahne und damit seine Gegenwart zulasse, einfach mit den Füßen über die Erde wandernd? Sehr lange habe ich den Ausdruck ‹in den Fußstapfen eines anderen wandern› als eine poetische Aussage verstanden, aber nicht als ein Wirkliches an sich. Gegenwart ist tief beunruhigend. War ich dieser Wirklichkeit gewachsen?

Abschied

Wer hat nicht im Moment des Abschieds gehofft, der eben hingegangene Mensch komme wieder? Wenn nicht unmittelbar, dann bald. Der Mensch, der eben über die Schwelle des Hauses oder über die Schwelle des Todes geht und immer weiter sich entfernt, bis er ganz dem Blick entschwindet. Er kehrt zurück!

Erst später geht es einem auf: Dieser Mensch hat die Grenze des Vorstellbaren überschritten und hinter sich gelassen. Er ist nicht stehen geblieben, hat sich nicht umgeschaut, nicht noch mal besonnen, er ist nicht auf seinem Weg zurückgekehrt. Weder bildlich noch wörtlich. Wir stehen hilflos und verlassen da und eine noch nie vorher erfahrene Stille tritt ein. Noch schaut man dem Gegangenen nach. Könnte ich ihn nur noch einen Moment erreichen! Nur einmal noch! Das Unerbittliche des ‹Nie› fängt an.

Wenn jemand, dem ich nahe war, in die Ferne rückt und nicht mehr zu erreichen ist, entsteht ein tiefer Schmerz. Die Stille, die sich dann um einen legt, fühlt sich an wie weiß. Wie eine Wolke.

Selten ist ein Abschied in so knappen Worten dargestellt worden, als wenn er sich von den Seinen verabschiedet hat: «Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken.» (Apostelgeschichte 1,9) So vieles im Kreis der Jünger war noch unklar, es gab noch zu fragen, zu durchschauen. So vieles, das der eine oder andere immer vor sich hergeschoben hatte und ihm einmal hätte sagen wollen – das Innigste, das zugleich am geheimnisvollsten war. Dasjenige, was sie nur für ihn bewahrten. Hatte er nicht gesagt, dass er mit ihnen bleiben würde bis an das Ende der Zeiten? Sie hatten doch noch Zeit, ihm ihr Herz zu öffnen? Aber nur beim Abschied kann sich die Liebe ganz offenbaren.

Wie war es, dass er ihnen auf einmal gebot, in Jerusalem zu bleiben, zu warten und nicht nach Zeiten und Fristen zu fragen! Es war von der Kraft des Heiligen Geistes die Rede und dass sie Zeugen werden sollten. Das letzte Wort, das an sie erging, war ‹Erde› – Zeugen werden bis an die Grenzen der Erde. «Et usque ad ultimum terrae.» Im Urtext ist diese Grenze auch zeitlich. Bis zum Ende der Erdenzeit (‹Eschaton› – ‹Erde›).

Auf dieser Erde standen sie. Er hatte angefangen sich zu erheben; seine Füße waren nicht länger mehr auf dem Erdboden. Einer nach dem anderen löste sich vom festen Grund. Er ging von der Erde hin; er ging von ihnen allen hin. «Weil er sie segnete», schreibt Lukas (24:50–51). Das Unvorstellbare vollzog sich vor ihren Blicken. Sie schauten höher und höher hinauf. Sie waren nur noch hilflose Zuschauer. So manches, das ihre Vorstellung überstieg, hatte sich in den letzten vierzig Tagen ereignet: das leere Grab, wie er sich ihnen wieder gezeigt hatte, wie er mit ihnen das Brot gebrochen hatte und mit ihnen auf der Erde gewandert war. Obwohl sie es noch nicht verstanden, hatten sie es sofort angenommen.

Jetzt schwebte eine Wolke vorbei und schob sich zwischen ihn und diejenigen, die noch immer auf der Erde standen. Auf dem höchsten Punkt des Gartens am Ölberg, auf hartem Felsen standen sie mit ihren Füßen. Und mit einer Hoffnung, die sich wie eine Wolke am Himmel langsam auflöste. Er war nicht länger zu sehen. Das Letzte, was sie von ihm sahen, waren seine Füße. Die Zeit der Trauer war gekommen.

