Wie ist der Umgang mit den Angaben Rudolf Steiners, die sich auf technische Geräte beziehen? Eine Suche nach der Fähigkeit des Findens.
Rudolf Steiner interessierte sich sehr für zeitgenössische Erfindungen, so bemerkt er zu Willem Zeylmans van Emmichoven, als er an dessen Tabakbeutel einen Reißverschluss entdeckt: «Wie schade, dass unsereiner so etwas nicht erfunden hat»1 In seinen Mysteriendramen bringt er zeitgenössische Entwicklungen auch mal an unauffälliger Stelle unter: So steht der Ingenieur Dr. Strader einem Werk vor, in dem Schrauben ‹gewalzt› werden. Dieses Verfahren ist zwar schon 1851 in Glasgow patentiert2 worden, da es aber damals noch keinen so harten Stahl gegeben hat, mit dem das Schraubenwalzen in industriellem Stil möglich gewesen wäre, wird es erst ab ca. 1920 in Europa angewandt. Hat Rudolf Steiner hier kongenial eine eigene Erfindung einflochten oder hat er – in Industriekreisen gut vernetzt3 – von Überlegungen gehört, dieses Verfahren einzusetzen?
Erfindungshöhe hat dagegen der Mechanismus, den Rudolf Steiner Dr. Strader im Mysteriendrama ‹Hüter der Schwelle› entwickeln lässt. Wie kommt Strader auf seinen Mechanismus?
Es brachte, was ein Zufall scheinen könnte,
Mir aus des Denkens Wirrnis die Erlösung.
Als ich Versuche anzustellen hatte,
Die solchen Fragen wahrlich ferne lagen,
Entrangen sich ganz plötzlich meiner Seele
Gedanken, die den rechten Weg mir wiesen.
Dies Nach-etwas-Suchen und Etwas-anderes-Finden (Serendipidy4) ist oft Ausgangspunkt für Erfindungen und Entdeckungen5. Es ist eine Art, wie geistige Führung in das Menschengeschehen eingreift.
Zwar sagt Strader nicht, wie sein Mechanismus funktioniert, beschreibt aber den Zweck, den dieser erfüllen soll:
Man wird der Technik Kräfte so verteilen,
Daß jeder Mensch behaglich nutzen kann,
Was er zu seiner Arbeit nötig hat
Im eignen Heim, das er nach sich gestaltet.
Ist das nur eine Antizipation des heutigen Homeoffice oder will Rudolf Steiner hier eine Technik inaugurieren, die einen Kontrast zur gegenwärtigen digital-elektronischen Entwicklung bildet? Dass es sich hier nicht nur um ein Schaustück für eine Aufführung handelt, zeigt – wie Oskar Schmiedel berichtet6 – dass Rudolf Steiner erwartete, dass diese Erfindung einst verwirklicht werde.
Rudolf Steiner lässt Strader dann scheitern beim Schritt vom Modell zur Serienfertigung. Auch dies zeigt Rudolf Steiners Kenntnis von Industrie-Herausforderungen.
Solche Übergänge sind nicht bloß eine Vervielfältigung, sondern erfordern gewöhnlich, dass einige überraschende Detailprobleme zu bewältigen sind. Interessanterweise gibt im Mysteriendrama der Geisteslehrer Benedictus aber noch einen weiteren Grund an:
Verbunden sah ich euch mit Wesensarten,
Die Böses wirken müßten, griffen sie
Schon jetzt ins Menschenwalten schaffend ein;
Doch leben sie ein keimhaft Sein in Seelen,
Um künftig für die Erde reif zu sein.
Erfindungen haben ihre Zeit. Kommen sie zu früh, schneiden sie möglicherweise erforderliche Entwicklungen ab. Das erklärt wohl auch, warum Erfindungen oft zeitgleich an verschiedenen Orten auftreten.
Dieser Mechanismus wurde Ausgangspunkt für verschiedene Initiativen, diese Technik zu realisieren. Allerdings stehen alle diese Initiativen vor der Frage: Wie soll das funktionieren? Das ist fast immer das Grundproblem bei den Erfindungen (in anthroposophischer Ausdrucksweise: ‹Angaben›) Rudolf Steiners. Wir haben eine Antwort, aber wir kennen meist die Frage nicht.