Himmelsreisen und Himmelfahrt

Himmelsreisen gibt es viele. Aber diesmal war es keine. Denn von einer Himmelsreise kann einer zurückkommen und von ihr erzählen. Es kann einen ‹Nachlass› geben, weil etwas zurückbleibt. Dante wird in seinem Aufstieg zur paradiesischen Lichtvision von Beatrice bis zum äußersten Rand der Himmelsrose geführt, dorthin, wo jede Sprache aufhört und die Liebe das All in Bewegung bringt. (Paradiso, Canto xxxiii, 145) Erst in seiner ‹Commedia Divina› wird die Sprache aus Dante wiedergeboren. Auch im Koran gibt es Verse, die von einer nächtlichen Himmelsreise des Propheten Mohammed bis zum Throne Gottes erzählen, in das Geheiligte, wo er die Zeichen Gottes geschaut hat. Aus dieser Schau bringt Mohammed die kosmische Ordnung der Gebetszeiten zurück. (Koran, 17:1)

Himmelfahrt ist auch nicht eine Reise, wie sie Elias im feurigen Wagen, inmitten von Flammen und Blitzen, durch die Himmelssphären unternahm. Elisa, der ihm nachfolgen soll, bleibt zurück und wird vom Abschiedsschmerz überwältigt. Kurz zuvor waren die beiden noch bis zum Jordan gewandert, der sich durch einen Schlag von Elias’ Mantel geteilt hatte, sodass sie den Fluss überqueren konnten. «Mein Vater! Mein Vater!», schrie Elisa, als der Sturmwind Elias stehend auf den von Feuerpferden gezogenen Wagen hochhob. Erst danach findet er den von Elias auf Erden hinterlassenen Mantel. (Bibel, Buch der Könige, Kap. 2.)

Was wurde bei der Himmelfahrt Christi hinterlassen? Blieb etwas zurück? Das Versprechen der beiden Engel, nachdem er sich ganz aus ihrer Sicht entfernt hatte? Oder hatten die Jünger etwas übersehen?

Im Westen hat die christliche Ikonografie dieses Ereignis über Jahrhunderte so dargestellt, dass die Himmelfahrt während des gesamten Aufstiegs mitverfolgt werden konnte. Angefangen bei den Darstellungen, in welchen Christus noch mit einem Fuß auf der Erde steht, als ob er im Begriff sei, die Himmelsleiter zu besteigen. Weitergehend gibt es Bilder, die alle Stufen des zunehmenden Abstands zwischen Christus und der Erde zeigen, bis zu den allerletzten Momenten, in denen das Haupt bereits von der Wolke bedeckt ist und nur noch der Saum des Gewandes sichtbar bleibt. Darunter die Füße – immer wieder seine Füße.

Bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts gibt es in der westlich-christlichen Buchmalerei und auf geschnitzten Bildern Darstellungen, in denen die sichtbaren Fußabdrücke auf einem Stein abgebildet werden. Um diesen Stein, von dem aus Christus zum Himmel fährt, drängen sich die Jünger. Alle blicken ihm nach; keiner bemerkt die Spuren.

«Als ein einziger grünender Fleck»

In Jerusalem, auf dem höchsten Punkt des Ölbergs, befindet sich die Himmelfahrtskapelle. Von hier aus soll, der Tradition nach, Christus zum Himmel aufgefahren sein und hier sollen die Jünger gestanden haben, während sie hoch in die Himmel schauten und das Geschehen mit ihren Blicken verfolgten. In der Kapelle gibt es heute eine tiefer gelegene Steinplatte, auf der die Fußabdrücke Christi, die er während der Himmelfahrt hinterlassen hatte, zu besichtigen und zu verehren sind.

In den frühesten Zeugnissen wird nicht von Steinabdrücken gesprochen. Es waren Spuren im Gras, um die ein nach oben offener, runder Bau (und später um dieses schlichte Gebäude herum eine Kirche) errichtet wurde. War dieses erste Gebäude wie ein Herzensschrein? Wie schützte man in diesem Schrein die lebendigen Spuren – wie schützt man die lebendigen Samen in der Erde? Obwohl das Quellenmaterial äußerst beschränkt ist, erweist sich diese Frage als ein zentrales Thema in dem Briefwechsel, der Anfang des 5. Jahrhunderts zwischen Paulinus von Nola (353/355 bis 404/413) und seinem Freund aus Aquitanien, Sulpicius Severus (363 bis ca. 420), entstand.