Suchen in der Praxis
In meiner Berufsarbeit im Verein für Krebsforschung habe ich mich an dieser Herausforderung über drei Jahrzehnte abgearbeitet: Rudolf Steiner gibt für die Herstellung eines Mistelpräparates gegen den Krebs eine Mischmaschine an. Aus den wenigen Stellen7, an denen er über die Wirkung dieser Mischmaschine spricht, seien die herausgegriffen, von denen eine verlässliche Mitschrift existiert: «Wenn wir dasjenige, was nun im Mistelprozess wirkt, unmittelbar nehmen und dem Menschen einführen, so verändert es sich wiederum […] zu stark. Und daher wird nun versucht, dasjenige, was im Mistelbildeprozesse lebt, mit einer sehr komplizierten Maschine zu verarbeiten, die eine zentrifiugale Kraft entfaltet, mit einer ungeheuren Geschwindigkeit eine zentrifugale und eine radiale Kraft entfaltet. Die Konstruktion war gar nicht so leicht. So dass man tatsächlich dasjenige, was im Mistelprozess wirkt, umgestaltet zu einem ganz anderen Aggregatprozess und dadurch die mistelbildende Kraft in einer noch konzentrierteren Weise verwenden kann, als sie heute, wo der Mistelprozess doch ein dekadenter Prozess ist, in diesem zutage tritt.»8
In den Glashaus-Besprechungen mit Ärzten und Ärztinnen9 kommt er in einer Fragenbeantwortung nochmals auf diese Mischmaschine zurück: «Das Wesentliche ist ja auch dieses, dass ja die Verwendung des Mistelsaftes wirklich davon abhängt, dass wir ihn noch eigentlich steigern müssen, dass wir nicht etwa in einer so einfachen Weise nach der Verwendung von Viscum streben, sondern, dass wir dazu einen Apparat brauchen. Erst bringen wir die Mistelsäfte in eine vertikale Bewegung und diese lassen wir durchsetzen von einer horizontal rotierenden Bewegung. Es handelt sich darum, dass man erreicht, dass der Mistelsaft tropft und im Tropfen durchkreist wird, sich verbindet in Horizontalkreisen wieder mit Mistelsaft, so dass bis in die kleinsten Kreise hinein eine besondere Struktur hervorgerufen wird. Das ist eigentlich erst das Heilende des Viscums, was da entsteht. Gewiss, es ist an sich schon ein wirksames Heilmittel, aber das unbedingt spezifische Mittel entsteht erst auf diese komplizierte Art.»
Es gibt dann weitere Überlieferungen, unter anderem von einer Ingenieursbesprechung, bei der Durchmesser (1 m) und Drehzahl (10000 U/min) der Scheibe festgelegt werden. Rudolf Steiner spricht von einer «ungeheuren Geschwindigkeit». Bei diesen Festlegungen bewegt sich der Rand mit anderthalbfacher Schallgeschwindigkeit (ca. 500 m/s). Normale Metallscheiben explodieren unter diesen Kräften. Erst Mitte der 1960er-Jahre konnte man solche Scheiben aus Titan fertigen, welche diesen Kräften standhielten. Wegen der Schallgeschwindigkeit (bei Geschwindigkeiten über 300 m/s gibt es in der Luft einen Überschallknall, der zusätzlich die Luft erhitzt) läuft die Scheibe in einer Helium-Atmosphäre (He-Schallgeschwindigkeit 1000 m/s). Als wir in Arlesheim mit einer solchen Titan-Scheibe die angegebenen Drehzahlen Anfang der 1970er-Jahre erreichten, blieb der Sprung in der medizinischen Wirksamkeit gegenüber den Erwartungen (‹Ersetzen des Chirurgenmessers›) klein: Manche Patienten und Patientinnen genasen, manche lernten mit ihrem Karzinom zu leben, viele aber gingen ihrem Ende entgegen. Ähnlich wie beim Strader-Mechanismus haben wir auch hier eine Antwort zu einer Frage, die wir im Konkreten nicht kennen: «Herr Doktor, wie kommen Sie darauf?»