Die Tradition der Verehrung dieser Spuren soll schon in den ersten Gemeinden angefangen haben. Da ist die Rede von Spuren im Staub oder Spuren im Gras. Kann es etwas Flüchtigeres als Spuren im Staub geben? Wie kann das Bleibende auch flüchtig sein und das Flüchtige bleibend? Erst Jahrhunderte später, zur Zeit der Kreuzzüge, entstehen erste Berichte von Abdrücken im Felsstein.

So schreibt Paulinus um 401/402 seinem Freund, der anscheinend der Meinung ist, die Spuren seien mit einer Marmorplatte bedeckt und gesichert worden, dass der durch die göttlichen Fußspuren geheiligte Boden nicht mit Marmor hatte bedeckt werden können, die Steine seien den Werkleuten beim Versuch, den Boden der Kirche zu pflastern, ins Gesicht gesprungen. So sei der Boden mit den Fußspuren in seiner ursprünglichen Gestalt als Rasen erhalten geblieben.

Als einen weiteren Beweis führt Paulinus an, dass diese Spuren noch erkennbar seien, weil die Erde sie bis heute bewahrt hatte. Nicht Menschen kommt dieser Schutz zu, die Erde hat das Vermächtnis bekommen! Die Spuren innerhalb des Gebäudes beschreibt er wie folgt: «ein einziger grüner Fleck in der Basilica». Grün, «virens» – das Grünende – heißt es im Brief. Es geht um eine Leben spendende Kraft. Ein Bleibendes, das immer neues Leben spendet. Genau dieses wird Sulpicius Severus in seiner Chronik aus dem Jahr 402 auch darstellen: Die im Staub eingedrückten Umrisse der Füße Christi seien erhalten geblieben, obgleich Pilger immer wieder Erde von der heiligen Stelle mit sich genommen hatten. «Es ist die Erde, die sie, die Fußpuren, erhalten hat.»

In der zwischen 1265 und 1267 verfassten ‹Legenda Aurea› wurde einiges aus ihrer Auseinandersetzung aufgenommen, aber in der Fassung der ‹Legenda Aurea› waren die ‹Spuren› bereits zu ‹Abdrücken› in einem Felsblock umgewandelt, wie es im Text zur Himmelfahrt steht. Das Dach war nicht länger zum Himmel geöffnet.

Der Abt in Iona

Pilgerfahrten zum Heiligen Land haben seit den ersten Jahrhunderten nie aufgehört. Es war ein ständige Hin und Her, entweder über Land oder übers Meer. Die hohe Frequenz der Wanderungen kontrastiert mit der knappen Anzahl an Reiseberichten, die den Westen erreicht haben.

Eine der ersten im Westen bekannten Reisebeschreibungen, mit Karten und Plan von u. a. Jerusalem, wurde von Arculf, Pilger und Bischof aus Gallien, auf seiner Reise zum Heiligen Land und während seines neunmonatigen Aufenthalts in Jerusalem verfasst. Diese Reise soll um das Jahr 680 stattgefunden haben. Er übergab seine Ergebnisse und seine Skizzen als mündlichen Bericht dem irischen Mönch Adomnán oder Adamnanus (628–704), Abt des Klosters Iona. Arculf, von dem nur diese wenigen Tatsachen bekannt geblieben sind, hatte vom Abt Unterkunft erhalten, nachdem er auf seiner Rückreise Schiffbruch vor der Küste der Hebriden erlitten hatte. Es gelang Adomnán die Reisebeschreibungen mit Planzeichnungen und Karten in seinem Werk ‹De Locis sanctis libri tres› zu integrieren, einem Reisebuch, das er für Pilger verfasste und das als solches im frühen Mittelalter bekannt wurde.

Im ersten der drei Bände des Buches wird die Himmelfahrtskapelle in Jerusalem anhand der Berichte von Arculf beschrieben und mit seinen Zeichnungen illustriert. Arculf soll diese auf Wachstafeln gebracht haben. Unter seinen Zeichnungen gibt es auch eine, in der das Innere der Himmelfahrtskapelle dargestellt wird, ein Rundbau mit den Fußspuren im Zentrum. Spuren in der Erde! Es handelt sich um die älteste bekannte Skizze einiger Sakralbauten im Heiligen Land.

In der Zeit vor Constantinus, als Christen und Christinnen verfolgt wurden, gedachten die ersten christlichen Gemeinden der Himmelfahrt Christi in einer Höhle nahe dem höchsten Gipfel des Ölbergs. Zwischen 384 und 392 wurde um die Fußabdrücke herum, die im Boden hinterlassen worden waren, ein Gebäude errichtet. Die Konstruktion entstand genau auf der Erdscholle, die die Fußstapfen des Herrn trug. Die Stifterin der schlichten, runden Kapelle mit offenem Dach, war eine gewisse Poimenia, eine Christin aus einer adligen römischen Familie. Durch die Jahrhunderte hat das Bauwerk eine lange und komplexe Geschichte von wiederholter Zerstörung und Wiederaufbau. Als die Kreuzfahrer 1099 Jerusalem erreichten, stiegen sie den Ölberg hinauf, bis zu diesem Ort. In den Chroniken von Petrus Tudeboldus war zum ersten Mal die Rede von einem «Stein». Der von Tudeboldus erwähnte Stein mit seinen Fußabdrücken wurde in der später erneuerten Kirche übernommen. Kreuzfahrer hatten das, was als schlichter Rundbau angefangen hatte, zwischen 1102 und 1106 neu gebaut und mit einen Säulenumgang ausgestattet. 1187 wurde unter Saladin (1138–1193), der Jerusalem eroberte, angrenzend eine Moschee errichtet, deren ummauerter Innenhof die Kirche einrahmte. Bis auf den heutigen Tag befindet sich am gleichen Ort noch immer ein oktogonaler Rundbau, der dem ursprünglichen Rundbau entspricht und errichtet wurde, nachdem die Kirche verfallen war. In den Pilgerberichten nach dem Bau der Himmelfahrtsmoschee war nicht mehr die Rede von Spuren im Staub der grünenden Erde, «terra virens», sondern vom Abdruck auf einem Felsenblock.

Spuren und Abdruck

Spuren bewegen sich durch die Zeit. Ein Abdruck ist einmalig. Beide zeugen von einer Anwesenheit. Beim Abdruck geht es eher um die Offenbarung dieser Anwesenheit, um das reine Sein. «Er ist.» Bei Spuren geht es um die Wirksamkeit des Anwesenden. «Er wird.»

Gibt es eine zartere Berührung, als wenn sich ein Fuß auf die Erde setzt? Sie abtastet wie zur Begrüßung und ihren Gegendruck wie eine Erwiderung des Grußes spürt? Bei jedem Tritt?

Sobald wir aufrecht stehen, versuchen wir, die allerersten Schritte auf den festen Boden zu setzen. Die Vertikale ruft die Horizontale hervor. Gehen findet in der horizontalen Ebene statt. Kein Mensch kann in der Luft wandern. Es ist nicht die Rede von Himmelsreisen. Die Erde ist unser aller Boden und es gibt nur einen.

Sobald wir laufen, drückt sich der Fuß mit jedem Schritt auf die Erde. Der Fuß setzt sich, drückt sich ab und hebt sich erneut, um sich wieder zu setzen. Wenn wir dieses mit beiden Füßen zugleich tun möchten, springen wir. Ein Schritt heißt: ein Fuß nach dem anderen. So ziehen wir eine Spur unserer Wanderschaft auf der Welt.

Der fast Vierjährige an meiner Hand, der bei jedem Schritt auf seine Spuren im Schnee zurückblickt, sagt auf einmal: «Guck mal, meine Füße treten auf die Erde.» Offenbar erlebt er dieses «auf» ganz eindringlich. Einen kurzen Moment lang schauen wir uns diese Spuren an. Schon geben sie ihre Formen im Schmelzwasser auf. Er hat die Erde begrüßt und sie ihn. Wir sind zu dritt, mit der Erde als Bindeglied. Und auf einmal ist sehr viel Innigkeit da.

Die junge Mutter, die an Multiple Sklerose erkrankt ist und nicht mehr gehen kann, hat nur noch einen einzigen Wunsch: noch einmal selbst die Füße auf die Erde setzen zu können. Freunde heben sie aus dem Rollstuhl. Ihre Füße tasten in die Luft, schweben über den Boden, erreichen den Boden aber nicht.