Suchen im Geist
Das einfache Nachbauen der Angaben und Ergänzen der Dimensionen, die Rudolf Steiner nicht angegeben hatte, führte nicht zum ersehnten Ziel. Wir mussten versuchen, die Frage zu klären, welchem Wirkprozess Rudolf Steiner die Mistel unterziehen wollte. Wollte er kongenial ein Verfahren zur Emulgierung erfinden? Es wurde damals zeitgleich der Ultra-Turrax erfunden, ein ähnlich schnell laufendes Messer, das aber nur einen Durchmesser von 1 cm hatte und noch heute zum Homogenisieren verwendet wird. So entstanden in Arlesheim und auch bei den anderen Initiativen, die auf den gleichen Angaben fußend zu eigenen Lösungen für den Mischprozess gekommen waren, Ideengebäude, was er gemeint haben könnte. Die größte Behinderung für die Forschung war allerdings der Wirkungsnachweis für Verfahrensänderungen, teils weil die erreichten Wirkungen von Patient zu Patientin verschieden waren, besonders aber, weil die zunehmende Regulierung durch die Behörden die Verfahrensänderungen zu verunmöglichen begannen. Die übrigen Initiativen stellten deshalb die Forschung ein. In Arlesheim besannen wir uns auf eine spirituelle Fragestellung: Können wir uns schulen, dass wir die Wirkung des Mischvorgangs (‹anderer Aggregatsprozess›) spirituell mitverfolgen können? Wir mussten entdecken, dass hier manche Verfahren, die in der konventionellen Forschung üblich sind, etwa die Wiederholung von Versuchen für manche Fragestellungen, nicht funktionierten, dass wir uns mehr auf ein Gespräch einzulassen hatten mit den Wesen, die diese Heilvorgänge begleiten. Trotzdem musste das wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, denn wir wollten ja nicht nur einfach unsere Vorlieben und Hoffnungen in die Vorgänge projizieren, sozusagen Selbstgespräche führen, sondern in einen wirklichen Austausch kommen.
Eine ähnliche Entwicklung hat auch die Strader-Technik genommen. Auch hier wurde zunächst ‹drauflosgebaut› und dann allerlei Ideengebäude hinzugefügt, warum das genau so sein muss und nicht anders sein kann. Auch hier werden heute spirituelle Ansätze10 verfolgt, die eine innere Schulung voraussetzen.
Ich habe hier an zwei Beispielen geschildert, dass Angaben (‹Erfindungen›) Rudolf Steiners Herausforderungen an ihre Bearbeitenden stellen. Das gilt auch für andere Angaben, sei es für die Landwirtschaft, die Medizin oder die Pädagogik, um nur einige Gebiete zu nennen, auf denen er Innovationen angeregt hat.
Es gibt zum Beispiel die Sammlung von naturwissenschaftlichen Angaben11, die zu Lebzeiten Rudolf Steiners in den Laboratorien in Stuttgart verfolgt wurden, aus denen aber damals nichts Erhebliches herausgekommen ist.
Mit ‹Rudolf Steiner als…› überschreiben wir eine Reihe von Artikeln zum 100. Todesjahr Rudolf Steiners.
Fußnoten
- Emanuel Zeylmans, Willem Zeylmans van Emmichhoven. Natura Verlag, Arlesheim 1979, S. 121.
- Science Museum Group, Thread Rolling Machine. Glasgow 1855–1860. 1860–54, Science Museum Group Collection Online. Abgerufen 11. Februar 2025.
- Mündl. Mitteilung von Angelika Wiehl, Enkelin des mit Rudolf Steiner befreundeten Großindustriellen van Lehr aus Wien.
- Serendipidy bezeichnet eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist. (Wikipedia): Man(n) sucht die Stecknadel im Heuhaufen und findet die Tochter des Bauern.
- Erfindungen unterscheiden sich von Entdeckungen, dass sie patentfähig sind, denn bei Erfindungen handelt es sich um die erstmalige, praktische Realisierung einer Idee, während es sich bei einer Entdeckung um das Gewahrwerden eines bisher nicht Bekannten (aber schon Existierenden) handelt
- Siehe Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe. Michaeli 1991, Nr. 187.
- Entwicklung des Mischprozesses im Institut Hiscia, in: Mistel und Krebs. Hrg. Verein für Krebsforschung, Arlesheim 2019.
- GA 319, 3.9.1923.
- GA 314, 22.4.1924.
- Siehe: Strader.tech.
- Sog. Schiller-Mappe. Siehe: Beiträge zur Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe Nr. 122.
Es sollte berücksichtigt werden, dass nicht einmal Steiner selbst sagen konnte, wie die Verarbeitung der Mistelsäfte erfolgen soll:
„Sie werden nun verstehen, daß ich über diese Dinge aus dem Grunde vorsichtig sprechen muß, weil auf der einen Seite die Tendenz [253], die damit angegeben wird, absolut richtig ist, auf gut fundierten geisteswissenschaftlichen Forschungen beruht, weil aber auf der anderen Seite in dem Augenblicke, wo nun der praktische Heilungsprozeß anfängt, die volle Abhängigkeit von der Verarbeitung der Mistelsubstanz anfängt, da eigentlich im Grunde genommen kaum die Kenntnisse da sind, um den Prozeß in der richtigen Weise zu betreiben.“ (Dornach, 2. April 1920, GA 312 (1999), 253f)
Ich verstehe das so, dass mit dem letztgenannte „Prozeß“ nicht der Heilungsprozess, sondern der Verarbeitungsprozess der Mistelsubstanz gemeint ist; ferner, dass sich die Unkenntnis hinsichtlich der Prozessgestaltung nicht auf seine Mitarbeiter beschränkt, sondern auch ihn einbezieht; andernfalls müsste man annehmen, dass Steiner vorsätzlich ein Wissen den Mitarbeitern vorenthalten hat. Dafür ließen sich zwar Gründe finden, wie es z. B. schon im Titel dieses Artikels zum Ausdruck kommt („Erfindungen haben ihre Zeit“). Aus dem Verhalten Steiners, der immer wieder entsprechende Fragen beantwortete und auch das Labor besuchte, da er gebeten wurde, ein Urteil über verschiedene Mistelsaftzubereitungen abzugeben, verdichtet sich allerdings der Eindruck, dass er die Zeit für ein wirksames Mistelpräparat, das das Messer des Chirurgen ersetzen sollte (Dornach, 2. April 1920, 312 (1999), 252f), als gekommen sah.
Nimmt man noch hinzu:
„Sehen Sie, es ist mir oftmals gesagt worden, es könnte kommen, daß die Mittel, die wir herstellen – es wird Ihnen paradox erscheinen, aber Sie müssen manches als paradox hinnehmen -, daß man die Mittel, die wir erzeugen im pharmazeutischen Laboratorium, sorgfältig hüten müßte, damit sie nicht nachgemacht werden können. Ich habe einmal darauf erwidert, daß ich eigentlich eine so große Angst vor dem Nachmachen gar nicht habe, wenn es uns gelingt, wirklich esoterische Impulse in unsere Strömung hineinzubringen. Dann wird man einsehen, daß [62] die Mittel mit dem esoterischen Hintergrunde gemacht werden, daß es nicht einerlei ist, ob hier die Mittel gemacht werden mit alldem, was hinter dem Esoterischen lebt, was hineingebracht wird, oder ob eine beliebige Fabrik sie nachmacht. Das mag Ihnen paradox erscheinen, aber es ist so.“ (Dornach, 5. Januar 1924, 316 (2003), 62f)
dann ergibt sich, dass ein bloßes rezeptartiges Befolgen der Angaben Steiners, selbst wenn sie noch so genau wären (sodass das auch fabriksmäßig gemacht werden könnte), nicht zum Erfolg führt. Nun fehlt aber nicht nur das genaue Rezept (mit Steiners eigenen Worten kann er nur eine „Tendenz“ angeben), sondern es scheint auch die andere Bedingung, der „wirklich esoterische[n] Impulse in unsere[r] Strömung“ (also nicht nur esoterische Impulse, sondern _wirklich_ esoterische Impulse – was immer das genau ist), nicht erfüllt zu sein.
Es gibt Stimmen, die die Ansicht vertreten, Iscador würde bereits das Messer des Chirurgen ersetzen: wenn man Iscador früh genug anwendet, verhindere es die Entstehung von Krebs und ersetze damit das Messer des Chirurgen – mit anderen Worten: es würde bei der Herstellung des Mistelpräparats bereits alles richtig gemacht und die wirklich esoterischen Impulse seien schon in die anthroposophische Strömung hineingebracht. Selbst wenn diese Meinung zuträfe, so ermangelt es ihr der klinischen Evidenz, denn es müsste gezeigt werden, dass in einer Versuchsgruppe, die präventiv mit Iscador behandelt wird, tatsächlich, wie behauptet, keine Krebserkrankung auftritt.
Für mich besonders lehrreich: ein Hellseher sieht auch nicht nach Belieben alles.
Wie kann die Verwendung von Sprache, insbesondere Hindi, dazu beitragen, die Kommunikation zwischen Kindern mit Autismus und ihren Betreuern in Indien zu erleichtern, und gibt es eine Verbindung zur Telepathie als Konzept in der indischen Kultur?