‹Auf der Erde› ist nicht eine Metapher oder eine Bildsprache, die bedeutet, wir seien hier auf dieser Welt und bewegten uns über sie fort, bis es irgendwann aufhört. Man soll ‹auf der Erde› ganz buchstäblich nehmen. Auf der Welt zu sein und zu gehen, heißt, den Fuß so auf die Erde zu setzen, dass sie sich offenbart und dass ihre Wirksamkeit aufblühen kann. Von Tieren, Pflanzen, Flüssen, Seen, Ozeanen, Ackerböden und Wäldern sind wir umgeben, nennen es aus Bequemlichkeit ‹Natur›, damit wir uns auf uns selbst zurückziehen können. Dazu soll auch unser ökologischer Fußabdruck, der einfach zu berechnen ist, so leicht wie möglich sein! Aber: «Die Erde will unseren Fußabdruck!» (‹Goetheanum›, 4. November 2022).

Die Erde will berührt werden, will unsere Schritte spüren. Schritte, die unser Leichter-Werden mit ihrem Bleibender-Werden verbinden. Schritte, die sie jedes Mal neu segnen! Hat die Erde nicht die Spuren des Erlösers erhalten und trägt sie nicht seine Wirksamkeit, damit wir die Versteinerung verwandeln können in eine ganz neue Substanz, die zugleich flüchtig und bleibend ist? Und die Erde in einen einzigen grünen Fleck als eine Basilika im neuen Kosmos?

Pfingsten

Auf dieser Erde, auf der die Jünger standen, stehen wir. Fassungslos, wie sie es waren. Vom Unvorstellbaren überwältigt. Noch immer schauen wir mit bangem Herzen hoch, bis endlich jemand zurückkommt und uns aus dieser dumpfen Hoffnungslosigkeit, dieser Trägheit des Herzens befreit. Oder starren wir nur noch mit leerem Blick vor uns her, überfordert von unserer Lage als Zuschauende und kaum noch fähig, einen Blick in die Tiefen der Zeitereignisse zu wagen? Haben wir die Sprache der Füße verlernt? Oder haben wir unseren Blick noch nicht umgekehrt, weil wir weiter dahin schauen, von wo wir unsere Rettung aus der Leere und Ohnmacht erwarten?

Wir sind den Jüngern ähnlich, die um die Fußspuren herumstehen und diese nicht sehen können. Haben wir bereits die Spuren des Lebenden vernommen? Kennen wir die Sprache desjenigen Wanderers auf Erden – was immer sein Name sei –, dessen Füße ein ganz neues Wort in den flüchtigen Staub unseres Wesens eingeprägt haben? Oder bleiben wir in der Trauer des Abschieds gefangen, der keiner ist? Wann werden wir das Gegenwärtige bezeugen, nicht das Vergangene? Wann werden wir das Ereignis bezeugen, das wir nicht fassen können, es sei denn, wir zeugen davon?

Die Apostelgeschichte erzählt, wie in den Tagen unmittelbar nach der Himmelfahrt, als die Jünger wieder nach Jerusalem zurückgekehrt waren, die Frage nach dem ‹Zeuge-Werden› unter ihnen und in ihrem Freundeskreis herumging: «Einer von den Männern, die die ganze Zeit mit uns zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und aufgenommen wurde, einer von diesen muss nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein.» (Apostelgeschichte 1, 22)

Noch sehr viel Trauer klingt darin nach, Trauer in der bekannten Sprache! Trauer über etwas, das geschehen ist. Die Auferstehung ist das zentrale Ereignis, von dem es wichtig ist, dass Zeugnis abgelegt wird. Nur: Wie darüber sprechen?

Mit Pfingsten bricht eine neue Sprache aus. Mit Übermacht. Der Heilige Geist in seinem gewaltigen Brausen hat diese Sprache über jedem Jünger wie einzelne Feuerflammen ausgegossen und augenblicklich sind sie aus ihrer inneren Gefangenschaft nach außen getreten. Sie brauchten nur zu sprechen und die Gegenwart des Auferstandenen wurde wirksam und alle, die bei ihnen waren, verstanden, als wäre es ihre eigene Sprache. Das lebendige Wort sprach aus jedem von ihnen und sie begannen auf der Erde zu wandern und sie zu berühren. Bei jedem Schritt wurden Erde und Herz von grünender, lebendiger Kraft durchzogen. Beide wurden zum Schrein, in dem seine immerwährende Sprache wächst – die Sprache der Füße, das Wort, der Logos bis zum Ende der Zeiten.


Illustration Grafikteam der Wochenschrift

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